Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags

  • können Sie die wichtigen anatomischen Strukturen am Ellenbogengelenk benennen.

  • können Sie Akutversorgung beim luxierten Ellenbogengelenk sicher durchführen.

  • können Sie eine Verletzung am Ellenbogengelenk richtig beurteilen.

  • schätzen Sie adäquat das Risiko von möglichen Komplikationen als Folge der Verletzung ein, um eine optimierte Therapie durchführen zu können.

Einleitung

Die jährliche Inzidenz der Ellenbogenluxation in Europa beträgt etwa 6/100000 [1]. Betroffen sind Jugendliche und junge Erwachsene in einem Durchschnittsalter von etwa 30 Jahren [1]. Am häufigsten treten posteriore Luxationen nach einem Sturz auf den betroffenen Arm auf. Bei richtiger Therapieindikation sind die Behandlungsergebnisse der einfachen Ellenbogengelenkluxation als sehr gut bis ausgezeichnet einzuschätzen [2]. Die Berichte über Begleitverletzungen zeigen, dass ungefähr 50 % der Ellenbogenluxationen mit Frakturen assoziiert sind [3]. Das zu erwartende Therapieergebnis der Luxationsfrakturen ist schlechter als das der einfachen Luxationen [4]. In den meisten Fällen kann eine einfache Luxation nach durchgeführter Reposition, kurzzeitiger Ruhigstellung und frühfunktioneller Beübung ausreichend therapiert sein, jedoch birgt insbesondere diese Verletzungsentität die Gefahr von übersehenen Rupturen der kapsuloligamentären Strukturen, die in chronischen Instabilitäten resultieren können [5, 6].

Anatomie und Stabilitätsmodelle

Die Kenntnis des detaillierten anatomischen Aufbaus des Ellenbogengelenks, der Kapsel-Band-Strukturen und der umgebenden Muskeln sollte als Grundlage der Behandlung von Verletzungen dienen. Medial bildet das Humeroulnargelenk den Eckpfeiler der knöchernen Stabilität und Mobilität in der Flexions- und Extensionsebene. Das Olekranon bildet den Trizepsansatz im proximalen Bereich und geht im distalen Verlauf in die Diaphyse der Ulna über. Der Processus coronoideus (Koronoid) spielt mit seinen 2 diskreten Gelenkfacetten anterior eine essenzielle Rolle für die Stabilität des Gelenks. Das Tuberculum subliminus ist ein wichtiges Element des medialen Anteils des Koronoids, an dem das starke anteriore Bündel des medialen ulnaren Kollateralbands (MUCL) ansetzt. Die Abb. 1 zeigt das MUCL mit dem anterioren, posterioren und transversen Bündel [7]. Lateral besteht das Ellenbogengelenk aus Radiuskopf und Capitulum und wird durch das laterale Kollateralband (LCL) gegen Varusstress geschützt [6]. Als Teil des LCL verläuft das laterale ulnare Kollateralband (LUCL) vom lateralen Epicondylus bis zur Crista supinatoria der Ulna und trägt den Radiuskopf wie in einer Hängematte. Die Fasern des lateralen radialen Ligaments (RCL) ziehen vom Epicondylus lateralis humeri zum Lig. anulare, das den Radiuskopf annähernd zirkulär umgibt. Vom Lig. anulare zieht ein Teil des Bands als Lig. collaterale laterale accessorius zur Ulna (Abb. 1; [7]).

Abb. 1
figure 1

Kollateralbänder am Ellenbogen. a Radiale Ansicht des lateralen Kollateralbands (LCL) mit dem lateralen radialen Ligament (RCL, 1), dem lateralen ulnaren Kollateralband (LUCL, 2), dem Lig. anulare (3) und einem akzessorischen lateralen Band (4). b Ulnare Ansicht des medialen ulnaren Bandkomplexes (MUCL), der sich in das anteriore Bündel (anteromediales Kollateralband, 1), das posteriore Bündel (posteromediales Kollateralband, 2) und das transversale Bündel (3) aufteilt. (Aus Mittlmeier und Beck [7])

Gegen Varusstress stabilisiert das Humeroulnargelenk den Ellenbogen zu 55 % in Streckung und 75 % in 90°-Beugung [8]. Der Radiuskopf kann je nach Läsion des medialen Bandapparats, das hauptsächlich gegen Valgusstress stabilisiert, bis zu 30–75 % dieser Funktion übernehmen [8]. Außerdem überträgt der Radiuskopf bis zu 60 % der axialen Stabilität [6]. Kräfte, die nach posterior gerichtet sind, werden vom Processus coronoideus ausgeglichen.

