Hintergrund

Eine unzureichende Qualität der ärztlichen Leichenschau ist ein seit Langem diskutiertes Thema in der rechtsmedizinischen Fachliteratur [1,2,3,4]. Da den bayerischen Gesundheitsämtern die routinemäßige Kontrolle der Todesbescheinigungen (TB) in ihrem Amtsbezirk obliegt, können dort auch Aussagen zu deren Qualität getroffen werden. Beispielsweise beanstandete das Münchner Gesundheitsamt im Zeitraum 2010–2013 rund jede 10. TB:   die vom Leichenschauer (LS) attestierte Todesart betraf 1% dieser Beanstandungen, den Vermerk sicherer Todeszeichen betrafen 15,7 %, die Todesursachenkaskade 7,5 %, wobei sich die Beanstandungsraten zwischen Klinik- und niedergelassenen Ärzten nicht unterschieden [5]. In einer Folgeuntersuchung für die Jahre 2014 und 2015 wurden 13 % der TB vom Münchner Gesundheitsamt beanstandet. Bei jedem 400. Sterbefall wurde vom LS eine natürliche Todesart (NT) bescheinigt, obwohl die Bescheinigung einer nichtnatürlichen (NNT) bzw. ungeklärten Todesart (UT) korrekt gewesen wäre [6]. Im Einzugsgebiet des Rostocker Krematoriums ergab eine systematische Untersuchung von 10.000 TB der Jahre 2012–2015, dass bei gleichrangiger Berücksichtigung von leichten und schwerwiegenden Fehlern lediglich 223 (2,2 %) fehlerfrei ausgestellt worden waren. Der mit 12,7 % anteilsmäßig häufigste schwerwiegende Fehler bezog sich auf eine fehlerhafte Kausalkette [7]. Ein häufiges Problem für die LS ist, dass Informationen zu den Verstorbenen (Krankengeschichte, Begleitumstände des Versterbens) teilweise nicht ausreichend vorhanden sind bzw. aus unterschiedlichen Quellen stammen. Insbesondere niedergelassene Ärzte und Kollegen des forensischen Leichenschau-Dienstes verfügen häufig nur über mündliche Angaben von Dritten als alleinige Informationsquelle [8]. Hinweise auf eine schlechte Qualität der ärztlichen Leichenschau und ausgefüllter TB wurden v. a. für verstorbene Altenheimbewohner festgestellt. So hatten niedergelassene Ärzte für dieses Kollektiv bei nahezu allen in ihrer Einrichtung verstorbenen Bewohnern eine NT bescheinigt und gleichzeitig bei knapp 20 % als unmittelbare Todesursache eine ungenau bezeichnete bzw. ungeklärte Todesursache angegeben [9]. Auch Germerott et al. hatten 2014 festgestellt, dass bei verstorbenen Altenheimbewohnern bei jeder 10. Leichenschau statt eines NNT fälschlicherweise ein NT attestiert und nur in der Hälfte der Fälle die Todesursache korrekt benannt worden war [10]. Gleichzeitig ist die Obduktionsquote als mögliches Korrektiv für eine schlechte Qualität der ärztlichen Leichenschau bundesweit anhaltend niedrig. Die für pathologische Institute ermittelte Obduktionsquote lag 2014 bundesweit zwischen 2,2 und 8,6 % [11]. Besonders niedrige Obduktionsquoten sind in der Literatur für ältere Verstorbene und Bewohner von Altenheimen beschrieben [12,13,14,15]. Aus Münchner TB und Obduktionsscheinen wurde für 2013 und 2014 für Kinder und Jugendliche eine Obduktionsquote von 16,9 %, für die erwachsene Allgemeinbevölkerung von 9,4 % und für Altenheimbewohner von nur 1,4 % ermitteltFootnote 1. Letzteres zeigt, dass Sterbefälle älterer Menschen, insbesondere von Altenheimbewohnern, von nur geringem kriminalistischem Interesse sind und Todesermittlungserfahren in diesem Umfeld nur sehr selten eingeleitet werden.

In diesem Kontext soll an einem Kollektiv Münchner TB untersucht werden, welche Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Sterbeorten betagter, laut Definition des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA) in Berlin also über 75-jähriger Menschen und diversen Parametern von Leichenschau und Obduktion bestehen.

Studienziele

Es sollen folgende Fragen beantwortet werden:

  • Wie viele Sterbefälle betagter Menschen gab es im Studienzeitraum 2013–2014 in München?

  • Wie war die Verteilung der Sterbeorte und der attestierten Todesarten?

  • Welche Todesursachen wurden bescheinigt?

  • Welche Grunderkrankungen bestanden?

  • Wie häufig wurden klinisch-pathologische und wie häufig gerichtliche Obduktionen durchgeführt?

  • Zeigten sich Unterschiede der untersuchten Parameter in Abhängigkeit von den verschiedenen Sterbeorten?

Methode

Fallrekrutierung

Es erfolgte eine retrospektive Sichtung aller TB, die für den Sterbezeitraum vom 01.01.2013 bis 31.12.2014 beim Gesundheitsreferat der Landeshauptstadt München (GSR) eingegangen sind und archiviert wurden. Als Zielkollektiv wurden alle Todesfälle definiert, die betagt, also mit einem Alter ≥ 75 Jahre verstorben waren.

Dateneingabe

Basierend auf dem amtlichen Muster der bayerischen TB wurden alle im nichtvertraulichen und vertraulichen Teil jeder TB vorhandenen Informationen als einzugebende Variablen vorab festgelegt und nach einem speziell für diese Untersuchung entwickelten Codeplan in Microsoft Excel (Microsoft Office 2011) erfasst. Durch den LS angebrachte Korrekturen oder Ergänzungen der TB, die nach Sichtung durch das GSR veranlasst worden waren, wurden dabei nicht berücksichtigt. Die in der Kausalkette unter Ia und Ic angegebenen unmittelbaren Todesursachen bzw. Grunderkrankungen wurden in Anlehnung an die Gesamtgruppierung der Diagnosen analog der ICD-10 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) nach Kapitel verschlüsselt.

