Liebe Leserinnen und Leser,

„Die Computertomographie ist bald obsolet.“ Wie häufig haben wir dies in den letzten paar Jahrzehnten gehört? „Totgesagt“ träfe es besser. Genauso oft wie für die Computertomographie (CT) der Abgesang ertönte, erstand sie neu, jedes Mal mit einer neuen Überraschung im Gepäck. Gründe, ohne sie auskommen zu wollen, gab und gibt es reichlich, bedenkt man, dass sie für den Löwenanteil der zivilisatorischen Strahlenbelastung in Deutschland verantwortlich ist. So richten sich zurecht die Bemühungen darauf, die Strahlendosis pro Untersuchung zu senken und die Indikationen zur CT zu schärfen – ein ehrenwertes, aber irgendwie auch langweiliges Geschäft. Aber nein, es gibt mehr und Spannendes zu berichten, über Dinge, die teils bereits zu haben sind (so das nötige Geld vorhanden ist), aber auch über Entwicklungen, die einen Blick in die Ideen und Labore der Forscher wert sind.

Die Spektral-CT ist vielfach in Form der Dual-Energy-CT (Zwei-Spektren-CT) in zahlreichen Installationen bereits vorhanden: Scannen mit zwei Energien, sei es aus zwei orthogonal angeordneten Strahlenquellen, durch Tube-Voltage-Switching, also dem schnellen Umschalten zwischen zwei Röhrenspannungen, durch zweilagige Detektorsätze, die zeitgleich operieren und deren obere Lage als Vorfilter für die darunter liegende Lage fungiert, oder durch Aufteilung des Strahlenkegels entlang der Detektorzeilenrichtung durch zwei verschiedene Vorfilter. Hiermit kann man aus einem einzigen Scan bereits eine Menge herausholen, so z. B. virtuell-native Scans, virtuelle monoenergetische Bilder mit gesteigertem Jodkontrast oder Jodkarten. Doch den großen Sprung vorwärts assoziieren wir mit der photonenzählenden CT („photon-counting CT“, PCCT), mit der die Röntgenquanten nicht erst in sichtbare Lichtquanten und diese mittels Photodioden in elektrische Signale übersetzt werden müssen, sondern diese dank eines neuartigen (und teuren) Detektors direkt erzeugen, und dies obendrein mit der Information über die Photonenenergie im Gepäck (siehe Beitrag Y.C. Layer in diesem Heft). Ein wenig vergröbert schon, nämlich in vier Bins, also in vier Klassen zwischen ganz hoch und ganz niedrig, aber allein dies bereits ist ein mächtiges Werkzeug zur Charakterisierung von Gewebezusammensetzung und Kontrastmitteleigenschaften. Zugleich ist die räumliche Auflösung besser als bei den bisherigen energieintegrierenden Detektoren, und zwar so, dass man es unmittelbar sieht und nicht allein auf die Zahlenangaben im Verkaufsprospekt vertrauen muss. Diese sprechen indes deutlich für die Methode und weisen eine Reduktion von Rauschen und Artefakten aus sowie das Potenzial für eine Dosiseinsparung – sofern man es nutzt. Dass die Goodies der Dual-Energy-CT auch in der PCCT verfügbar sind, muss nicht erst betont werden. Erstmals kann sogar über andere Kontrastmittel als Jod nachgedacht werden, und über eine Steigerung des Kontrasts durch Nutzung von Energien nahe der K‑Kante, aber mehr dazu weiter unten.

Die CT ist nicht nur ein diagnostisches Werkzeug, sondern exquisit dazu geeignet, minimal-invasive Eingriffe zu steuern – unter anderem zur Gewebegewinnung, zur Drainage pathologischer Flüssigkeitsansammlungen und zur lokalen Therapie wie bei der thermischen Ablation von Tumoren oder deren Metastasen. Inzwischen liegt ausgiebige Evidenz zum Einfluss der Tumorablation auf die Prognose vor, selbst in nicht mehr kurablen Krankheitsstadien (siehe Beitrag P. Bruners in diesem Heft).