Zu den primären Stabilisatoren nach O’Driscoll gehören das Humeroulnargelenk sowie der mediale und laterale Bandapparat [9]. Zu den sekundären Stabilisatoren, die nach einem Versagen der primären Stabilisatoren eine wichtige Rolle erlangen, zählen der Radiuskopf, die anteriore Kapsel sowie die Flexoren- und Extensorenmuskulatur, die das Ellenbogengelenk umgibt [9].

Um evtl. Begleitverletzungen in Beziehung zur Luxationsrichtung zu evaluieren, kann das Stabilitätsmodell nach Ring und Jupiter richtungweisend sein (Abb. 2; [10]). Darin wurden die anteriore Kapsel, das Koronoid und der M. brachialis der anterioren Säule zugeschrieben, wohingegen die dorsale Kapsel, das Olekranon und der M. triceps die posteriore Säule bilden. Lateralseitig bilden das LCL, der Radiuskopf und das Capitulum humeri die radiale Säule, und medial besteht die ulnare Säule aus dem MUCL, dem Koronoid und der Trochlea [10].

Abb. 2
figure 2

Stabilitätsmodel nach Ring und Jupiter. MCL mediales Kollateralband, LCL laterales Kollateralband. (Modifiziert nach Ring et al. [11], mit freundlicher Genehmigung von Wolters Kluwer)

Merke

Das Wissen über die relevanten anatomischen Strukturen am Ellenbogengelenk ist für die optimale Versorgung essenziell.

Pathomechanismus und Begleitverletzungen

Einfache Ellenbogenluxationen werden zumeist verursacht durch einen Sturz auf die ausgestreckte Hand, der zu einer außenrotierten, valgisierten und axial gerichteten Belastung des Ellenbogens führt. Die Einteilung der Luxationsrichtung nach Burkhart et al. [5] ist in Abb. 3 dargestellt. Die häufigsten Luxationen sind mit ca. 80 % nach posterior oder posterolateral gerichtet [12]. Die genannte Richtung beschreibt die Stellung vom Unter- zum Oberarm. Die Mehrheit der posterolateralen Luxationen ist aufgrund der einwirkenden muskulären Zugkräfte an Unter- und Oberarm erklärbar (Abb. 4).

Abb. 3
figure 3

Luxationsrichtungen des Ellenbogengelenks. Die häufigsten Formen sind die posterioren und die posteroradialen Luxationen. (Aus Burkhart et al. [5], mit freundlicher Genehmigung des Thieme-Verlags, modifiziert nach [13])

Abb. 4
figure 4

Der Zug der Flexoren und Extensoren am distalen Humerus sowie M. triceps brache, Mm. biceps brachii und brachialis am proximalen Unterarm ist an der zur Luxation führenden Kraft beteiligt

Außerordentlich relevant ist das Vorkommen von Begleitverletzungen. O’Driscoll et al. beschrieben als einen möglichen Erklärungsansatz, dass das typische Verletzungsmuster eine Verletzung des Kapsel-Band-Apparats von lateral nach medial beinhaltet, auch bekannt als „Horii circle“ (Abb. 5; [9]). Zunächst wird der laterale Kollateralbandkomplex (LCL) von seinem Ursprung am lateralen Epicondylus des Humerus abgelöst, was zu einer posterolateralen Instabilität des Ellenbogens führt. Es folgen Rupturen der vorderen und hinteren Kapsel. Das anteriore Bündel des MUCL wird daraufhin verletzt, was mit einer medialen Instabilität des Ellenbogens einhergeht [9]. Dieser Theorie widersprechen die Ergebnisse einiger Studien, die nach erfolgter Luxation bei den untersuchten Patienten lediglich eine mediale Instabilität beobachten konnten [14, 15].

