Symptome bzw. Erkrankungen der Muskulatur und der neuromuskulären Transmission, die während oder nach einer COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Erkrankung beschrieben wurden, umfassen Myalgien, Myositiden, Rhabdomyolyse, Myasthenia gravis und „intensive care-unit(ICU)-acquired weakness“ (ICUAW).

Myalgien infolge COVID-19

Myalgien sind ein häufiges und frühes Symptom während COVID-19 (ca. 35 % in der Studie von Wang und Kollegen [37] und über 50 % bei Lechient et al. [25]). Dies ist vergleichbar mit der Häufigkeit von Myalgien bei der saisonalen Influenza 46 % [32]. Bei etwa einem Drittel der Patienten ist eine erhöhte Kreatinkinase (CK) im Serum nachweisbar [21]. In etwa der Hälfte der Patienten bessern sich die Myalgien innerhalb weniger Tage, ähnlich wie die Symptome Fieber und Husten [26, 38].

Patienten, die Myalgien und eine erhöhte CK (> 3.3333 μmol/sl) aufweisen, zeigen häufiger Leber- und Nierenschäden und haben einer chinesischen Studie zufolge ein höheres Risiko (Odds Ratio [OR] = 2,56, bei CK > 3.0833 μmol/sl) an COVID-19 zu versterben [27, 39]. Diese Assoziation wurde allerdings in einer vergleichbaren Studie aus New York nicht gefunden [10] und ist deutlich geringer im Vergleich zu anderen prognostisch relevanten Laborparametern, z. B. einer erhöhten Laktadehydrogenase (OR = 37,52) oder einem erhöhten C‑reaktiven Protein (OR = 12,11; [27]).

Myositiden

Aktuell sind wenige Fälle einer Myositis nach COVID-19 bekannt. Die Diagnose basierte überwiegend nur auf (unspezifischen) magnetresonanztomographischen (MRT-)Veränderungen [4, 29]. Eine kleine Fallserie aus Indien berichtet von 5 Patienten mit Dermatomyositis bei COVID-19-Patienten, die auf die gängigen Immuntherapien (Kortikoide, Immunglobuline) ansprachen [16].

Rhabdomyolyse

Rhabdomyolyse ist ein klinisches und biochemisches Syndrom, das durch eine akute Nekrose von Skelettmuskulatur ausgelöst wird. Klinisch bedeutsam ist eine Myoglobinurie, die in 15–33 % der Fälle zu einem Nierenversagen führt. In weniger als 5 % der Fälle verläuft die Rhabdomyolyse tödlich. Virusinfektionen sind bei Kindern eine häufigere Ursache, bei Erwachsenen sind Substanzkonsum, Trauma und epileptische Anfälle häufige Auslöser, Virusinfektionen, bis auf Influenza A, hingegen sehr selten. In der Literatur sind mindestens 38 Fälle einer Rhabdomyolyse während oder nach einer COVID-19-Infektion beschrieben: Diese kann sowohl früh in der Erkrankungsphase, offenbar auch als erstes Symptom [35], als auch im späteren klinischen Verlauf [5, 11] auftreten. Die Serum-CK-Werte können dabei Werte bis zu mehr als 6688 μmol/sl im Verlauf annehmen [5]. Die Häufigkeit einer COVID-19-assoziierten Rhabdomyolyse ist nicht bekannt. Eine Arbeit aus China aus der Frühphase der Pandemie berichtet von 2 von 1099 Patienten [18]. Es scheint sich somit um eine seltenere Komplikation zu handeln.

Merke

Myalgien und Asthenie, die typischen Symptome einer Rhabdomyolyse, können durch Analgosedierung maskiert sein. Daher sollten regelmäßige CK-Kontrollen bei analogsedierten COVID-19-Patienten erfolgen.