Datenschutz

Alle personenbezogenen Daten der TB wurden nur vor Ort im GSR gesichtet und mithilfe einer Schlüsseldatei pseudonymisiert. Die Datenauswertung erfolgte ohne Einbeziehung der Schlüsseldatei. Vor Beginn der Studie erteilte die zuständige Behörde (Regierung von Oberbayern) mit Schreiben vom 03.12.2014 ihr Einverständnis.

Datenauswertung

Die vorliegenden Daten wurden zunächst deskriptiv ausgewertet. Stetige Variablen wurden durch die Maßzahlen Mittelwert und Standardabweichung dargestellt. Für ordinale oder nominale Variablen wurden Kreuztabellen erstellt und zur Betrachtung ausgewählter Zusammenhänge Chi2-Tests zum Signifikanzniveau 5 % ohne Korrektur für multiples Testen berechnet. Die Datenauswertung für die kodierten Variablen erfolgte mit den Statistikprogrammen SPSS (IBM, Armonk, NY, USA, Version 26) und R (https://cran.r-project.org/, Version 4.0.2).

Ergebnisse

Allgemeine Charakteristika

Im Stadtgebiet München verstarben im Studienzeitraum insgesamt 26.303 Personen, darunter 16.146 Personen (60,7 %) mit einem Sterbealter ≥ 75 Jahre. Davon waren 9381 Frauen (58,1 %) und 6750 Männer (41,8 %). Bei 15 Fällen (0,1 %) war vom leichenschauenden Arzt kein Geschlecht auf der TB vermerkt worden. Das durchschnittliche Sterbealter unter den betagten Personen betrug 85,5 Jahre bei einem Maximum von 109 Jahren. Von 4205 Personen (26,0 %) war bekannt, dass sie zum Todeszeitpunkt in einem Altenheim wohnhaft waren.

Sterbeorte

Häufigste Sterbeorte waren Krankenhaus (9064 Fälle, 56,1 %), Privatadresse (3514 Fälle, 21,8 %) und vollstationäre Pflegeinrichtung (3226 Fälle, 20,0 %). Weitere Sterbeorte mit deutlich geringerer Häufigkeit waren Hospize (300 Fälle, 1,9 %) und öffentlicher Raum (35 Fälle, 0,2 %). Bei 7 Fällen konnte der Sterbeort nicht eruiert werden (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Verteilung der Sterbeorte

Todesarten und sichere Todeszeichen

Bei 14.296 Verstorbenen (88,5 %) war eine NT, bei 1414 Verstorbenen (8,8 %) eine UT und bei 432 Verstorbenen (2,7 %) eine NNT attestiert worden. Bei 4 Sterbefällen hatte der Leichenschauer keine Todesart angegeben. Bei 109 Verstorbenen (0,7 %) hatte der Leichenschauer keine sicheren Todeszeichen vermerkt.

Unmittelbare Todesursachen (1a) und Grunderkrankungen (1c)

Als unmittelbare Todesursachen wurden am häufigsten genannt: Krankheiten des Kreislaufsystems (3789 Fälle, 23,5 %), sonstige ungenau bezeichnete und unbekannte Todesursachen (3229 Fälle, 20,0 %) sowie Krankheiten des Atmungssystems (2630 Fälle, 16,3 %), davon Pneumonien bei 1175 Fällen (7,3 %). An vierter Position wurden Endzustände (2250 Fälle, 13,9 %) genannt (Tab. 1). Eine Demenz wurde bei 50 Verstorbenen (0,3 %) als unmittelbar todesursächlich gewertet. Von den 14.296 Fällen mit attestierter NT wurde diese bei 136 Fällen (1 %) fälschlicherweise bescheinigt.

Tab. 1 Unmittelbare Todesursachen bei den untersuchten Sterbeorten. Die Prozentangaben sind Spaltenprozentwerte

Als Grunderkrankungen wurden am häufigsten genannt: Krankheiten des Kreislaufsystems (6177 Fälle, 38,3 %), bösartige Neubildungen (2894 Fälle, 18,0 %) sowie sonstige ungenau bezeichnete und unbekannte Todesursachen (1749 Fälle, 10,9 %). Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten wurden bei 441 Fällen (2,7 %), ein Diabetes mellitus bei 220 Fällen (1,4 %) aufgeführt (Tab. 2). Eine Pneumonie wurde bei 692 Fällen (4,3 %), eine Demenz bei 682 Fällen (10,6 %), Endzustände bei 79 Fällen (0,5 %) angegeben.

Tab. 2 Grunderkrankungen bei den untersuchten Sterbeorten. Die Prozentangaben sind Spaltenprozentwerte

Angestrebte und durchgeführte Obduktionen

Bei 1618 Verstorbenen (10,0 %) strebten die LS eine Obduktion an, bei 14.088 Verstorbenen (87,3 %) nicht. Bei 440 Verstorbenen (2,7 %) war das entsprechende Kreuz nicht gesetzt worden. Insgesamt wurden 789 Obduktionen durchgeführt (4,9 % aller Sterbefälle), davon 671 gerichtliche (85,1 %) und 117 klinisch-pathologische (14,8 %) Sektionen (Tab. 3).

Tab. 3 Angestrebte und durchgeführte Obduktionen bei den untersuchten Sterbeorten. Die Prozentangaben sind Spaltenprozentwerte

Fehlende Angabe sicherer Todeszeichen in Abhängigkeit vom Sterbeort

Beim Sterbeort Krankenhaus hatte der Leichenschauer in 77 Fällen (0,8 %) keine sicheren Todeszeichen vermerkt, beim Sterbeort Privatadresse in 18 Fällen (0,5 %), beim Sterbeort Heim in 13 Fällen (0,4 %) und beim Sterbeort Hospiz in einem Fall (0,3 %). Bei allen im öffentlichen Raum Verstorbenen waren sichere Todeszeichen vermerkt.

