Das tiefe Innenband (dMCL) ist Bestandteil des medialen Seitenbandkomplexes, welcher sich in 3 Schichten unterteilen lässt [5, 18]. Die erste, oberflächliche Schicht bildet die Sartoriusfaszie als Teil der tiefen Beinfaszie. In der zweiten, mittleren Schicht befindet sich das oberflächliche mediale Seitenband (sMCL) und das mediale patellofemorale Ligament (MPFL). In der dritten, kapsulären Schicht unterhalb des sMCL liegt das dMCL mit seinen meniskofemoralen und meniskotibialen Anteilen (Abb. 1). Nach dorsal verschmelzen Schicht 2 und 3, wo die posteromediale Gelenkecke durch das hintere Schrägband (POL) verstärkt wird [5, 12, 15, 18].

Abb. 1
figure 1

Anatomische Präparation der medialen Seite des Kniegelenks. Als Orientierungspunkte dienen anterior die Patella (schwarze Pfeilspitze), posterior der mediale Kopf des M. gastrocnemius (weiße Pfeilspitze) sowie der umgeschlagene proximale und distale Anteil des intraligamentär durchtrennten oberflächlichen Innenbands (schwarze Sterne). Der femorale (dünne schwarze Pfeile) und tibiale Ansatz (dünne weiße Pfeile) des tiefen Innenbands mit dem meniskofemoralen (dicker schwarzer Pfeil) und meniskotibialen (dicker weißer Pfeil) Anteil sind dargestellt. Posterior davon zeigen sich der Verlauf des hinteren Schrägbands (grüne Pfeilspitzen) und die Sehne des M. semimembranosus (roter Pfeil)

Das dMCL erstreckt sich über eine Länge von 29–33 mm bei einer Breite von 5–9 mm [15]. Der meniskofemorale Anteil hat seinen Ursprung 4–8 mm distal und 1–3 mm posterior des Epicondylus medialis mit einer anteroposterioren Ausbreitung von etwa 7 mm [15, 21]. Von dort zieht dieser 15–17 mm nach distal und inseriert an der Basis des medialen Meniskus [15]. Der wesentlich kürzere, jedoch kräftigere meniskotibiale Teil des dMCL („coronary ligament“), zieht vom Unterrand der Meniskusbasis nach distal und inseriert 8 mm distal der Knochenknorpelgrenze [15, 21]. Die tibiale Insertion befindet sich dabei unmittelbar proximal der Sehne des M. semimembranosus [21]. In einer aktuellen Arbeit von Willinger et al. [22] wird der Verlauf der Fasern des dMCL als schräg von proximal posterior nach distal anterior verlaufend beschrieben.

Kennedy und Fowler [11] postulierten 1965 die isolierte Läsion des dMCL als grundlegende Läsion des Innenbandkomplexes, welche als Folge einer forcierten Außenrotation der Tibia auftritt. Kurz darauf beschrieben Slocum und Larson [16] in ihrer Abhandlung über die anteromediale Rotationsinstabilität (AMRI), dass eine Ruptur des tiefen Innenbands sowohl als isolierte Verletzung oder auch in Kombination mit dem sMCL zu einer Zunahme der Außenrotation führt. Dabei liegt die maximale Versagenslast des dMCL im Vergleich zum sMCL deutlich darunter (194 vs. 534 N; [14]).

Fallbericht

Anamnese

Ein 15-jähriger Nachwuchsathlet kam mit Schmerzen an der Innenseite des linken Knies in die unfallchirurgische Ambulanz. Er berichtete, dass er sich gestern beim Fußballspielen als Folge eines harten Passes gegen die Fußspitze das Knie nach außen verdrehte.

Befund und Diagnostik

Die klinische Untersuchung zeigte einen minimalen Gelenkerguss und deutlichen Druckschmerz über dem medialen Gelenkspalt nach proximal ziehend. Die Beweglichkeit war schmerzbedingt eingeschränkt (ROM S 0‑10-100°), und der Außenrotationstest (Dial-Test) in 90° Flexion zeigte einen deutlichen Dehnungsschmerz. Die Prüfung der Kreuz- und Seitenbandstabilität blieb wie die Röntgenabklärung des linken Knies unauffällig. Am selben Tag wurde eine weiterführende Untersuchung mittels Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt.