Abb. 5
figure 5

„Horii circle“ nach O’Driscoll [9]. Typischerweise nimmt die Ellenbogenluxation ihren Ausgang lateral (laterales ulnares Kollateralband [LUCL], 1) und breitet sich über die ventrale Kapsel (2) nach medial (medialer Seitenbandkomplex [MUCL], 3) aus. (Aus Mittlmeier und Beck [7])

Die Stadieneinteilung der Ellenbogenluxation nach O’Driscoll (Abb. 6) soll die kapsuloligamentären Begleitverletzungen einbeziehen. Während im reponierten Zustand eine kongruente Gelenkstellung vorhanden ist, beschreibt Stadium 1 eine akute posterolaterale Instabilität bei LUCL-Ruptur. Mit der inkompletten Luxation im Stadium 2 sind eine LUCL-Ruptur sowie Verletzung der dorsalen und ventralen Kapselanteile assoziiert. Als Stadium 3 wird die vollständige Luxation bezeichnet [5, 9].

Abb. 6
figure 6

Stadieneinteilung der Luxation nach O’Driscoll [9]. 0 physiologische Stellung, 1 posterolaterale Luxation, 2 reitende Luxation, 3 vollständige Luxation. Die Pfeile stellen die zur Luxation führende Krafteinwirkung dar als Kombination aus axialem Stress sowie Supinations- und Valgusmoment. (Aus Mittlmeier und Beck [7])

Rupturen der Kollateralbänder können interligamentär, distal oder proximal auftreten [16]. Neben ligamentären Verletzungen können aufgrund des Luxationsmechanismus oder während der Reposition osteochondrale Läsionen auftreten. Diese sind am häufigsten am dorsalen Capitulum humeri (bei osteochondraler Fraktur als Osborne-Cotterill-Läsion bezeichnet), am ventralen Radiuskopf, an der Olekranon- oder Koronoidspitze oder an der Trochlea zu finden [16].

Im Folgenden werden ausgewählte relevante, mit Ellenbogenluxationen assoziierte Frakturen, beschrieben. Zur weiteren Vertiefung in das Thema Ellenbogenluxationsfrakturen wird die Lektüre des gleichnamigen Kapitels, verfasst von Hollinger und Lenich, in dem Buch Expertise Ellenbogen von Müller et al. [16] empfohlen.

Koronoidfrakturen sind relativ seltene Verletzungen, die bei bis zu 15 % der Ellenbogenluxationen auftreten. Regan und Morrey unterteilen in folgende 3 Arten von Koronoidfrakturen: Bei Typ-I-Frakturen ist die Koronoidspitze betroffen, bei Typ-II-Frakturen mehr als nur die Spitze und weniger als 50 % des Koronoids sowie bei Typ-III-Frakturen mehr als 50 % des Koronoids [17, 18, 19]. Für jeden Typ gibt es die Subgruppierung in A und B, wobei das B auf eine damit verbundene Dislokation hinweist. Die stabilisierende Funktion des Koronoids für das Ellenbogengelenk konnte mehrfach bewiesen werden; dieses Wissen sollte bei Koinzidenz mit einer Gelenkluxation eine regelmäßige Evaluation der Gelenkstabilität und Anpassung des therapeutischen Vorgehens nach sich ziehen [20]. Die Kombination einer Radiuskopf- mit einer Koronoidspitzenfraktur weist ein höheres Risiko für persistierende Gelenkinstabilitäten auf als Koronoidfrakturen, die basisnah und groß sind [21].

Radiuskopffrakturen werden nach Mason und modifiziert nach Hotchkiss in folgende 4 Typen eingeteilt und sind eng mit osteoligamentären Begleitverletzungen vergesellschaftet [9]. Typ I beschreibt undislozierte Frakturen, Typ II Frakturen mit > 2 mm Dislokation, Typ III mehrfragmentäre Radiuskopffrakturen und Typ IV eine begleitende Luxation des Radiuskopfes. Hierbei ist zu erwähnen, dass bei einer Verletzung des Ellenbogens die Untersuchung des ipsilateralen Handgelenks obligat ist, um weitere Traumafolgen auszuschließen. Eine seltene, aber komplikationsreiche Verletzung ist die Essex-Lopresti-Läsion, die eine Radiuskopffraktur mit Ruptur der Membrana interossea des Unterarms sowie eine Luxation des distalen Radioulnargelenks umfasst [5].