Todesarten in Abhängigkeit vom Sterbeort

Die Häufigkeitsverteilung der Todesarten in Abhängigkeit vom Sterbeort kann Abb. 2 entnommen werden. Eine NT wurde am häufigsten in Hospizen (100 %) und Heimen (97,6 %) attestiert, während im öffentlichen Raum anteilsmäßig weit häufiger eine NNT (57,1 %) bzw. eine UT (31,4 %) bescheinigt wurde. Die Raten für eine NNT bzw. eine UT lagen im Krankenhaus bei 2,2 % bzw. 7,6 % und an der Privatadresse bei 5,3 % bzw. 18,8 %. Der Zusammenhang zwischen Todesart und Sterbeort war statistisch signifikant (p < 0,0001).

Abb. 2
figure 2

Verteilung der Todesarten bei den untersuchten Sterbeorten

Falsch bescheinigte natürliche Todesart in Abhängigkeit vom Sterbeort

Eine NT wurde bei 8173 Krankenhaussterbefällen (90,2 %) attestiert, davon bei insgesamt 362 Fällen (4,4 %) fälschlicherweise. Das betraf 6 Fälle (0,1 %) mit unbekannter Todesursache (1a) und 92 Fälle (1,1 %) mit äußeren Ursachen von Morbidität und Mortalität (1a). Bei 21 Fällen (0,3 %) wurde eine unbekannte Todesursache (1c, davon 5 bereits 1a), bei 265 Fällen (3,2 %) wurden äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität (1c, davon 17 bereits 1a) bescheinigt.

Eine NT wurde bei 2664 Sterbefällen an einer Privatadresse (75,8 %) attestiert, davon bei insgesamt 45 Fällen (1,7 %) fälschlicherweise. Das betraf 2 Fälle (0,1 %) mit unbekannter Todesursache (1a) und 16 Fälle (0,6 %) mit äußeren Ursachen von Morbidität und Mortalität (1a). Bei 6 Fällen (0,2 %) wurde eine unbekannte Todesursache (1c, davon 1 bereits 1a) und bei 23 Fällen (0,9 %) wurden äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität (1c, davon 1 bereits 1a) bescheinigt.

Eine NT wurde bei 3150 Sterbefällen im Heim (97,6 %) attestiert, davon bei insgesamt 48 Fällen (1,5 %) fälschlicherweise. Das betraf 4 Fälle (0,1 %) mit unbekannter Todesursache (1a) und 16 Fälle (0,5 %) mit äußeren Ursachen von Morbidität und Mortalität (1a), davon 13 Stürze (0,4 %). Bei 7 Fällen (0,2 %) wurde eine unbekannte Todesursache (1c, davon 3 bereits 1a) und bei 29 Fällen (0,9 %) wurden äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität (1c, davon 5 bereits 1a), davon 14 Stürze (0,4 %) bescheinigt.

Eine NT wurde bei 300 Sterbefällen im Hospiz (100 %) bescheinigt, davon bei insgesamt 3 Fällen (1 %) fälschlicherweise. In der Kausalkette (1c) waren bei diesen Fällen äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität angegeben worden.

Beim Sterbeort öffentlicher Raum wurde in keinem Fall (0 %) fälschlicherweise eine NT attestiert.

Der Zusammenhang zwischen falsch bescheinigter NT und Sterbeort war statistisch signifikant (p < 0,0001).

Todesarten in Abhängigkeit vom leichenschauenden Arzt und Sterbeort

Beim Sterbeort Klinik bescheinigten Krankenhausärzte zu 90,2 % eine NT, zu 7,6 % eine UT und zu 2,2 % eine NNT. Analysiert man die 230 Sterbefälle in der Notaufnahme, dann ergibt sich eine andere Häufigkeitsverteilung: eine NT bei 166 Fällen (72,2 %), eine UT bei 53 Fällen (23,0 %) und eine NNT bei 11 Fällen (4,8 %). Bei den 40 Sterbefällen im OP wurde eine NT bei 21 Fällen (52,5 %), eine UT bei 12 Fällen (30,0 %) und eine NNT bei 7 Fällen (17,5 %) attestiert.

Beim Sterbeort Privatadresse wurde von ärztlichen Kollegen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (100 %) und niedergelassenen Ärzten (97,4 %) weit überwiegend eine NT attestiert. Der forensische Leichenschaudienst attestierte eine NT vergleichsweise seltener (42,1 %), dafür häufiger eine UT (45,1 %) oder NNT (12,8 %, Tab. 4).

Tab. 4 Leichenschauender Arzt und attestierte Todesarten beim Sterbeort Privatadresse. Die Prozentangaben sind Zeilenprozentwerte

Beim Sterbeort Heim wurde die Leichenschau fast durchgängig von niedergelassenen Ärzten durchgeführt, welche nur in sehr wenigen Fällen eine UT (0,7 %) oder NNT (0,3 %) attestierten. Hier bescheinigte einzig der Leichenschaudienst in nennenswerten Raten eine UT (26,5 %) bzw. NNT (18,6 %) (Tab. 5).

Tab. 5 Leichenschauender Arzt und attestierte Todesarten beim Sterbeort Heim. Die Prozentangaben sind Zeilenprozentwerte

Beim Sterbeort öffentlicher Raum attestierte der Leichenschaudienst 17 der 20 NNT sowie alle 11 Fälle mit UT. Rechtsmediziner attestierten in den beiden sie betreffenden Fällen eine NNT (Tab. 6).