Die Reduktion der Strahlendosis ist keineswegs ein langweiliges Geschäft, wie zunächst angedeutet, sondern eine spannende Angelegenheit, die Expertise in einer Reihe von Disziplinen erfordert und weit über das heute gängige Maß hinausreichen kann (siehe Beitrag M. Kachelrieß in diesem Heft). Heute gängig, das ist die Röhrenstrommodulation („tube current modulation“, TCM) zunächst in z‑Richtung, und auch in Winkelrichtung. Den Input für die TCM längs der z‑Richtung zieht der Scanner je nach Hersteller und Modell aus dem Topogramm und ggf. in Quasi-Echtzeit aus den Schwächungsdaten, was gegenüber dem unmodulierten Röhrenstrom bereits eine Dosiseinsparung um mehr als die Hälfte einbringen kann, und sie ist darauf gerichtet, im Zentrum des Scanfelds eine einheitliche Strahlenmenge ankommen zu lassen. Je nach Einstrahlwinkel aber ist der erforderliche Röhrenstrom durchaus verschieden, was z. B. auf Höhe der Schultern unmittelbar einleuchtet. Auch kann bei der Thorax-CT eine Herunterregelung des Röhrenstroms während der Einstrahlung von ventral bewirken, dass die Brustdrüsen weit überwiegend vom geschwächten Nutzstrahl getroffen werden und deren Strahlendosis signifikant senken. Was aber bisher unberücksichtigt bleibt, ist die individuelle Strahlenempfindlichkeit der jeweiligen Organe. Mittlerweile ist es möglich, deren ungefähre Lage im Körper mit Hilfe von Topogrammen und ggf. Oberflächenkameras zu ermitteln und zu segmentieren, auch unterstützt durch Methoden der künstlichen Intelligenz (KI). Mit diesem Input kann die Dosisverteilung so gesteuert werden, dass die organspezifische Strahlenempfindlichkeit berücksichtigt und die effektive Dosis minimiert wird. Alles ist softwarebasiert, Eingriffe in die Hardware sind nicht erforderlich – es müsste nur implementiert werden.

Auf eine Reihe von Entwicklungen, werden wir Menschen noch eine Weile warten müssen. Noch ist bei Kontrastmitteln (KM) die einzige Frage, von welchem Hersteller man sein Jod bezieht. Wie oben angesprochen, bietet die PCCT bereits die Möglichkeit, die höhere Strahlenabsorption durch Jod in der Nähe dessen K‑Kante zu nutzen, indem man bevorzugt die entsprechenden Photonenenergien heranzieht. Gemessen am Spektrum der diagnostisch genutzten Strahlung ist die K‑Kante von Jod mit 33,2 keV aber alles andere als günstig gelegen. Bei Elementen höherer Ordnungszahl (die uns nicht alle geläufig sind) liegt die K‑Kante schon eher im diagnostisch genutzten Bereich (bei Ytterbium z. B. bei 61,3 keV), so dass experimentell an diesen Substanzen gearbeitet wird (s. Beitrag S. Sawall in diesem Heft). Faszinierende Möglichkeiten bieten sich da, so z. B. die sequenzielle Injektion zweier verschiedener KM und Aufnahme einer arteriellen und portalvenösen Phase der Leber in einem einzigen Scan, oder auch die Nutzung spezifischer Organaffinitäten von KM. Noch ist dies zweifellos präklinische Forschung, als Patienten dienen Angehörige der Spezies „Rattus Norwegicus“ oder deren Vetter, alle Fragen bezüglich Sicherheit und Verträglichkeit bei der Anwendung am Menschen sind offen, ebenso die Frage, ob diese je stattfinden wird. Aber ohne Forschung wird es auf diese Fragen nie eine Antwort geben.

Haben Sie sich schon einmal darüber geärgert, wie Ihre staubige Windschutzscheibe im seitlichen Sonnenlicht erstrahlt und Ihren Blick voraus stört? Was Sie hier stört, nämlich die Wechselwirkung zwischen Licht als Welle mit einem feingranulären Objekt – der Scheibe –, ist das Wirkprinzip der Dunkelfeld-CT, welche die Wechselwirkung der Röntgenwelle mit Strukturen im Körper nutzt, die eine granuläre Struktur haben, so z. B. Lungengewebe mit seinen Alveolen, möglicherweise auch die Spongiosa des Knochens und andere. Das Spannende ist, dass Veränderungen unterhalb der eigentlichen Auflösungsgrenze (z. B. Lungenemphysem oder -fibrose) das Dunkelfeldsignal beeinflussen und zu charakteristischen Veränderungen im Bild führen können – ein gänzlich neuer, ungeheuer spannender Ansatz (s. Beitrag F. Pfeiffer in diesem Heft). In planarer Technik ist diese Methode sogar schon beim Menschen eingesetzt worden; die Implementierung in der Computertomographie ist allerdings in jeder Hinsicht eine Herausforderung, aber erste experimentelle Prototypen existieren bereits.