Tritt eine Koronoidfraktur zusammen mit einer posterolateralen Ellenbogenluxation und einer Radiuskopffraktur auf, wird dies als „Terrible Triad“ bezeichnet. Diese Kombination von Verletzungen geht mit einem hohen Risiko für rezidivierende Luxationen, chronische Instabilität und einer posttraumatischen Arthrose einher [11]. Die Stabilitätskomponente der radialen Säule ist maßgeblich relevant; dies kann bei fälschlich indizierter Radiuskopfresektion folgenschwere Komplikationen nach sich ziehen [16].

Cave

Die Essex-Lopresti-Läsion und die Terrible Triad am Ellenbogen können leicht übersehen oder in ihren gravierenden Komplikationsfolgen unterschätzt werden.

Diagnostik

In der akuten Notfallsituation präsentiert sich der Patient nach erfolgtem Trauma typischerweise mit einem schmerzenden Ellenbogengelenk. Als Hinweis kann die klinische Deformität oder eine deutliche Gelenkschwellung dienen; in einigen Fällen kann jedoch hauptsächlich die Anamnese einer bereits reponierten Luxation richtungweisend sein. Nach Beurteilung des neurovaskulären Status und Evaluierung möglicher Begleitverletzungen sollte bei Verdacht auf eine Ellenbogenluxation zeitnah eine radiologische Bildgebung mithilfe des seitlichen und anterior-posterioren Röntgenbilds erfolgen [5]. Nach radiographischer Bestätigung des Verdachts einer Luxation sollte schnellstmöglich die Reposition in Analgosedierung durchgeführt werden. Hieran muss sich obligat die klinische Testung der Stabilität anschließen. Als wegweisend für die weitere Therapie ist die Stabilitätsuntersuchung in endgradiger Extension und Flexion, wobei der Prüfung einer Luxationstendenz im funktionellen Bogen (Extension/Flexion 0/30/130°) eine besondere Relevanz zukommt [16]. Zusätzliche Hinweise auf Verletzungen des Bandapparats können Druckschmerzen über den Ansatz- und Insertionspunkten sein sowie Schwellung oder Hämatomverfärbungen im Verlauf der Kollateralbänder [7]. Nach erneuter Erhebung des neurovaskulären Status und Ruhigstellung in einer Oberarmschiene in 90° Stellung muss folglich im Post-repositionem-Röntgenbild nach Hinweisen auf Begleitverletzungen gesucht werden. Bei knöchernen Begleitverletzungen oder Instabilitätszeichen (Abb. 8) sollte direkt eine CT-Diagnostik angeschlossen werden, um akut interventionsbedürftige Traumafolgen auszuschließen [16]. Eine sonographische Beurteilung des Ellenbogengelenks durch einen erfahrenen Untersucher kann eine ligamentäre Instabilität aufzeigen [22]. Eine klinische und radiologische Reevaluation sollte nach 5 bis 7 Tagen erfolgen, um auf diese Weise eine mögliche Instabilität früh zu detektieren. Neben Testung der Varus- und Valgusstabilität (Abb. 7e) in Extension und aufsteigender Flexion (30° und 60°) unter Bildwandlerkontrolle sollte die posterolaterale Instabilität mithilfe des Pinzettengriffs, Pivot-Shift-Tests und Posterolateral Rotatory Drawer Test (Abb. 7i–l) untersucht werden [23]. Der mediale Bandapparat kann z. B. mithilfe des Moving Valgus Stress Test oder Milking-Manövers überprüft werden (Abb. 7f–h; [23]). Bei bestehendem Verdacht können folglich in einer magnetresonanztomographischen Untersuchung ligamentäre, muskuläre, kapsuläre oder osteochondrale Läsionen diagnostiziert werden [5].