Tab. 6 Leichenschauender Arzt und attestierte Todesarten beim Sterbeort öffentlicher Raum. Die Prozentangaben sind Zeilenprozentwerte

Unmittelbare Todesursachen (1a) in Abhängigkeit vom Sterbeort

Die Häufigkeitsverteilung der unmittelbaren Todesursachen (1a) in Abhängigkeit vom Sterbeort kann Tab. 1 entnommen werden. Im Krankenhaus waren die beiden häufigsten vom LS angegebenen unmittelbaren Todesursachen Krankheiten des Atmungssystems (1848 Fälle, 20,4 %) und Krankheiten des Kreislaufsystems (1757 Fälle, 19,4 %), beim Sterbeort Privatadresse ungenau bezeichnete oder unbekannte Todesursachen (1104 Fälle, 31,4 %) und Krankheiten des Kreislaufsystems (859 Fälle, 24,4 %), im Heim Krankheiten des Kreislaufsystems (1156 Fälle, 35,8 %) und „Endzustände“ (535 Fälle, 16,6 %). In Hospizen wurden bösartige Neubildungen (95 Fälle, 31,7 %) und ungenau bezeichnete oder unbekannte Todesursachen (61 Fälle, 20,3 %), beim Sterbeort öffentlicher Raum ungenau bezeichnete oder unbekannte Todesursachen (17 Fälle, 48,6 %) und äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität (10 Fälle, 28,6 %) am häufigsten attestiert.

Als unzulässige Todesursache wurden Endzustände anteilsmäßig am häufigsten in Heimen (535 Fälle, 16,6 %), an der Privatadresse (514 Fälle, 14,6 %) und im Krankenhaus (1191 Fälle, 13,1 %) angegeben. An einer Pneumonie verstarben im Krankenhaus 718 Personen (7,9 %), an der Privatadresse 184 (5,2 %), im Heim 264 (8,2 %) und im Hospiz 9 (3,0 %).

Grunderkrankungen (1c) in Abhängigkeit vom Sterbeort

Die Häufigkeitsverteilung der Grunderkrankungen (1c) in Abhängigkeit vom Sterbeort kann Tab. 2 entnommen werden. Die beiden häufigsten vom LS angegebenen Grunderkrankungen waren beim Sterbeort Krankenhaus Krankheiten des Kreislaufsystems (3319 Fälle, 36,7 %) und bösartige Neubildungen (1733 Fälle, 19,1 %), beim Sterbeort Privatadresse Krankheiten des Kreislaufsystems (1166 Fälle, 33,3 %) und ungenau bezeichnete oder unbekannte Todesursachen (932 Fälle, 26,5 %), beim Sterbeort Heim Krankheiten des Kreislaufsystems (1681 Fälle, 52,1 %) sowie Krankheiten des Nervensystems und der Sinnesorgane (399 Fälle, 12,4 %). Beim Sterbeort Hospiz wurden bösartige Neubildungen (257 Fälle, 85,7 %) und ungenau bezeichnete oder unbekannte Todesursachen (9 Fälle, 3,0 %), beim Sterbeort öffentlicher Raum ungenau bezeichnete oder unbekannte Todesursachen (19 Fälle, 54,3 %) und äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität (10 Fälle, 28,6 %) am häufigsten attestiert.

Eine Demenz als Grunderkrankung hatten 202 Fälle (2,2 %) im Krankenhaus, 156 Fälle (4,5 %) am Sterbeort Privatadresse, 323 Fälle (10,0 %) im Heim und 1 Fall (0,3 %) im Hospiz.

Obduktionen in Abhängigkeit vom Sterbeort

Die Häufigkeitsverteilung in Abhängigkeit vom Sterbeort angestrebter und durchgeführter Obduktionen kann Tab. 3 entnommen werden. Leichenschauende Ärzte strebten eine Obduktion meistens an, wenn die Person im öffentlichen Raum verstorben war (28 Fälle, 80 %), hingegen nur sehr selten beim Sterbeort Heim (53 Fälle, 1,6 %). Tatsächlich durchgeführt wurden Obduktionen vergleichsweise häufig bei Sterbefällen im öffentlichen Raum (14 Fälle, 40,0 %), anteilsmäßig sehr selten bei im Heim Verstorbenen (27 Fälle, 0,8 %). In fast allen Fällen wurden gerichtliche Sektionen durchgeführt, nur bei im Krankenhaus Verstorbenen gab es eine nennenswerte Anzahl klinisch-pathologischer Obduktionen (133 Fälle, 30,7 %).

Diskussion

Allgemeine Charakterisierung der Verstorbenen

Das in dieser Studie untersuchte Kollektiv der Betagten repräsentierte 60 % aller Münchner Sterbefälle im Untersuchungszeitraum. Das durchschnittliche Sterbealter der Betagten lag bei rund 85 Jahren, Frauen überwogen mit 58 %. Diese Zahlen korrespondieren gut mit der durchschnittlichen verbleibenden Lebenserwartung in Deutschland: Diese beträgt aktuell für 65-jährige Frauen 21,1 Jahre und für 65-jährige Männer 17,9 Jahre [16]. Der demografische Wandel und die damit einhergehende Multimorbidität führten dazu, dass in Deutschland im Dezember 2019 4,13 Mio. Menschen im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI) pflegebedürftig waren [17]. 20 % der Pflegebedürftigen wurden hierzulande stationär in Pflegeeinrichtungen, 24 % durch einen ambulanten Pflegedienst im häuslichen Umfeld versorgt. Im untersuchten Kollektiv lag der Anteil der Heimbewohner entsprechend bei 25 % der Sterbefälle. Methodisch bedingt kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob an ihrer Privatanschrift gemeldete Verstorbene durch einen ambulanten Pflegedienst versorgt wurden oder nicht.

Sterbeorte

In den Industrienationen verstirbt der größte Anteil der Bevölkerung heutzutage in Kliniken und Altenpflegeeinrichtungen. Dasch et al. erhoben in einer populationsbezogenen Studie aus dem Jahr 2011 den Sterbeort aus TB ausgewählter Regionen in Westfalen-Lippe: 51,2 % des untersuchten Kollektivs waren im Krankenhaus, 23,0 % zu Hause und 19,0 % in einer stationären Pflegeeinrichtung verstorben [18]. Eine 2015 in Deutschland durchgeführte Befragung ergab eine ähnliche Verteilung der Sterbeorte [19]. Internationale Daten aus Kanada, Wales und Frankreich stimmen mit den hierzulande erhobenen Daten weitgehend überein [20,21,22]. Eine aktuelle Münchner Untersuchung zeigte, dass sich die Verteilung der Sterbeorte von Altenheimbewohnern und betagter Allgemeinbevölkerung deutlich unterschied: Altenheimbewohner verstarben zu 75 % in ihrer Einrichtung und zu 25 % im Krankenhaus, die betagte Allgemeinbevölkerung hingegen zu rund 70 % in Kliniken und zu 30 % zu Hause [9]. Die hier vorgestellten Ergebnisse bestätigen die zitierte Literatur, häufigster Sterbeort war das Krankenhaus, gefolgt von häuslichem Umfeld und Pflegeeinrichtungen. Sterbeorte wie Hospiz und öffentlicher Raum spielen zahlenmäßig keine große Rolle.