Bis November 2020 sind mindestens 38 Fälle einer COVID-19-assoziierten Rhabdomyolyse beschrieben worden, von denen 10 tödlich verliefen. Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass bei einigen Patienten eine Komedikation mit möglicherweise myotoxischen Substanzen bestand, wie beispielsweise Imatinib [12, 33], Paclitaxel [11, 36] oder Rosuvastatin [1]. Histopathologische Untersuchungen bzw. elektromyographische (EMG-)Untersuchungen wurden in der Regel nicht durchgeführt. Es wird angenommen, dass viral vermittelte Rhabdomyolysen durch direkte virale Invasion der Muskeln hervorgerufen werden. In der Folge entstehen Muskelnekrosen durch virale Toxine oder durch eine aberrante Immunreaktion. SARS-CoV‑2 infiziert den Wirt über den „Angiotensin-converting-enzyme-2“(ACE2)-Rezeptor. Der ACE2-Rezeptor wird von Muskelzellen, aber auch Endothelzellen exprimiert, sodass eine direkte Infektion von Muskelzellen möglich ist [2, 19].

„ICU acquired weakness“

Unter dem Begriff der „ICU acquired weakness“ (ICUAW) werden eine Critical-illness-Polyneuropathie (CIP) und eine Critical-illness-Myopathie (CIM) zusammengefasst (Tab. 1).

Tab. 1 Konzept der „intensive care unit acquired weakness“. (Nach [3, 13])

Obwohl beide Erkrankungen klinisch und elektrophysiologisch prinzipiell unterscheidbar sind, wird häufig von einer ICUAW oder Critical-illness-Polyneuropathie-Myopathie (CIPM) gesprochen, um der klinischen Überlappung (nicht zuletzt aufgrund erschwerter Diagnostik auf der Intensivstation) sowie dem Konzept eines gemeinsamen Pathomechanismus mit lediglich unterschiedlicher Organmanifestation Rechnung zu tragen (Tab. 1).

Dieses beinhaltet eine gestörte Mikrozirkulation des Nerven- und Muskelgewebes sowie Dysfunktion von Mitochondrien, möglicherweise durch Hyperglykämien getriggert. Andere Faktoren, von denen angenommen wird, dass sie zur ICUAW beitragen, sind eine katabole Stoffwechsellage, systemische Inflammation und oxidativer Stress [24].

Es ist davon auszugehen, dass ICUAW eine häufige und relevante Komplikation bei COVID-19 ist

Die hohe Rate intensivpflichtiger Patienten, die eine oder mehrere Episoden einer Sepsis durchleiden, und die häufige Notwendigkeit einer prolongierten Beatmung legen nahe, dass bei COVID-19-Patienten das Auftreten einer ICUAW eine klinisch besonders relevante Komplikation darstellen könnte. Bisher ist allerdings nicht systematisch untersucht, wie häufig ICUAW im Rahmen von COVID-19 auftritt. Neben Fallberichten gibt es eine Fallserie von 12 schwer erkrankten COVID-19-Patienten, die zwischen 12 und 49 Tagen auf einer Intensivstation behandelt wurden [6]. Diese berichtet über CIM-kompatible klinische und elektrophysiologische Befunde bei 7 Patienten und bei 4 weiteren Kranken mit einer CIP. Bemerkenswert war der Nachweis ausgeprägter pathologischer Spontanaktivität im EMG bei vielen Patienten, während myopathische Potenziale weniger konsistent nachweisbar waren. Ähnliche EMG-Befunde wurden auch von einer Arbeitsgruppe aus Rom von 6 intubierten COVID-19-Patienten berichtet, wobei diese allerdings zusätzlich das Medikament Hydroxychloroquin erhalten hatten, welches eine toxische Myopathie induzieren kann [8, 28]. Pathologische Spontanaktivität findet man häufig bei einer Myositis, allerdings sind die wenigen Berichte von Muskelbiospien bei COVID-19-Patienten nicht hinweisend auf floride Myositiden, sondern zeigen eher das Bild einer unspezifischen Muskelschädigung/Rhabdomyolyse mit Muskelfasernekrosen ohne Nachweis entzündlicher Infiltrate im Muskel bzw. in den Gefäßen [6].

Einer Muskelbeteiligung bei SARS-CoV-2-Infektionen mit einem Spektrum von Myalgien über Rhabdomyolyse bis hin zu einer CIPM muss nicht zwingend eine gemeinsame Pathogenese zugrunde liegen. Vorstellbar wäre eine direkte Infektion von Muskelzellen, die – wenn auch in niedriger Frequenz – den ACE2-Rezeptor exprimieren [2, 19], über den das SARS-CoV-2-Virus in die Zelle gelangt. Der ACE2-Rezeptor wird von Endothelzellen ebenfalls exprimiert, sodass auch eine Vaskulitis mit primärer Affektion des Muskels vorstellbar wäre [23].