Abb. 7
figure 7

Reposition mithilfe der Ein-Mann-Methode: geschlossene Reposition unter axialem Zug am Unterarm und Zuhilfenahme des eigenen Ellenbogens als Hypomochlion in der Ellenbeuge des Patienten (a). Reposition mithilfe der Zwei-Mann-Methode: Ausgangsstellung: pronierter Unterarm in strecknaher Stellung im Ellenbogengelenk; eine weitere Person fixiert den Oberarm des Patienten (b), dann Supinationsstellung im Unterarm unter axialem Zug (c), Reposition unter zunehmender Beugung im Ellenbogengelenk bei supiniertem Arm (d). Valgusstress: Stabilitätstestung des medialen Kollateralbands bei leicht gebeugtem Ellenbogen (e); diese erlaubt die gleichzeitige Durchleuchtung des Ellenbogens. Alternativ kann die mediale Stabilität mithilfe des Moving Valgus Stress Test (f) in langsamer Extension aus einer flektierten Grundposition getestet werden. g Zunehmende Extension unter stetigem Valgusstress. Milking-Manöver: Der flektierte Ellenbogen wird unter Valgusstress untersucht, und die Belastungsprüfung unter Zug am ipsilateralen Daumen verstärkt (h). Pinzettengriff: Eine posterolaterale Rotationsinstabilität lässt sich ggf. bereits detektieren, wenn der Radiuskopf umgriffen und nach posterolateral gedrückt wird (i). Pivot-Shift-Test: zur Testung der posterolateralen Rotationsinstabilität. Der Patient befindet sich in Rückenlage, während der Arm in Überkopfhaltung und voller Supination einem axialen Druck und Valgusstress ausgesetzt sowie langsam flektiert wird (j). Die zunehmende Flexion im Ellenbogen unter stetigem Valgusstress provoziert eine Subluxation des Radiusköpfchens (bei 30–40°) und eine Reposition bei weiterer Flexion (k). Posterolateral Rotatory Drawer Test: Zwischen Ober- und Unterarm erfolgt ein Schubladenmanöver, das bei lateraler Bandinstabilität zu einer Subluxation nach posterolateral führt (l)

Merke

Als wegweisender diagnostischer Parameter in der Akutbehandlung der Ellenbogenluxation dient die Stabilitätsprüfung im funktionellen Bogen.

Therapie

Für das therapeutische Vorgehen empfiehlt sich ein Algorithmus, um das Risiko evtl. Komplikationen oder Folgeschäden zu minimieren (Abb. 8). Dieser sollte jedoch lediglich als Orientierung dienen, da im Einzelfall adaptiert an den Anspruch des Patienten in Bezug auf die körperliche Belastbarkeit unbedingt eine individualisierte Therapieentscheidung getroffen werden muss. Nach der orientierenden Anamneseerhebung, der fokussierten klinischen Untersuchung mit obligater Testung des peripheren neurovaskulären Status sollte schnellstmöglich die Röntgenuntersuchung folgen. Die Richtung der Ellenbogenluxation ist entscheidend für die richtige Reposition. Bei einer Luxation ohne Frakturbeteiligung ist das Hauptziel die sofortige geschlossene Reposition zur Erlangung der vollständigen Gelenkkongruenz, sodass eine frühfunktionelle Beübung möglich ist. Im Allgemeinen lässt sich die einfache Ellenbogengelenkluxation gut in einer Kurznarkose reponieren. In Abb. 7a–d sind zwei etablierte und im eigenen Vorgehen favorisierte Techniken zur Reposition einer posterolateralen Luxation dargestellt. Anschließend eignet sich v. a. die Stabilitätstestung in Narkose zur klinischen Untersuchung nach der Reposition (Abb. 7e–l sowie die zuvor beschriebene Stabilitätstestung unter Durchleuchtung). Ereignet sich bei der Stabilitätsprüfung keine Reluxation im endgradigen vollen Bewegungsausmaß, kann bei fehlenden pathologischen radiologischen Kriterien und unauffälligen klinisch-radiologischen Verlaufskontrollen eine konservative Therapie gebahnt werden (Abb. 8). Im Fall von Luxationen zwischen endgradiger Extension und 30°-Flexion sind eine engmaschige klinische Reevaluation und die Durchführung einer MRT richtungweisend. Einige Autoren tendieren mittlerweile auch hier zur frühzeitigen operativen Stabilisierung [5]. Bei Reluxation im funktionellen Bogen, einer persistierenden Subluxationsstellung oder intraartikulären pathologischen Veränderungen sollte in jedem Fall eine zeitnahe operative Versorgung durchgeführt werden [16].

