Neonatologie ist eines jener pädiatrischen Spezialgebiete, in denen eine rasante Entwicklung zu beobachten ist und in dem sich in den letzten Jahrzehnten „fast alles“ geändert hat. Insbesondere betrifft die Entwicklung die technische Ausstattung der neonatologischen Intensivstationen, wofür das Verständnis um die Physiologie des Früh- und Neugeborenen unabdingbare Voraussetzung ist. Längst hat man sich vom Prinzip „one size fits for all“ verabschiedet und versucht – auch mit technischen Hilfsmitteln – eine so weit wie möglich individualisierte Betreuung der neonatologischen Intensivpatienten zu erzielen. Das vorliegende Themenheft greift einige Schwerpunkte dieser „neuen Entwicklung“ auf.

Individualisierte Betreuung statt „one size fits for all“ ist das Ziel

E. Griesmaier aus Innsbruck beschreibt in ihrem Beitrag die Technologie, Anwendung und Interpretation des amplitudenintegrierten Elektroenzephalogramms (aEEG). Bei dieser Form des zerebralen Funktionsmonitorings (CFM) handelt es sich um eine Ein- oder Zweikanal-EEG-Ableitung; diese erfolgt mit Klebe- oder Hautnadelelektroden. Im Vergleich zum konventionellen EEG ist die Ableitung stark vereinfacht, relativ leicht interpretierbar und eignet sich daher für ein bettseitiges Langzeitmonitoring. Aufgezeichnet werden die Amplitudenmaxima der elektrischen Gehirnaktivität; hierbei wird der Bereich von 0–10 µV linear, jener von 10–100µV logarithmisch dargestellt (semilogarithmische Darstellung). Beurteilt wird bei aEEG-Aufzeichnungen v. a. das „Muster“, das außer vom Reifegrad des Neugeborenen vom Funktionszustand des Gehirns abhängt. Darüber hinaus wird das aEEG von Schlaf-Wach-Zyklen und sedierenden Medikamenten beeinflusst. Pathologische Ereignisse wie Krampfanfälle, Hirnblutung und hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE) werden im aEEG relativ rasch erkennbar, wodurch teilweise auch frühzeitige Interventionen erfolgen können. Gleichzeitig erlaubt das aEEG eine bedingte Prognoseabschätzung der zukünftigen zerebralen Funktion („outcome“). Aus diesen Gründen hat sich das aEEG bei Früh- und Neugeborenen außer in klinischen Studien auch zunehmend als (zusätzliches) Routinemonitoring auf neonatologischen Intensivstationen durchgesetzt.

M. Wald aus Salzburg berichtet über „‚Nasal continuous positive airway pressure‘ und noninvasive Beatmung bei Frühgeborenen“ und erläutert in seinem Beitrag die Funktions- und Wirkungsweise verschiedener CPAP-Geräte. Seit der Erstanwendung 1971 durch Gregory wurden zahlreiche Bemühungen unternommen, den v. a. beim „respiratory distress syndrome“ (RDS) „lebensrettenden“ positiven Atemwegsdruck möglichst „patientengerecht“ zu erzeugen und zu applizieren. Dabei werden technisch 3 Typen unterschieden: Bei den Jet-CPAP-Systemen wird das Atemgas durch eine Düse zu einem „Jet“ beschleunigt und in die Luftwege geblasen, wobei die positiven Drücke im Schlauchsystem und in den Luftwegen unterschiedlich sind. Im Gegensatz dazu wird bei konventionellen CPAP-Systemen der positive Atemwegsdruck durch ein Exspirationsventil geregelt, sodass der Druck im Schlauchsystem mit jenem in den Atemwegen übereinstimmt. „High-flow“-nCPAP stellt schließlich eine Mischform der beiden anderen Typen dar; hierbei wird der „Jet“ im Bereich der „Nasen-Prongs“ erzeugt. Der Autor geht in seinem Beitrag detailliert auf Vor-, Nachteile, Möglichkeiten und Einschränkungen der einzelnen Methoden ein.