Während Presse, Öffentlichkeit und die akademische Welt sich darob die Haare raufen, wie mit ChatGPT oder dergleichen umzugehen ist, hat die KI sich klammheimlich in unserem Alltag eingenistet, wo wir sie nicht vermuten, so auch in der Radiologie (s. Beitrag C. Hoeschen in diesem Heft). Ein verführerischer Gedanke: Aus CT-Daten aus Ultra-low-dose-Scans mit Hilfe der KI ansprechende Bilder zu errechnen, auch wenn auf den konventionell rekonstruierten Bildern niemand etwas Sinnvolles erkennen würde – außer den Körperkonturen vielleicht. Das Rezept ist vergleichsweise einfach: Man nehme CT-Bilder in Standardqualität und deren Rohdaten, verrausche künstlich die Letzteren, lasse die KI lernen, wie sie aus den schlechten Bildern die guten macht, und wende die so trainierten Netze auf prospektive, klinische Low-dose-Datensätze an. Eine unsägliche Vereinfachung, natürlich, aber dieses Setting unterscheidet sich grundlegend von den KI-Helferlein, die uns unermüdlich bei der Suche nach Lungenrundherden oder nach Rippenosteolysen unterstützen, uns sagen, ob eine Leberläsion gut oder bös ist, oder ob die Radiomics-Signatur eines Tumors eine ungünstige Prognose besagt. Warum? Weil in all diesen Szenarien der Mensch das letzte Urteil hat, indem ihm alle diagnostischen Informationen zur Verfügung stehen. Wenn aber die primären Rohdaten bereits kein diagnostisch verwertbares Bild hergeben, ist uns der Rückweg zur „ground truth“ abgeschnitten. Was, wenn die KI einem Artefakt aufgesessen ist, das sie nie gelernt, mit einem Befund konfrontiert ist, den sie im Training nie gesehen hat? Das Ganze löst eine Vielzahl offener Fragen aus, über Qualitätssicherung, nachvollziehbare und transparente Algorithmen (warum hat die KI so und nicht anders entschieden?), über Sicherheit und Zulassungsvoraussetzungen, und schließlich über die Rechtfertigung einer Strahlenanwendung, wenn der diagnostische Wert in Frage steht. Reine Dystopie, meinen Sie? Sie können es schon kaufen, schauen Sie mal in die Prospekte!

Wir sehen, die alte Tante CT hat ihre besten Jahre keineswegs hinter sich und behauptet trotz aller Fortschritte in der MRT ihre Stellung nicht nur als Arbeitspferd, sondern als hochmoderne diagnostische Modalität. Trotz allem kommen wir auch nicht an der damit verbundenen Strahlenbelastung vorbei.

Im Editorial zu unserem Themenheft über das maligne Melanom schrieben wir 2014: „Im Moment haben unsere Patienten noch andere Sorgen als das langfristige Strahlenrisiko. Es bleibt zu hoffen, dass die Behandlung einmal so nachhaltig greift, dass wir uns über letzteres ernsthafte Gedanken machen müssen.“ Jetzt, 2023, ist es an der Zeit, uns diese Gedanken zu machen, auch in der onkologischen Bildgebung. Nicht zuletzt dank der Fortschritte in der Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren und zielgerichteten Substanzen sehen wir zunehmend Patientinnen und Patienten, die auch eine metastasierte Krebserkrankung überlebt haben, und es hoffentlich auch weiterhin tun werden. Viele von ihnen wurden im Rahmen klinischer Arzneimittelprüfungen behandelt, und diese implizieren regelmäßige bildgebende Kontrollen, meist mit CT. Personen, die − grob überschlagen − mehr als 500 mSv erhalten haben, sind auch keine Seltenheit mehr, und damit ist das Strahlenrisiko, bei aller Rechtfertigung, nicht mehr zu vernachlässigen. Demzufolge benötigen wir weiterhin dringend Forschung und Entwicklung an dosisarmen Verfahren, vor allem aber müssen wir stets die Notwendigkeit einer Untersuchung, die Wahl der Methode und mögliche Alternativen kritisch hinterfragen, mit der Situation jedes einzelnen Patienten, jeder Patientin im Blick.

Ihre

Stefan Delorme

Marc Kachelrieß