Abb. 8
figure 8

Therapie-Algorithmus bei Ellenbogenluxationen ohne Frakturnachweis. CT Computertomographie, MRT Magnetresonanztomographie, ROM „range of motion“, OA Oberarm. (Modifiziert nach Hollinger und Lenich [16])

Die meisten Ellenbogengelenkluxationen können mit sehr guten funktionellen Langzeitergebnissen konservativ therapiert werden [3]. Empfehlenswert ist die Ruhigstellung in 90°-Flexion für eine Woche bis zur Nachkontrolle mit radiologischer Untersuchung und erneuter Stabilitätstestung. Zeigt das Gelenk weiterhin über das gesamte Bewegungsausmaß keine Reluxationstendenz, kann eine frühfunktionelle Beübung erfolgen und eine Bewegungsorthese für weitere 5 Wochen angelegt werden. Iordens et al. verglichen die frühe Mobilisierung in einer multizentrischen, randomisierten Studie mit der Ruhigstellung im Gips und zeigten, dass Patienten mit früher Beübung nach kürzerer Zeit ein besseres Bewegungsausmaß aufwiesen, ohne dass vermehrte Komplikationen zu verzeichnen waren [6]. Optimierte Nachbehandlungsschemata mit Fokus auf eine frühfunktionelle Beübung für Ellenbogengelenkluxationen erzielen sehr gute funktionelle Ergebnisse [24]. Ein Protokoll für Überkopfübungen, das von Schreiber et al. erstellt wurde, kann eine Woche nach der Verletzung begonnen werden und bewirkt die Umwandlung der Schwerkraft als belastende Kraft in eine stabilisierende Komponente [25].

Bedarf es einer operativen Therapie (Abb. 8), hat sich in den letzten Jahren die Arthroskopie des Ellenbogens zur diagnostischen und zur therapeutischen Versorgung weitestgehend etabliert (häufig in Kombination mit offenen operativen Verfahren). Hierdurch können im Akutfall oder bei chronischen pathologischen Veränderungen Hämatome gespült, Arthrolysen durchgeführt, Briden gelöst, Bandinstabilitäten beurteilt (Wechselstabtestung) sowie intraartikuläre Gelenkkörper und Abscherfragmente adressiert werden [26].

Je nach zu adressierender pathologischer Störung muss ein lateraler, medialer oder bilateraler Zugang durchgeführt werden. Lässt die strukturelle Beschaffenheit der rupturierten Bänder eine primäre Rekonstruktion zu, kann das laterale oder mediale Seitenband mithilfe eines Fadenankers refixiert werden. Dies sollte innerhalb von 14 Tagen nach dem Trauma und gemeinsam mit der Refixation der Extensoren- und/oder Flexorenmuskulatur erfolgen [16]. Als weitere Möglichkeit hat sich in den letzten Jahren die Versorgung mithilfe des „ligament bracing“ etabliert. Greiner et al. zeigten, dass die Augmentation mit einem nichtresorbierbaren Tape, das nach einer Ellenbogenluxation als „internal bracing“ fungiert, eine direkte postoperative Mobilisierung und Wiederherstellung der Stabilität unter vollem Bewegungsumfang des Ellenbogens ermöglichen kann [27].

Der Bewegungsfixateur eignet sich in ausgewählten Fällen mit schwierigen Weichteilverhältnissen, komplexen Luxationsfrakturen, persistierender Instabilität trotz erfolgter Bandnaht oder chronischer Subluxationsstellung. Nach erfolgter Therapie mithilfe des Bewegungsfixateur sind sich gute funktionelle Ergebnisse und niedrige Komplikationsraten zu verzeichnen [28]. Die exakte Anbringung des Fixateur ist jedoch unabdingbar und Grundlage der erfolgreichen Therapie.