Leichenschauende Ärzte und attestierte Todesarten, Obduktionen

Krankenhausärzte waren als LS nicht nur im Krankenhaus, sondern auch bei den Sterbeorten Privatadresse und Heim zu verzeichnen. Das hat zwei Gründe: Zum einen gibt es Kollegen, die für den Notarztstandort ihrer Klinik im Stadtgebiet München den Notarztdienst übernehmen, zum andern existieren Münchner Heime, die unmittelbar benachbarten Kliniken räumlich-organisatorisch zugeordnet sind. Fokussiert man auf die leichenschauende Tätigkeit der Krankenhausärzte in Kliniken, so attestierten sie bei 90 % der dortigen Sterbefälle eine NT, davon bei 4,4 % fälschlicherweise.

In den Pflegeeinrichtungen waren weit überwiegend niedergelassene Ärzte als LS tätig, sie führten dort 95 % der Leichenschauen durch und attestierten in 99 % eine NT. Bei 1,5 % der dortigen Sterbefälle wurde eine NT fälschlicherweise bescheinigt. Beim Sterbeort Privatadresse führten Niedergelassene in gut der Hälfte der Fälle die Leichenschau durch und attestierten bei knapp 97 % eine NT. In München gibt es den „forensischen Leichenschaudienst“, dessen Organisation beim Ärztlichen Kreis- und Bezirksverband liegt. Die Dienste werden neben Rechtsmedizinern weit überwiegend von niedergelassenen Ärzten und Klinikärzten übernommen, die am Institut für Rechtsmedizin der Universität München geschult wurden. Die Ärzte des forensischen Leichenschaudienstes führten am Sterbeort Privatadresse zu knapp 40 % die Leichenschau durch, bescheinigten jedoch eine NT nur bei 42 % der Verstorbenen. An diesem Sterbeort war eine NT bei 1,7 % der Fälle fälschlicherweise attestiert worden. Niedergelassene Ärzte führten zwar beim Sterbeort öffentlicher Raum nur 3 der 35 anfallenden Leichenschauen durch, attestierten jedoch bei 2 der 3 sie betreffenden Fälle eine NT. Im Gegensatz hierzu attestierten Ärzte des forensischen Leichenschaudienstes bzw. der Rechtsmedizin nur bei 2 von 35 Fällen eine NT. In diesem Kontext ist anzumerken, dass bei der Attestierung der Todesarten ein Selektionsbias besteht: die Ärzte des forensischen Leichenschaudienstes werden vom Kriminaldauerdienst zu einer vorselektierten Klientel von Sterbefällen, wie beispielsweise bei unklaren Auffindungssituationen, Hinweisen auf Drogentod und Tötungsdelikte, gerufen [23].

In dieser Untersuchung zu Sterbefällen betagter Menschen wurde ein sehr hoher Anteil an NT erhoben; Niedergelassene sind die Arztgruppe, die diese Todesart weit überwiegend bescheinigte. Dieser Sachverhalt ist kritisch zu bewerten, weil sie neben den Krankenhausärzten die meisten Leichenschauen durchführten. Diese Untersuchung bestätigt erneut den seit Langem bekannten Sachverhalt, dass eine NNT umso seltener attestiert wird, je älter der Verstorbene war [24]. Deshalb besteht auch die Gefahr des Übersehens spurenarmer Tötungsdelikte: Die äußerlich feststellbaren Befunde können im hohen Alter bei Gewalteinwirkungen nur gering ausgeprägt sein und vom Leichenschauer dann nicht korrekt eingeordnet werden [25]. Ebenso wenig wird bei der Häufigkeit der hier attestierten natürlichen Todesfälle die erhöhte unfallbedingte Mortalität im höheren Alter abgebildet. Es besteht die Gefahr des Übersehens von Unfallfolgen, insbesondere auch durch Stürze. In Deutschland stürzen 30 % der über 65-Jährigen und rund 50 % der Pflegeheimbewohner mindestens einmal jährlich [26]. In den USA sind ähnliche Zahlen publiziert, dort stürzen ein Drittel der älteren Allgemeinbevölkerung und 60 % der Altenheimbewohner jährlich [27]. Stürze bei Betagten führen häufig zu potenziell lebensbedrohlichen Komplikationen (Frakturen, Hirnblutung) und sind eine häufige Ursache für Pflegebedürftigkeit und Tod [28]. Sie waren in Deutschland im Jahr 2020 bei 17.211 aller 985.572 Sterbefälle (1,7 %) todesursächlich [29]. Im untersuchten Kollektiv waren sie hingegen vom LS nur bei 70 Sterbefällen (0,4 %) als unmittelbar todesursächlich (1a), bei 249 Fällen (1,5 %) als Grunderkrankung (1c) angegeben worden. An den Sterbeorten Heim und Privatadresse, an denen überwiegend Niedergelassene die LS durchführen, traf das beim Sterbeort Heim für 25 Fälle (1a) bzw. 11 Fälle (1c) und beim Sterbeort Privatadresse für 27 Fälle (1a) bzw. 23 Fälle (1c) zu.

