Jeder Mensch verbringt ein Drittel seines Lebens schlafend. Das Schlaf-Wach-Verhalten gehört zu den besonders komplexen Verhaltensmustern, die vom Zentralnervensystem gesteuert werden, und ist deshalb eines der großen interdisziplinären Themen in der Neurologie, Psychiatrie und Psychologie.

Die aktuelle Ausgabe von Der Nervenarzt umfasst insgesamt acht Artikel zum Leitthema „Schlaf“. Vier davon haben einen neurologischen Schwerpunkt und befassen sich mit dem Restless-legs-Syndrom (RLS), der REM(„rapid eye movement“)-Schlaf-Verhaltensstörung („REM sleep behavior disorder“, RBD), der Narkolepsie und dem obstruktiven Schlafapnoesyndrom (OSAS). Von Seiten der Psychiatrie und Psychotherapie werden die Themen Insomnien, die Bedeutung des Schlafs für Lernen und Gedächtnis, schlafmedizinische Differenzialdiagnostik und Hypnotika vorgestellt.

Das RLS ist eine erst seit den 1990er Jahren in Deutschland ernstgenommene Erkrankung. Es geht mit Missempfindungen in den (unteren) Extremitäten, Schlafstörungen und einem erheblichen Bewegungsdrang einher. Mit einer Prävalenz von 10% in der kaukasischen Bevölkerung und 3% der Bevölkerung, die einer Therapie bedürfen, stellt es die häufigste neurologische Erkrankung an sich dar. In den letzten 10 Jahren sind insbesondere Dopaminergika für die Behandlung gemäß „Evidence-based-medicine“-Klasse-1-Studien zugelassen worden. In Kürze wird wahrscheinlich die Zulassung für ein Opiat erfolgen. Besonders interessant ist, dass das RLS mit einem erhöhten Blutdruck einhergeht. Diesbezüglich befindet sich die Forschung noch in den Kinderschuhen.

Die RBD gilt als Prodromalstadium neurodegenerativer Erkrankungen

Die Thematik der RBD wird in den nächsten 10 bis 20 Jahren dramatisch an Bedeutung gewinnen. Bei der idiopathischen RBD handelt es sich um eine prodromale Phase neurodegenerativer Erkrankungen vom α-Synukleinopathie-Typ. Hierzu werden die Parkinson-Krankheit, die Demenz mit Lewy-Körpern und die Multisystematrophie gezählt. Nach derzeitigem Stand werden bis zu 80% der Betroffenen mit einer idiopathischen RBD in 10 bis 20 Jahren an einem der oben genannten Parkinson-Syndrome erkranken. Mit der RBD steht erstmals der Neurodegenerationsforschung eine Symptomatik zur Verfügung, die es erlaubt, eine der schwerwiegendsten, chronischen neurologischen Erkrankungen in einem früheren Zeitpunkt zu erkennen und früh potenziell krankheitsmodifizierend zu therapieren.

Bei der Narkolepsie handelt es sich um eine relativ seltene Erkrankung, die, wenn man daran denkt, mit der Anamnese und ergänzend durch Bestimmung des Hypokretins im Liquor relativ sicher diagnostiziert werden kann. Besonders im Berufsleben ist diese Erkrankung außerordentlich belastend und sollte daher von jedem Neurologen und Psychiater bei der Anamnese (exzessive Tagesmüdigkeit, Kataplexie, Schlaflähmung, hypnagoge Halluzinationen) gezielt abgefragt werden.

Letztendlich schließt sich der Reigen der neurologisch orientierten Artikel mit der Darstellung des OSAS. Hier ist eine Schnittstelle zwischen der Neurologie und der inneren Medizin vorhanden. Die Erkrankung ist häufig (Prävalenz von 1–2%), wird oft bagatellisiert und geht mit einer Anzahl kardiovaskulärer und zerebrovaskulärer Erkrankungen wie dem Schlaganfall einher. Umgekehrt haben neurologische Erkrankungen oft schlafbezogene Atmungsstörungen als Begleiterkrankung. Frühzeitige Diagnosestellung und Therapieeinleitung der schlafbezogenen Atmungsstörungen bei neurologischen Erkrankungen führen zu einem verbesserten Behandlungsergebnis der neurologischen Erkrankung und zu einer Reduktion zerebro- und kardiovaskulärer Folgeerkrankungen.

Schlafstörungen können nicht nur ein Symptom einer neurologischen, sondern auch einer psychiatrischen Störung sein. Grundkenntnisse in der schlafmedizinischen Differenzialdiagnostik sind deshalb von erheblicher klinischer Bedeutung. Neben der gezielten Anamnese orientiert sich das differenzialdiagnostische Vorgehen insbesondere an den klassischen Leitsymptomen, nämlich Ein- und Durchschlafstörungen, gestörte nächtliche Motorik und erhöhte Tagesmüdigkeit.

Ein- und Durchschlafstörungen mit konsekutiver Minderung der Leistungsfähigkeit gehören zu den weltweit häufigsten Erkrankungen. Etwa 10% der Bevölkerung sind von einer chronischen Insomnie betroffen, deren Diagnose und Therapie somit eine wichtige sozioökonomische Bedeutung hat. Insomnien können psychiatrischen Erkrankungen wie einer manifesten Depression oft um mehrere Jahre vorausgehen und sind zudem mit metabolischen Syndromen assoziiert. In der Behandlung von Insomnien haben nichtpharmakologische, kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze einen besonderen Stellenwert.

Bei Schlafstörungen kann der Einsatz von Medikamenten indiziert sein. Benzodiazepine und ähnliche Medikamente sind nur für eine Kurzzeitanwendung bei einer schweren Schlafstörung geeignet, da die Gefahr einer Toleranz- und Abhängigkeitsentwicklung besteht. Für eine längere Anwendung können sedierende Antihistaminika und Antidepressiva verwendet werden. Insgesamt ist jedoch die Datenlage für eine Langzeitbehandlung mit Hypnotika nicht ausreichend.

Ein besonders interessanter Aspekt stellt die Tatsache dar, dass im Schlaf Gedächtnisinhalte neu gebildet, aber auch verfestigt werden können. Hinweise auf den positiven Effekt des Schlafes auf Lernen und die Erinnerungsleistung wurden bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts gefunden. Zunehmend zeigt sich, dass Schlafstörungen die Gedächtnisleistung bei psychiatrischen/psychischen Erkrankungen wie der Depression, der Schizophrenie oder posttraumatischen Belastungsstörung negativ beeinflussen. Eine wirksame Behandlung der Schlafstörungen könnte die kognitiven Störungen verbessern und somit zu einer besseren sozialen Integration und Leistungsfähigkeit führen und die Effizienz psychotherapeutischer Verfahren erhöhen.

Obwohl in den letzten Jahren viel Neues über den Schlaf bekannt wurde, verbirgt er weiterhin große Rätsel. Fakt ist aber, dass der Schlaf und seine Störungen eine wesentliche Rolle in der Differenzialdiagnose vieler neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen spielen und dass eine entsprechend differenzierte Diagnostik relevante therapeutische Implikationen hat.

Prof. Dr. W. Oertel

Prof. Dr. D. Riemann

Prof. Dr. T. Pollmächer