Merke

COVID-19 geht mit bekannten Risikofaktoren einer Critical-illness Polyneuropathie bzw. Myopathie (CIPM) einher. Systematische Untersuchungen über die Häufigkeit von CIPM bei COVID-19 fehlen allerdings bisher.

Myasthenia gravis

Zwei Fallberichte existieren von einer 2 bzw. 4 Wochen nach einer milden COVID-19-Infektion neu aufgetretenen okulären Myasthenia gravis [22, 34]. Die Diagnose wurde aufgrund einer typischen Symptomatik und dem Nachweis erhöhter Acetylcholinrezeptorantikörper gestellt [22, 34]. Therapeutisch wurden erfolgreich Pyridostigmin und intravenöse Immunglobuline (IVIg) eingesetzt. Eine Fallserie aus Italien beschreibt zudem 3 Patienten, bei denen sich eine generalisierte Myasthenia gravis 5 bis 7 Tage nach Infektion mit SARS-CoV‑2 entwickelte. Bei allen Patienten wurden Acetylcholinrezeptorantikörper nachgewiesen. Die Behandlung erfolgte mit Prednisolon, IVIg oder Plasmapherese und führte zu einem Rückgang der Symptome bei allen Patienten [30].

Fieberhafte Infekte können zur klinischen Erstmanifestation einer Myasthenie führen

Es ist durchaus denkbar, dass die SARS-CoV-2-Infektion eine bislang subklinische Myasthenie „demaskiert“, so wie auch andere fieberhafte Infekte zur klinischen Erstmanifestation einer Myasthenie führen können. Auf der anderen Seite weisen Scopelliti und Mitarbeiter auf das Risiko der Fehldiagnose einer COVID-19-Infektion bei Patienten mit neu aufgetretener Myasthenie hin. Sie berichten über einen Patienten, bei dem trotz mehrfach negativer SARS-CoV-2-Polymerase-Kettenreaktion(PCR) eines Nasen-Rachen-Abstrichs eine COVID-19-Infektion ausschließlich aufgrund einer respiratorischen Dysfunktion und dem Verdacht auf eine leichte interstitielle Pneumonie in einem Thoraxröntgenbild diagnostiziert wurde. Erst später traten Doppelbilder und eine Hypophonie auf, sodass letztlich die Diagnose einer (seronegativen) bulbären Manifestation einer Myasthenia gravis u. a. durch Nachweis eines Dekrements gestellt wurde [31]. Bei Patienten mit bekannter Myasthenie, die an COVID-19 erkranken, solle individuell abgewogen werden, die entsprechende Therapie beizubehalten oder zu modifizieren. So wird z. B. ein Wiederanstieg der Lymphozytenzahlen nach Absetzen von Azathioprin erst 3 bis 5 Wochen später zu erwarten sein [7]. Im Gegensatz dazu besteht das Risiko, eine durch COVID-19-bedingte myasthene Krise hervorzurufen.

Cave

Aus den bisherigen Fallberichten zur Myasthenia gravis bei SARS-COV-2-Infektion lässt sich ableiten, dass:

  • die Erstdiagnose einer Myasthenie nach COVID-19 sehr selten ist,

  • sowohl okuläre als auch generalisierte Myasthenien auftreten können,

  • in der Regel Acetylcholinrezeptorantikörper nachweisbar waren,

  • die Myasthenie auf die gängigen Therapien anspricht.