Diagnose

Die erste Verdachtsdiagnose einer Innenmeniskusläsion bestätigte sich in der MRT-Untersuchung nicht. Stattdessen zeigte sich das Bild einer isolierten femoralen Avulsion des tiefen Innenbands (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Magnetresonanztomographie (MRT) des linken Kniegelenks zum Fallbeispiel. a T2-gewichtete Sequenz in koronarer Abbildung mit femoraler Avulsion des tiefen Innenbands (dMCL) und dem dMCL-Sulkus (gelber Pfeil). b T2-gewichtete axiale Aufnahme mit intaktem oberflächlichem Innenband (weißer Pfeil) und rupturiertem tiefem Innenband (gelber Pfeil). cd T2-gewichtete Bilder der Kontroll-MRT in koronarer Schnittführung, mit intaktem oberflächlichem Innenband (weißer Pfeil) und radiologisch noch nicht verheiltem tiefem Innenband (gelber Pfeil)

Therapie und Verlauf

Die ersten Therapiemaßnahmen erfolgten durch Schonung, Hochlagerung sowie Anordnung eines Salbenverbands und einer oralen Schmerztherapie. Eine lange Knie-Softorthese mit limitiertem Bewegungsumfang wurde für 5 Wochen (1 Woche: S 0-10-60°, 2 Wochen: S 0-10-90°, 2 Wochen: S 0-0-90°) verordnet, wobei eine Abnahme der Schiene und schmerzadaptierte freie Bewegung im kontrollierten Umfeld erlaubt waren. Bei der Nachuntersuchung 5 Wochen nach Trauma zeigte sich ein unauffälliger klinischer Befund und der Patient konnte beschwerdefrei und wie geplant am Fußballtrainingslager teilnehmen. Im Kontroll-MRT, welches 5 Wochen nach dem initialen Trauma (Abb. 2) angefertigt wurde, zeigte sich die Läsion des dMCL radiologisch noch nicht verheilt.

Diskussion

Im aktuellen Fall lag eine isolierte Ruptur des dMCL bei intaktem sMCL vor. Aufgrund der anatomischen Nähe ist die klinisch Diagnose in der Akutphase oftmals schwer von einer Läsion des medialen Meniskus zu differenzieren [2, 9, 10]. Jones et al. [10] empfehlen daher während der klinischen Untersuchung das genaue Aufsuchen des dMCL-Sulkus (Abb. 1), welcher distal des Epicondylus medialis liegt. An dieser Stelle zeigt sich das dMCL meist punktuell schmerzhaft und im chronischen Stadium auch verdickt. Der schmerzhafte Dial-Test, sprich: die forcierte Außenrotation der Tibia ohne klinisch fassbare Instabilität (<2°), entspricht in Kombination mit einem unauffälligen Valgus-Stresstest einer anteromedialen Instabilität Grad 1 [19, 20].

Die Therapie einer isolierten dMCL-Läsion richtet sich im vorgestellten Fall nach den konservativen Maßnahmen einer sog. Grad 1/2-Verletzung des Innenbands [4, 6,7,8], wobei in den gängigen Klassifikationen keine genaue Differenzierung der verletzten Innenbandstrukturen getroffen wird. Nach der Initialphase mit Schonung und Schmerztherapie zur Linderung der Beschwerden folgt die Phase der Frühmobilisation, um eine dauerhafte Einschränkung der Beweglichkeit zu verhindern. Der Bewegungsumfang kann anhand einer Orthese entsprechend dem individuellen schmerzfreien Bewegungsausmaß für mindestens 3 Wochen limitiert werden [6]. Dabei sollten Außenrotationsbewegungen der Tibia vermieden werden [1, 22]. Eine Verlängerung der Orthesenfrist bis zu 6 Wochen scheint je nach Beschwerdebild sinnvoll [6], da eine zu schnelle Rückkehr zum Sport den Heilungsprozess negativ beeinflussen könnte [13].

In der aktuellen Literatur finden sich 4 klinische Studien zur chronischen dMCL-Läsion [10, 13, 23, 24]. Als mögliche Ursachen der Chronifizierung wird ein „leakage of synovial fluid“, d. h. ein extraartikulärer Austritt der Synovia und darin enthaltener Entzündungsmediatoren im Bereich der dMCL-Läsion, diskutiert [13, 24]. Inwiefern eine primäre Begleitläsion des sMCL zur Pathogenese einer chronischen dMCL-Läsion beiträgt oder ob eine primär isolierte dMCL-Läsion wie im aktuellen Fallbeispiel auch zu chronischen Beschwerden führen kann, ist unklar [10, 24].

Jones et al. [10] behandelten im Zeitraum von 2004 bis 2006 34 Amateursportler, welche eine bereits abgeheilte Verletzung des sMCL Grad 1 (lokaler Druckschmerz im Verlauf des sMCL) oder 2 (partielle Ruptur des sMCL) mit persistierenden Beschwerden im Bereich des dMCL aufwiesen. Die dMCL-Läsion wurde anhand einer MRT in Grad 1–3 klassifiziert, wobei Grad 1 eine Verdickung, Grad 2 eine partielle Diskontinuität und Grad 3 eine vollständige Diskontinuität darstellt. Bei anhaltenden Beschwerden 3 Monate nach dem Trauma erfolgte eine ultraschallgezielte Kortisoninjektion. Nach durchschnittlich 20 Monaten kehrten 21 von 26 nachuntersuchten Patienten zu ihrem ursprünglichen Aktivitätsniveau zurück.