N. Haiden aus Wien berichtet in ihrem Manuskript über „Facts und News der Frühgeborenenernährung“. Die Autorin stellt dar, dass sich in den letzten Jahren mehrere Veränderungen durchgesetzt haben, so z. B. eine deutlich höhere Proteinzufuhr als Beitrag zur optimalen mentalen Entwicklung. Sie beschreibt die optimale Zusammensetzung der parenteralen Ernährung für Frühgeborene im Verlauf der ersten Lebenstage sowie die empfohlenen Mengen für Kohlenhydrate, Protein und Fett in Abhängigkeit vom Lebensalter und verweist auf die Vorteile der neueren Lipidemulsionen. Die Bedeutung des frühen „minimal-enteral feeding“ (MEF) auch bei extremen Frühgeborenen wird hervorgehoben, wobei dieses keinen nutritiven Charakter besitzt, sondern der Vorbereitung des Darms auf größere Nahrungsmengen dient. Vollenterale Ernährung kommt etwa ab der 34. SSW und einem Körpergewicht von 1500 g in Betracht. In der Arbeit wird der Wert von Kolostrum und Muttermilch bzw. Frauenmilch hervorgehoben, diese muss jedoch bei Frühgeborenen angereichert werden. Probiotika werden in der Arbeit als vorteilhaft beschrieben. Des Weiteren wird für Frühgeborene eine Vitamin- und Eisensupplementation empfohlen; bezüglich Kalzium und Phosphat wird ein regelmäßiges Monitoring angeregt. Abschließend gibt die Arbeit Empfehlungen für das „Entlassungsmanagement“ (unterschiedliches Vorgehen je nach Geburtsgewicht und Gewichtsentwicklung bis zur Entlassung mit Orientierung an der 10. Perzentile).

L. Gortner aus Homburg/Saar geht in seinem Beitrag schließlich auf mögliche Optionen der Stammzelltherapie bei Früh- und Neugeborenen ein und beschreibt experimentelle (vorwiegend an Nagern durchgeführte) Tierstudien sowie erste Ergebnisse aus Phase-I-Studien bei menschlichen Neugeborenen. Dabei berichtet der Autor auch über eigene Ergebnisse, die er z. T. im Rahmen eines Sabbaticals an der Wiener Universitätskinderklinik erarbeitet hat. Als Indikationen für eine derartige Therapie kommen in erster Linie die bronchopulmonale Dysplasie (BPD) und die hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE) in Betracht; in beiden Fällen soll die Stammzellverabreichung die Entstehung eines „gesunden“ Gewebes ermöglichen bzw. unterstützen. Dabei scheinen die Stammzellen weniger durch echte Zellproliferation und -differenzierung im Zielorgan („homing“) wirksam zu werden als durch Beeinflussung inflammatorischer und sekretorischer Prozesse. Bei der BPD unterstützt die Stammzelltherapie die Alveolisierung und unterdrückt inflammatorische Lungenprozesse; bei der HIE wurde die verminderte Proliferation von Mikroglia bei gleichzeitig verbesserter Ausreifung der Oligodendrozyten beobachtet. Der Autor betont, dass die Stammzelltherapie bei der HIE keinen Ersatz der Hypothermiebehandlung darstellt, sondern additiv zu dieser in Betracht gezogen werden sollte. Und er hält fest, dass es bezüglich Verabreichungszeitpunkt (eher frühe Verabreichung bei HIE), verabreichter Zellmenge, Art der Verabreichung (systemisch vs. topisch) und verwendeter Stammzellreserve (autolog vs. allogen, mesenchymale vs. hämatopoetische Stammzellen) noch Klärungsbedarf gibt. Dafür fordert der Autor klinische kontrollierte Studien, einschließlich spezifischer Nachsorgebeobachtungen.

Wir hoffen, dass wir mit diesem Schwerpunktthema auch das Interesse jener wecken können, die nicht routinemäßig in der Neonatologie tätig sind, und wünschen viel Freude bei der Lektüre der Beiträge.

Univ.-Prof. Dr. R. Kerbl

Univ.-Prof. Dr. A. Pollak