Neuro-COVID oder Publikationsbias? Objektive Bewertung notwendig

Die Vielzahl von Publikationen und klinischen Daten über typische und seltenere außerpulmonale Manifestationsformen in den letzten Monaten dokumentiert den rasanten Zuwachs an Wissen bezüglich SARS-CoV‑2 und COVID-19. So erfreulich dies ist, so ist auf der anderen Seite nicht auszuschließen, dass nicht zuletzt durch „calls for COVID-19 papers“ von Herausgebern und „Open-access“-Initiativen für COVID-19-Artikel von Wissenschaftsverlagen das tatsächliche Ausmaß des Spektrums neurologischer Begleiterscheinungen nach COVID-19 falsch eingeschätzt werden könnte, zumal das obligate „Peer-Review“-Verfahren vor allem zu Beginn der Pandemie nicht konsequent eingesetzt wurde. Um eine Kausalität abzuleiten, plädieren wir dafür, dass Evidenzkriterien formuliert werden, wie sie beispielsweise bei Impfkomplikationen oder bei nichtinfektiösen Erkrankungen definiert wurden [9, 14, 20]. Grundlage sind epidemiologische Faktoren und mechanistische bzw. experimentelle Nachweise (Tab. 2). Keines dieser Kriterien ist für sich genommen beweisend oder muss zwingend erfüllt sein; die Bewertung erfolgt in der Zusammenschau. Fallberichte, als „kleinste publizierbare Einheit in der Medizinliteratur“ [17] sind wichtig, um Hypothesen zu generieren, sollten aber dann auch ausreichende klinische Informationen (demographische Daten, Vordiagnosen, konkurrierende Expositionen, Einzelheiten der Erkrankung, klarer zeitlicher Zusammenhang, Häufigkeit und Dauer der Exposition) beinhalten [9], was natürlich auch für Fallserien gilt. So findet sich z. B. eine Fallserie von Patienten mit Guillain-Barré-Syndrom, bei denen über COVID-19 als Trigger spekuliert wurde, 7 von 8 Patienten aber weder einen SARS-COV-2-positiven Abstrich, noch Antikörper, noch einen kompatiblen Befund in der Thoraxcomputertomographie hatten [15]!

Tab. 2 Anwendung von Kriterien für eine Kausalitätsbewertung für neuromuskuläre Erkrankung nach COVID-19

Wenn man obige Kriterien auf die im ersten (s. Neuromuskuläre Komplikationen einer SARS-CoV-2-Infektion – Teil 1: periphere Nerven in dieser Ausgabe von Der Nervenarzt) und zweiten Teil (Teil 2: Erkrankungen der Muskulatur) dieser Übersicht beschriebenen neuromuskulären Komplikationen nach COVID-19 anlegt, so wird klar, dass diese zwar grundsätzlich plausibel und auch kohärent, d. h. mit dem Krankheitskonzept einer para- bzw. postinfektiösen Genese vereinbar sind. Allerdings zeigt sich ein sehr heterogenes Bild hinsichtlich Häufigkeit und Konsistenz: Bei über 100 Mio. bekannten SARS-CoV-2-Infektionen sind lediglich Anosmie und Myalgien als häufige Folge beschrieben. Diese sind (neben einem GBS) auch konsistent in unterschiedlichen Regionen von verschiedenen Autorengruppen beschrieben worden. Alle anderen Erkrankungen waren hingegen bisher selten. Im Gegensatz dazu scheint ICUAW infolge von COVID-19 sehr plausibel, allerdings gibt es (bisher) hierüber nur wenige valide Daten, weswegen ein COVID-19-assoziiertes ICUAW möglicherweise unterdiagnostiziert sein könnte.

Daher sind prospektive Studien unabdingbar, um das Risiko für das Auftreten (auch seltenerer) neuromuskulären Nebenwirkungen und gegebenenfalls den daraus resultierenden vermehrten Therapie- und Rehabilitationsbedarf besser einschätzen zu können.

Fazit für die Praxis

  • Die Muskulatur scheint bei COVID-19 („coronavirus disease 2019“) am häufigsten in Form von Myalgien symptomatisch betroffen zu sein. In seltenen Fällen scheinen offenbar auch Rhabdomyolysen auftreten zu können, die mit höherer Mortalität vergesellschaftet waren. Myasthenie und andere Erkrankungen der Muskulatur, wie z. B. Myositiden, sind bisher nur ganz vereinzelt beschrieben worden.

  • Zur abschließenden Beurteilung, ob neuromuskuläre Komplikationen kausal durch COVID-19 bedingt sind, müssen erst die Ergebnisse prospektiver Studien abgewartet werden. Dafür sind bereits verschiedene Register in Deutschland und Europa entstanden, z. B. das Nationale Pandemie Kohorten Netz (NAPKON) und das Lean European Open Survey for SARS-CoV‑2 Infected Patients (LEOSS-)Register, die durch einen zu erwartenden Einschluss einer großen Anzahl von Patienten auch geeignet wären, seltenere neurologische Folgeerscheinungen von COVID-19 zu erfassen.