Sowohl Jones et al. [10] als auch Narvani et al. [13] beschreiben 3 bis 18 Monate nach der initialen Verletzung ein ähnliches Beschwerdebild der chronischen dMCL-Läsion. Dazu zählen Schmerzen bei schnellen Richtungswechseln, Außenrotationsbewegungen und Pässen mit der Innenseite des Fußes [10, 13]. Diese Beschwerden decken sich mit den biomechanischen Beobachtungen, welche ein Anspannen des dMCL bei Außenrotation der Tibia zeigten [3, 11, 14, 16, 22].

In zwei weiteren Studien [23, 24] erwies sich die lokale Injektionstherapie mit „platelet-rich plasma“ (PRP) als erfolgreiche Therapieoption nach vorheriger Kortisoninjektion. Yoshida et al. [23] behandelten 3 Patienten, welche seit mehr als 8 Monaten symptomatisch waren. Die Injektion erfolgte ultraschallgezielt in den femoralen Anteil des dMCL. Zou et al. [24] behandelten insgesamt 52 Personen mit MR-verifizierter dMCL-Läsion und Beschwerden seit mindestens 3 Monaten. Die Autoren applizierten das PRP jedoch intraartikulär mit der Absicht, dass die darin enthaltenen Wachstumsfaktoren durch den Synovia-Austritt an die Stelle der Läsion gelangen würden [13]. Die Therapie erfolgte über 3 Wochen mit einer Injektion pro Woche. Alle Patienten waren nach der 3. Woche schmerzfrei. Eine zusätzliche MRT-Untersuchung nach 6 Monaten zeigte eine vollständige Heilung des dMCL.

Die extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) stellt möglicherweise eine weitere Therapieoption in der Behandlung der chronischen Innenbandverletzung dar. Arbeiten, welche explizit eine Therapie von Knochen-Band-Läsionen untersuchten, konnten bei der Literaturrecherche nicht gefunden werden. Wang et al. [17] zeigten jedoch am Tiermodell (Hase) die Wirksamkeit der ESWT bei verzögerter Knochen-Sehnen-Heilung. Die Autoren fanden in der Gruppe mit ESWT-Behandlung nach 8 (67,7 %) und 12 Wochen (45,1 %) eine deutlich höhere Versagenslast als in der Gruppe ohne ESWT. Histologische Schnitte konnten außerdem eine dichtere Anordnung von Kollagenfasern nach durchgeführter ESWT nachweisen [17].

In der Gruppe von Narvani et al. [13] wurden 17 Patienten aus dem Profi- und Hochleistungssport (15 Fußballspieler, 1 Rugbyspieler, 1 Radfahrer) eingeschlossen, welche initial teils kombinierte dMCL/sMCL aber auch isolierte Verletzungen des dMCL zeigten. Nach frustraner Physiotherapie und lokaler Kortisoninjektion folgte der operative Eingriff entsprechend dem dargestellten Therapiealgorithmus in Abb. 3. Im Rahmen des operativen Verfahrens erfolgte eine longitudinale Inzision der Haut über dem medialen Femurepikondyl und eine schichtweise Präparation bis an das sMCL, welches im Faserverlauf gespalten wurde. Anschließend wurde der proximale Anteil des dMCL mit seiner Läsion dargestellt. Das dMCL wurde daraufhin bei einer intraligamentären Läsion mit resorbierbaren Nähten adaptiert und im Fall einer femoralen Avulsion mit einem Knochenanker refixiert [13]. Alle 17 Patienten waren 12 und 48 Wochen nach dem operativen Eingriff schmerzfrei und hatten keinerlei funktionelle Einschränkungen.

Abb. 3
figure 3

Empfehlung eines Therapiealgorithmus der akut bis chronischen Läsion des tiefen Innenbands

Im aktuellen Fallbeispiel verlief die Genesung komplikationslos, wobei das Kontroll-MRT (Abb. 2) 5 Wochen nach Trauma noch keine Restitutio ad integrum des dMCL zeigte.

Eine differenzierte Behandlung der dMCL-Läsion scheint sowohl im akuten als auch im chronischen Stadium zielführend [10, 13, 23, 24]. Ein mögliches Therapieschema wird in Abb. 3 dargestellt.