Die chronische Ellenbogeninstabilität äußert sich häufig als unspezifischer Ellenbogenschmerz und präsentiert sich in Form einer oft missinterpretierten Epikondylitis-ähnlichen Beschwerdesymptomatik. Bisherige Studien belegen sehr gute Langzeitergebnisse für konservativ therapierte Patienten mit Ellenbogengelenkluxationen trotz persistierender medialer Instabilität [15]. Jedoch fand sich eine Korrelation dieser medialen Instabilität mit zunehmender degenerativer Gelenkveränderung [15]. Deshalb bedarf es einer ausführlichen diagnostischen Abklärung und ggf. arthroskopischen Evaluation, um die richtige Therapie initiieren zu können und das Risiko von Langzeitfolgen gering zu halten. Zur Stabilisierung mithilfe der Augmentation eignet sich der Einsatz von Trizeps-Streifen sowie Grazilis- oder Palmaris-longus-Sehnen als Bandplastik, ggf. unter Applikation eines Bewegungsfixateurs [16].

Merke

Im Einzelfall muss unbedingt eine individualisierte Therapieentscheidung, die an den Anspruch des Patienten adaptiert ist, getroffen werden.

Komplikationen

Anders als bei Luxationen der Schulter treten Rezidivluxationen am Ellenbogen sowohl nach konservativer als auch nach operativer Therapie mit 1–2 % der Fälle nur selten auf [29]. Komplikationsreiche Verläufe sind jedoch auch nach „einfachen“ ligamentären Ellenbogenluxationen keine Seltenheit. Neben neurovaskulären Verletzungen (6 %) und erhöhtem Risiko für eine posttraumatische Kubitalarthrose (7 %) zählen insbesondere heterotope Ossifikationen (HO) und die posttraumatische Ellenbogensteife zu den typischen Komplikationen [24]. Die Gelenkinstabilität des Ellenbogens wurde bereits im Abschn. „Therapie“ beschrieben.

Da die Stabilität des Ellenbogengelenks in der Nachbehandlung der Ellenbogenluxationen im Fokus steht, wird häufig ein initial restriktives Nachbehandlungsschema angewendet. Jedoch sollte nach 6 bis 12 Wochen der Nachbehandlung die endgradige Flexion und Extension erreicht sein [16]. Ein absoluter Grenzwert für das Vorliegen einer Ellenbogensteife existiert nicht. Morrey et al. stellten bereits 1981 fest, dass die meisten Aktivitäten des täglichen Lebens mit einem Bewegungsausmaß von 100° („funktioneller Bogen“ mit Extension – Flexion 30–130° und Supination – Pronation 50–50°) bewältigt werden können [30]. Eine klinisch relevante Ellenbogensteife tritt bei Ellenbogenluxationen nach Immobilisierung über 3 Wochen in 22 % der Fälle, nach operativer Stabilisierung in 16 % der Fälle und bei frühfunktionell-konservativer Behandlung in 9 % der Fälle auf [24]. Kommt es zu einer posttraumatischen Steife, können Bewegungseinschränkungen (insbesondere Extension und Pro‑/Supination) durch Ausgleichsbewegungen der Schulter und des Rumpfes kompensiert werden. Einschränkungen der Flexion lassen sich jedoch am schwersten ausgleichen. Eine Flexion über 140° ist für Bewegungen der Hand zu Kopf und Gesicht notwendig [31]. Liegt eine deutliche Einschränkung des Bewegungsausmaßes vor, sollten zunächst strukturelle Ursachen der Bewegungseinschränkung (wie persistierende Subluxationen) ausgeschlossen werden. Konservative Behandlungen der Ellenbogensteife mithilfe intensiver Physiotherapie und entweder dynamischer oder statischer Schienenbehandlung können bei langer Therapiedauer über 6 bis 12 Monate zu einer Steigerung der Beweglichkeit führen [32]. Im Fall von ausgeprägteren Bewegungseinschränkungen und persistierender Steife nach ausgeschöpfter konservativer Therapie können sowohl offene als auch arthroskopische Verfahren das Bewegungsausmaß deutlich verbessern. In einem systematischen Review von Kodde et al. konnte das Bewegungsausmaß mithilfe offener und arthroskopischer Verfahren um durchschnittlich 51° bzw. 40° gesteigert werden. Die Komplikationsrate war bei arthroskopischen Verfahren mit 5 % im Vergleich zu 23 % bei offenen Verfahren signifikant geringer [33]. Auch anschließend an eine operative Therapie sollte eine intensive frühzeitige Mobilisationsbehandlung erfolgen. In einer randomisierten Untersuchung von O’Driscoll et al. konnten nach arthroskopischer Arthrolyse mit einer Motorschienenbehandlung sehr gute Ergebnisse erzielt werden. Die Motorschienengruppe konnte im Vergleich zur konventionellen Physiotherapiegruppe signifikant häufiger ein funktionelles Bewegungsausmaß wiedererlangen [34].