Germerott et al. stellten im Rahmen der Krematoriumsleichenschau fest, dass eine Fehlqualifikation der Todesarten bei 14 % der untersuchten Fälle erfolgt war [30]. Es ergaben sich noch höhere Zahlen einer Fehlklassifizierung der Todesarten, wenn die Verstorbenen obduziert wurden. Bei älteren Verstorbenen war die Todesart bei 23,5 % fehlklassifiziert worden, vom Leichenschauer als natürlich bescheinigte Todesfälle wurden nach der Obduktion bei 15,2 % als nichtnatürlich klassifiziert [31]. Die zum 01.04.2021 neu gefasste Bayerische Bestattungsverordnung sieht vor, dass die Krematoriumsleichenschau voraussichtlich zum 01.01.2024 auch in Bayern wieder eingeführt wird. Es bleibt abzuwarten, in welchem Maße das als Korrektiv wirken wird.

Todesursachen

Unmittelbare Todesursachen

Äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität waren bei knapp 2 % des Kollektivs unmittelbar todesursächlich, davon ein Viertel Stürze und knapp 10 % Suizide. Todesursächliche Stürze traten am häufigsten an den Sterbeorten Privatadresse und Heim, Suizide an den Sterbeorten Privatadresse und öffentlicher Raum auf. Tötungsdelikte waren im untersuchten Kollektiv nicht zu verzeichnen. Ein direkter Vergleich der erhobenen Zahlen mit den Zahlen der amtlichen Todesursachenstatistik ist methodisch nicht möglich, da diese Statistik auf der Angabe der Grunderkrankungen beruht. Unfälle, Suizide und Tötungsdelikte rangieren in den Vereinigten Staaten von Amerika unter den häufigsten Todesursachen bei älteren Menschen, übertroffen werden sie nur von den natürlichen Todesursachen Kreislauferkrankungen, Malignome und Pneumonien [32]. Eine australische Studie stellte bei Altenheimbewohnern als häufigste Ursachen für eine nichtnatürliche Todesart Stürze mit knapp 90 % und Suizide mit einem guten Prozent fest [33].

Grunderkrankungen

In der amtlichen Todesursachenstatistik werden als die 3 häufigsten Todesursachen Krankheiten des Kreislaufsystems, Neubildungen und Krankheiten des Atmungssystems aufgeführt [29]. Auch bei den untersuchten betagten Verstorbenen waren Krankheiten des Kreislaufsystems mit knapp 40 % am häufigsten vertreten, gefolgt von bösartigen Neubildungen mit knapp 20 %. Dritthäufig wurden unbekannte bzw. ungenau bezeichneten Krankheiten mit rund 10 % angegeben. Weitere Unterschiede der erhobenen Daten im Vergleich zur amtlichen Todesursachenstatistik ergeben sich auch deshalb, weil in dieser Studie nicht die Sterbefälle der Gesamtbevölkerung, sondern nur die der Betagten in Abhängigkeit von deren Sterbeorten untersucht wurden. Überraschenderweise wurden beim Sterbeort Heim bei über der Hälfte der Verstorbenen, damit noch häufiger als beim Sterbeort Krankenhaus, Kreislauferkrankungen als dem Versterben zugrunde liegende Erkrankung angegeben. Möglicherweise wurde diese Angabe bei diesen Fällen als „Routinediagnose“ geführt, zumal ja in den Pflegeeinrichtungen keine diagnostischen Möglichkeiten bestehen. Ebenso verstarben im Hospiz erwartungsgemäß über 85 % der Sterbefälle an einer bösartigen Erkrankung und damit mehr als doppelt so häufig wie in der Untersuchung bei Dasch et al. erhoben [18]. Demenzerkrankungen wurden im Kollektiv als fünfthäufigste Grunderkrankung genannt, beim Sterbeort Heim jedoch doppelt so häufig wie beim Sterbeort Privatadresse und 3‑mal so häufig wie beim Sterbeort Krankenhaus. Das lässt sich zwanglos damit erklären, dass eine Demenz einer der wesentlichen Risikofaktoren für eine Aufnahme in ein Heim ist [34]. Dass sich die Todesursachen mit zunehmendem Sterbealter wandeln, zeigt auch eine 2014 publizierte populationsbezogene britische Studie zum Versterben Hundertjähriger [35]. 75,6 % dieses Kollektivs verstarben mit „frailty“, also altersbedingter Gebrechlichkeit. Häufigste Todesursache waren Pneumonien (17,7 %), wohingegen ischämische Herzerkrankung (8,6 %) und bösartige Neubildungen (4,4 %) im Vergleich zu jüngeren Sterbefällen deutlich seltener sind. Endokrine Erkrankungen werden in der amtlichen Todesursachenstatistik bei knapp 4 % der Sterbefälle aufgeführt [29]. In dieser Studie wurden endokrine Erkrankungen bei weniger als 3 % der Verstorbenen angegeben – davon mit rund 1 % ein sehr geringer Anteil an Diabetes mellitus. Diese Zahl erscheint nicht plausibel, liegt die Prävalenz dieser Erkrankung in Deutschland doch bei knapp 10 % der erwachsenen Bevölkerung [36] und führt häufig zu potenziell lebensverkürzenden Folgeerkrankungen [37]. Dieser Sachverhalt ist als Hinweis für ein mangelhaftes Ausfüllen der TB zu werten. Es ist davon auszugehen, dass ein erheblicher Teil der vom LS als todesursächlich attestierten Kreislauferkrankungen auf einen Diabetes mellitus zurückzuführen ist und es deshalb zu einer deutlichen Verfälschung der amtlichen Todesursachenstatistik kommt.

