Am 24. März 2015 verstarb Prof. em. Dr. med. Kurt Heinrich (Abb. 1), bis 1992 Ordinarius für Psychiatrie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Abb. 1
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Prof. em. Dr. med. Kurt Heinrich. (Mit freundl. Genehmigung, Hedda Heinrich)

Heinrich (*7. Oktober 1925) wuchs in Mainz und Pirmasens/Pfalz auf. Nach den Kriegswirren beendete er das Medizinstudium 1952 an der Universität Mainz mit der Promotion. An der gleichen Universität erfolgte 1964 seine Habilitation zu hirnbiologischen Sichtweisen paranoider Psychosen.

Nach einer 16-monatigen Tätigkeit als leitender Direktor der Pfälzischen Nervenklinik Landeck wurde er 1972 zum Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie an der Universität Düsseldorf und gleichzeitig zum leitenden Direktor des dortigen Rheinischen Landeskrankenhauses berufen. Er hatte diese Doppelfunktion – Ordinarius für Psychiatrie und Direktor eines großen Landeskrankenhauses – bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1992 inne.

Die Zeit, in der Heinrich 1972 sein Amt in Düsseldorf antrat, war geprägt von den Auswirkungen der 68er mit studentischen Unruhen, außerparlamentarischer Opposition und der Entstehung einer antipsychiatrischen Bewegung, die vorgab, dass psychische Erkrankungen lediglich das Produkt einer krankmachenden bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft seien und die Psychiatrie zur Stigmatisierung nicht angepasster Individuen herhalten müsse. Heinrich gelang es, diesen ideologischen Verblendungen, denen damals weite Teile der deutschen Psychiatrie ausgesetzt waren, mit großem Einsatz erfolgreich entgegenzutreten. Hilfreich war dabei sicher auch seine rhetorische Überzeugungsgabe, um die ihn viele Kollegen beneideten. Seine stets ins Schwarze treffenden Formulierungen waren in dieser Zeit neben der Überzeugung für die Sache, die er vertrat, ein Garant des Erfolgs.

Heinrich setzte sich bereits 1968 mit der Abhandlung „Sozialpsychiatrie: Erfolge und Grenzen“ auf einem der von ihm und seinem akademischen Lehrer Kranz organisierten Bad Kreuznacher Symposien sowie mit weiteren Beiträgen auf den später von ihm geleiteten Düsseldorfer Symposien mit den ideologisch fehlgeleiteten, aber auch therapeutisch sinnvollen Aspekten der damaligen sozialpsychiatrischen Strömungen auseinander. Dabei formulierte er sozialpsychiatrische Prinzipien, die später durch die Psychiatrie-Enquete bundesweit Empfehlungscharakter bekamen.

Diese Ausführungen blieben für Heinrich nicht nur theoretisches Postulat, sondern wurden von ihm selbst in großem Umfange auch umgesetzt. Die früher die klinische Szene beherrschende kustodiale Psychiatrie mit Wachsälen, in denen Bodenlager für die Patienten und eine geringe personelle Besetzung üblich waren, wurde durch Klinikneubauten mit erheblicher Verbesserung der Wohnsituation für die Patienten ersetzt. Unter seinem Direktorat wurden verschiedene Tageskliniken gegründet, so eine psychotherapeutische, milieutherapeutische und eine gerontopsychiatrische, später auch eine für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Er richtete die erste beschützende Wohnung für entlassene psychisch Kranke ein. Er wurde Vorsitzender der psychiatrischen Hilfsgemeinschaft Rheinland und unterstützte nach Kräften die in der Stadt und im Umfeld entstandenen Patientenclubs.

Diese enormen Anstrengungen zur Verbesserung der gesamten Lebenssituation psychisch Kranker wurden von ihm als Vorsitzender der Nervenärztlichen Gesellschaft Düsseldorf und später als Präsident des Gesamtverbands Deutscher Nervenärzte weiter vorangetrieben.

Das Thema, das den naturwissenschaftlichen Teilbereich seines wissenschaftlichen Denkens zeitlebens prägte, war die Suche nach den biologisch begründbaren Ursachen paranoider Psychosen. Heinrich erklärte in seinen frühen Arbeiten das Zustandekommen dieser Gruppe seelischer Erkrankungen aus einer phylogenetischen Sichtweise heraus. Er prägte den Begriff der pathogenetischen Grundformel von der zentralnervösen funktionellen Regression. Dieser zunächst etwas schwer verständliche Begriff besagt, dass bei schwersten seelischen Störungen die höchstentwickelten und somit phylogenetisch jüngsten Teile des menschlichen Gehirns Funktionseinbußen erleiden und deshalb die stammesgeschichtlich älteren Hirnteile, in denen die neuronalen Generatoren archaischer Triebe und Emotionen liegen, nicht mehr ausreichend kontrolliert werden. Psychische Störungen wie Angst und Wahn können somit nach dieser Grundformel Heinrichs durch ein spontanes Freiwerden uralter Hirnfunktionen wegen der mangelhaften Kontrolle übergeordneter phylogenetisch neuer Hirnbereiche erklärt werden. In seiner Habilitationsschrift, die er bereits 1963, also lange vor der Einführung moderner neurowissenschaftlicher Methoden wie der hirnbildgebenden Verfahren, veröffentlichte, nahm er damit einige von deren Ergebnissen vorweg.

Ein weiterer Schwerpunkt der wissenschaftlichen Tätigkeit Heinrichs war die Neuropsychopharmaka-Therapie. Nach seinem Eintritt in die Mainzer Universitätsklinik im Jahr 1952 gehörte er zu den ersten, die die Wirksamkeit der damals neuen Psychopharmakagruppe der Neuroleptika anhand von Untersuchungen über Chlorpromazin nachwiesen. Er war Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie, Gründer und Herausgeber der Zeitschrift Pharmakopsychiatrie und von 1982 bis 1986 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie.

Heinrich war zudem Vorstandsmitglied der Görres-Gesellschaft und gründete zugleich deren Sektion Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Ihren Vorsitz hatte er bis 2003 inne.

Die Mitarbeiter seiner Klinik lernten ihn als eine Persönlichkeit mit einer beneidenswerten Menschenkenntnis und Fähigkeit zu überzeugen kennen, verbunden mit einer exzellenten rednerischen Fähigkeit sowie der bewundernswerten Gabe, auch komplexere gruppendynamische Zusammenhänge rasch zu durchschauen und durch seine verbale Überzeugungsgabe nachhaltig zu beeinflussen.

Heinrich war ein herausragender Vertreter einer Generation von Nervenärzten, deren Denkweise bestimmt war durch eine fundierte humanistische Bildung, brillante Beherrschung der klassischen, überwiegend von deutschsprachigen Psychiatern geprägten Psychopathologie, durch eine tiefgreifende Kenntnis aller Facetten der menschlichen Psyche, verbunden mit beeindruckenden Fähigkeiten zur Sprachgestaltung. Diese ärztliche Mentalität und dieses Profil des klassischen Vertreters der Seelenheilkunde waren bestimmend für die Ära vor Einführung moderner neurowissenschaftlicher Methoden.

Heinrich erhielt für seine Verdienste 1982 das Bundesverdienstkreuz am Bande, 2009 den Ehrenring der Görres-Gesellschaft. Er war Ritter des Ordens vom heiligen Grab zu Jerusalem.

Mit ihm verlieren wir einen herausragenden akademischen Lehrer, Kliniker und beeindruckenden Menschen, der die Weiterentwicklung unseres Fachs über turbulente Zeiten hinweg maßgeblich mitgestaltet hat.