Nach Ellenbogenluxationen können bei ca. 30 % aller Fälle HO beobachtet werden. Die Rate bei Patienten mit immobilisierender Therapie über 2 Wochen (37 %) sowie nach operativer Therapie (49 %) ist signifikant höher als bei den Patienten mit frühfunktioneller Behandlung (20 %; [24]). Zudem sind nicht alle der röntgenologischen Veränderungen klinisch relevant. Dennoch betreffen klinisch einschränkende Ossifikationen jeden 5. Patienten nach einer Ellenbogenluxation [35]. Luxationsfrakturen sind mit einem deutlich höheren Risiko („odds ratio“: 4,87) für HO assoziiert als vergleichbare Frakturen ohne Luxation [35]. Der Luxationsmechanismus sowie die assoziierten Weichteilverletzungen scheinen eine wesentliche Rolle für die Entstehung von HO zu spielen. Ein weiterer unabhängiger Risikofaktor scheint ein verzögerter Operationszeitpunkt zu sein [35]. Die Verteilung der Ossifikationen am Ellenbogen ist mit dem Verletzungsmuster assoziiert, sodass HO nach Luxationen zumeist im Bereich der Kollateralbänder zu finden sind [36].

Zur Prophylaxe der HO wurden die bereits in der Hüftchirurgie bewährten Konzepte auf den Ellenbogen übertragen. So scheinen auch am Ellenbogengelenk die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika oder alternativ eine prophylaktische Einzelbestrahlung mit zumeist 7,0 Gy gleichwertige Ergebnisse zu erzielen [37]. Im Fall einer Luxationsfraktur sollte auf eine Bestrahlung verzichtet werden, da sich in einer randomisierten Studie von Hamid et al. eine signifikant erhöhte Rate an Pseudarthrosen nach Bestrahlung zeigte; dies führte zum vorzeitigen Abbruch der Studie [38]. Bei Auftreten von klinisch einschränkenden Ossifikationen kann eine deutliche Verbesserung des Bewegungsumfangs durch eine Exzision der HO erzielt werden, jedoch ist die Komplikationsrate eines solchen Eingriffs (Nervenläsionen, Wundheilungsstörungen, Rezidivossifikationen) mit ca. 20 % durchaus hoch [39]. Lange wurde propagiert, mit der Exzision bis zur vollständigen Reifung der HO abzuwarten, da dies die Rezidivrate verringern sollte. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass auch eine frühzeitige Entfernung der Ossifikationen gleichwertige [40] bis bessere [41] funktionelle Ergebnisse bei gleicher Rezidivrate [40] erzielen kann.

Cave

Komplikationsreiche Verläufe sind auch nach Ellenbogenluxationen ohne assoziierte Fraktur keine Seltenheit.

Fazit für die Praxis

  • Bei korrekter Behandlung ist die einfache Luxation des Ellenbogens mit guten bis sehr guten Ergebnissen vergesellschaftet.

  • Die funktionellen Ergebnisse können maßgeblich durch frühfunktionelle Beübung verbessert werden.

  • Eine regelmäßige klinische und radiologische Evaluation nach erfolgter Ellenbogengelenkluxation ist obligat, um mögliche Komplikation zu vermeiden.

  • Die klinische Stabilitätstestung zur Detektion jener Ellenbogenverletzungen, die im funktionellen Bogen instabil sind, ist essenziell.

  • Die operative Therapie von Ellenbogengelenkluxationen, konsekutiven Instabilitäten und assoziierten Frakturen bedarf eines hohen Maßes an Erfahrung und sollte nach dem Leitsatz „best team, best time“ erfolgen.