Obduktionen

Knapp 5 % der hier untersuchten Sterbefälle wurden obduziert, das entspricht der derzeitigen durchschnittlichen Obduktionsquote in Deutschland [11, 38]. Diese Quote liegt in der Allgemeinbevölkerung der USA in der gleichen Größenordnung: rund 8 % bei Personen über 65 Jahren und 2,4 % bei Personen über 90 Jahren [39]. Die hier dargestellten Obduktionen wurden zu 85 % am Institut für Rechtsmedizin der Universität München durchgeführt; klinisch-pathologische Obduktionen spielen keine wesentliche Rolle. Es gibt mehrere Gründe für diese niedrige Obduktionsquote bei den Verstorbenen mit attestierter NT. So scheuen sich Leichenschauer teilweise davor, das Feld „Obduktion angestrebt“ anzukreuzen, da sie ungerechtfertigterweise befürchten, dafür finanziell in Regress genommen zu werden. Klinikärzte sprechen daher mit den Totensorgeberechtigten häufig auch nicht über die grundsätzlich bestehende, für sie kostenfreie Möglichkeit einer Obduktion. Angehörige von Sterbefällen im Altenheim oder im häuslichen Umfeld müssen eine Obduktion hingegen selbst bezahlen, wenn vom LS ein NT attestiert wird oder die Staatsanwaltschaft bei UT oder NNT den Leichnam zur Bestattung freigibt. Bei multimorbiden Pflegebedürftigen wird der Todeseintritt vom Leichenschauer zudem selten als verfrüht oder suspekt eingestuft, vielmehr häufig als ein zu erwartendes natürliches Ereignis wahrgenommen [15]. Auch wird die Notwendigkeit von Obduktionen zur Verifizierung vor dem Versterben gestellter Diagnosen von der Ärzteschaft mittlerweile selten gesehen, da die zunehmende Technisierung der Diagnosemöglichkeiten einen hieraus vermeintlich resultierenden Qualitätsgewinn mit sich bringt [40]. Ein weiterer Grund für die niedrigen Obduktionsquoten dürfte mangelndes Wissen und mangelndes Interesse bei den Leichenschauern sein. Selbst das Auftreten einer neuen Infektionskrankheit wie COVID-19 führte 2021 im Stadtgebiet München nur vorübergehend zu einer Steigerung der Obduktionsquote auf rund 10 % aller Sterbefälle [41]. Durch diese aktuelle Untersuchung konnten auch oben dargestellte Punkte belegt werden: Nur bei einem Fünftel der Fälle mit natürlicher Todesart wurde eine Obduktion angestrebt. Der Wunsch nach einer Obduktion nahm in Abhängigkeit vom Alter ab: von 100 % der Fälle (0 bis 14 Jahre) auf 50 % (15 bis 34 Jahre), 52 % (35 bis 59 Jahre), 25 % (60 bis 70 Jahre) und 11 % (≥ 80 Jahre). Keine relevanten Auswirkungen auf den Obduktionswunsch zeigte jedoch die diagnostische Sicherheit hinsichtlich der bei den Verstorbenen festgestellten Coronavirus-Erkrankung. Der Anteil klinisch-pathologischer Obduktionen müsste deutlich gesteigert werden, da bei der erhobenen Obduktionsquote hierzulande eine Qualitätskontrolle und -sicherung der ärztlichen Arbeit de facto nicht mehr möglich ist.

Qualitätsmängel ausgestellter Todesbescheinigungen

Es wurden zahlreiche Qualitätsmängel bei den ausgestellten TB erhoben. So waren bei 0,7 % der Verstorbenen vom LS keine sicheren Todeszeichen angegeben worden, im Vergleich hierzu war dieser Fehler in der eingangs zitierten Untersuchung von Zack et al. mit 2,9 % wesentlich häufiger festgestellt worden [7]. Bei 4 Sterbefällen des untersuchten Münchner Kollektivs hatte der Leichenschauer keine Todesart angegeben. In der Rostocker Untersuchung war das bei 2,9 % der untersuchten Verstorbenen der Fall [7]. Eine falsch bescheinigte NT wurde in der jetzigen Erhebung bei den Konstellationen Unfall resp. unbekannte Todesursache bei 2,8 % des untersuchten Kollektivs festgestellt. Wie in der Münchner Studie aus dem Jahr 2017 [6] wurden hauptsächlich Stürze alter Menschen nicht als Ausgangspunkt eines NNT erkannt. Diese Studie erhob eine falsch bescheinigte NT bei 0,25 % der untersuchten Sterbefälle [6], allerdings schlossen die Autoren damals eine attestierte NT bei unbekannter Todesursache nicht mit ein. Die Rostocker Untersuchung stellte eine falsch bescheinigte NT bei 0,44 % der in die Studie eingeschlossenen Verstorbenen fest [7]. In Hamburg wurde im Rahmen der Krematoriumsleichenschau bei 3,9 % zu Unrecht ein NT bescheinigt, weit überwiegend, wenn der Tod sturzassoziiert war [42]. Bei der Durchführung einer Krematoriumsleichenschau stehen dem LS zur Überprüfung des Sachverhaltes aber ganz andere Möglichkeiten zur Verfügung: Neben der körperlichen Untersuchung des Verstorbenen besteht auch die Möglichkeit, Krankenunterlagen, Arztberichte etc. anzufordern, die Leiche „anzuhalten“ und Polizei resp. Staatsanwaltschaft zu informieren. Die Autoren sehen eine weitere Möglichkeit für die erheblichen Unterschiede in der Häufigkeit einer falsch attestierten NT darin, dass in vorliegender Studie ausschließlich die TB betagter Verstorbener untersucht wurden. Eine NNT wird umso seltener attestiert, je älter der Verstorbene war [24]. Weitere Gründe hierfür könnten sein, dass das Ableben hochbetagter, multimorbider und pflegebedürftiger Menschen als zu erwartendes natürliches Ereignis wahrgenommen wird [15] und nach wie vor Wissenslücken der Leichenschauer bestehen, wann eine UT bzw. NNT zu attestieren ist. Die Definition des natürlichen bzw. nichtnatürlichen Todes scheint nicht allen Ärzten geläufig zu sein. Bedauerlicherweise wurde in das zum 01.07.2021 geänderte amtliche Formular der bayerischen Todesbescheinigung bzw. in die Erläuterungen keine Legaldefinition des NT aufgenommen, obwohl diese im Referentenentwurf zur BestV noch enthalten war [43, 44]. Dieses hätte für leichenschauenden Kollegen in der Praxis Rechtsklarheit und Argumentationssicherheit bedeutet. Als Parameter für eine geringe Fehlerquote ausgestellter TB konnten für Münchner Kliniken herausgearbeitet werden: Supervision jüngerer durch erfahrene Kollegen, geringe Personalfluktuation und Kontrolle durch Oberärzte vor Weiterleitung an das Sterbebüro [6]. Endzustände wurden vom LS unzulässigerweise bei nahezu 14 % der untersuchten Sterbefälle als unmittelbare Todesursache und bei 0,5 % als zugrunde liegende Erkrankung angegeben. Die Zahlen der Rostocker Studie liegen mit 18 % in derselben Größenordnung [7]. Über die Jahre hinweg konnte trotz des dualen Ansatzes von fortlaufender Kontrolle der eingehenden Todesbescheinigungen und Angebot von klinikinternen Fortbildungsmaßnahmen durch die Münchner Gesundheitsbehörde keine Verbesserung der Beanstandungsquoten im Vergleich zu den Jahren 2010–2013 erzielt werden. Damals wurden Fehler in der attestierten Todesart bei 1 %, kein Vermerk sicherer Todeszeichen bei 15,7 % und eine nichtplausible Todesursachenkaskade bei 7,5 % der TB erhoben. Die Beanstandungsraten zwischen Klinik- und niedergelassenen Ärzten unterschieden sich nicht [5]. Es stellt sich die Frage, warum dann keine Verbesserung erzielt werden konnte. Den Autoren scheinen hierfür zwei Gründe maßgeblich zu sein: Zum einen findet bei den überwiegend jüngeren Klinikärzten eine hohe Fluktuation statt, zum anderen führen die meisten niedergelassenen Kollegen nur sehr wenige Leichenschauen durch. Sollte für den Zeitraum der Ausstellung der hier untersuchten TB (2013–2014) eine unzureichende Vergütung der Leichenschau eine mögliche Motivlage für deren oberflächliche Durchführung gewesen sein: Seit dem 01.01.2020 wird die Leichenschau auf Grundlage der „Fünften Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte“ höher vergütet. Es können hierfür mittlerweile rund 150–200 € abgerechnet werden. Eine positive Auswirkung auf die Qualität der ärztlichen Leichenschau und der ausgefertigten TB bleibt abzuwarten. Die Leichenschau müssen alle Ärzte unabhängig von ihrem Ausbildungsstand und unabhängig von ihrer Erfahrung durchführen. Damit verläuft die Entwicklung der Leichenschau diametral zu der der Medizin, die eine zunehmende Tendenz zur Spezialisierung aufweist. Bei den Ärzten des forensischen Leichenschaudienstes zeigten sich erneut die wenigsten Beanstandungen, was die große Bedeutung einer qualifizierten Schulung und damit einhergehender Erfahrung bei der Leichenschau unterstreicht. Die seit Jahren schlechte Qualität ausgestellter TB scheint nicht nur ein nationales [45], sondern auch ein internationales Problem zu sein. Übereinstimmend werden neben einem unvollständigen Ausfüllen der TB als häufigste Beanstandungspunkte fehlerhafte Todesursache und -art genannt [46,47,48].

Limitationen

Für die Datenerhebung und -auswertung lagen ausschließlich die von den leichenschauenden Ärzten im Original ausgefertigten TB vor, jedoch keine ergänzenden Unterlagen wie Klinik- oder Pflegeberichte. Die Dateneingabe der TB erfolgte auf Grundlage des Originals der vom LS ausgestellten Urkunde, aus methodischen Gründen wurden evtl. erforderliche oder nach Beanstandung des Gesundheitsreferates angebrachte Korrekturen nicht berücksichtigt. Eine retrospektive Kontrolle der TB im Gesundheitsamt kann nur in sich unstimmige TB zutage fördern. Korrekt ausgefüllte, aber medizinisch falsche TB können mit dieser Methode nicht identifiziert werden. Das ist nur mittels einer Obduktion möglich. Stärken der Untersuchung sind: große Fallzahl, valide Erfassung der Sterbeorte, Vollerfassung der TB für das betrachtete Sterbealter.

Fazit

Zusammenfassend zeigt diese Untersuchung erneut erhebliche Qualitätsmängel bei der Ausfertigung von TB, welche auch rechtsrelevante Auswirkungen zeitigen können. Die Qualität der TB konnte in den letzten Jahren trotz des dualen Ansatzes der Münchner Gesundheitsbehörde (Kontrolle, Schulung) und trotz Einleitung von Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht nachhaltig verbessert werden. Die beste Qualität zeigten erneut die TB der Ärzte des forensischen Leichenschaudienstes. Todesarten und Todesursachen zeigen teils erhebliche Unterschiede in Abhängigkeit von Sterbeort und leichenschauendem Arzt. Die festgestellten Defizite der von den Leichenschauern unter der Rubrik „Todesursachen“ gemachten Angaben dürften auch auf die Todesursachenstatistik negative Auswirkungen haben – national wie international [49, 50].

Ausblick

Es können vonseiten des Gesundheitsamtes und der Rechtsmedizin bei dieser „never ending story“ nur wiederholt drei Forderungen an die Verantwortlichen adressiert werden:

  • Die Qualität der Leichenschau und der ausgefüllten TB muss durch (verpflichtende) Schulungen der Leichenschauer verbessert werden. Die Anzahl der LS muss reduziert werden, damit die „aktiven LS“ durch eine große Zahl an Leichenschauen Erfahrung sammeln können.

  • Eine Qualitätssicherung der ärztlichen Arbeit und ein zuverlässiger Überblick über die tatsächlichen Häufigkeiten der Todesursachen kann nur dann gelingen, wenn man die Obduktionsraten deutlich steigert.

  • Für Angehörige muss grundsätzlich die Möglichkeit einer für sie kostenfreien Obduktion bestehen, wie das in der ehemaligen DDR üblich war.

Es bleibt zu hoffen, dass die Einführung der Kremationsleichenschau in Bayern einen positiven Beitrag zur Verbesserung der Qualität der Leichenschau leisten kann. Für München sind entsprechende Nachfolgestudien vorgesehen.