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Liebe Leserinnen und Leser,

die Polioepidemie war die Geburtsstunde der Intensivmedizin. Zum ersten Mal in der Geschichte wurden Menschen über einen längeren Zeitraum künstlich beatmet. Mittlerweile hat es immense technische Fortschritte in der Versorgung kritisch kranker Patient*innen gegeben [1]. Diese Fortschritte machen sich auch im Outcome bemerkbar. In einer großen retrospektiven Studie, welche die Entwicklung der Mortalität in der Intensivmedizin zwischen 1988 und 2012 in den USA untersuchte, konnte eine Verringerung der Mortalität um 35 % bei einer absoluten Reduktion von 17,3 % auf 11,3 % gezeigt werden, obwohl zugleich die Schwere der Erkrankungen anstieg [2]. Diese Verbesserungen findet man kaum in einem anderen medizinischen Fachgebiet. Die Intensivmedizin hat sich dabei zu einer entscheidenden Säule der modernen Gesundheitsversorgung entwickelt. Viele medizinische Therapieoptionen wären ohne eine intensivmedizinische Begleitbehandlung nicht möglich. Die Innovationskraft in der Intensivmedizin ist beeindruckend, berührt aber gleichzeitig oft die Grenze des Machbaren. Der Schwerpunkt dieser Ausgabe widmet sich der Betrachtung neuer Entwicklungen und Erkenntnisse in der internistischen Intensivmedizin.

Viele medizinische Therapieoptionen wären ohne intensivmedizinische Begleitbehandlung nicht möglich

Die akute Insuffizienz von Herz und Lunge hat in der Vergangenheit zum sicheren Tod geführt. Durch mittlerweile technisch etablierte Verfahren unterschiedlicher Herz-Lungen-Maschinen haben sich in den letzten zehn Jahren deutliche Fortschritte erzielen lassen. Besonders der Einsatz eines extrakorporalen Lungenersatzes (ECMO) beim schweren „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS) im Rahmen einer Coronavirus-disease-2019(COVID-19)-Infektion hat während der Severe-acute-respiratory-syndrome-coronavirus-type-2(SARS-CoV-2)-Epidemie rasant zugenommen. Auch die Maßnahme, im Rahmen einer Reanimation mittels eines extrakorporalen Kreislaufs als kardialem Pumpersatz das Outcome zu verbessern, kommt vermehrt zum Einsatz. In der vorliegenden Ausgabe werden diese intensivmedizinischen Therapieoptionen, die Indikation und das Outcome für das kardiale und pulmonale Versagen in den Beiträgen von Supady et al. und Mang et al. diskutiert.

Wenn eine Patient*in die Reanimation überlebt und die Intensivstation erreicht, beginnen viele pathophysiologische Prozesse, die entscheidend das Outcome beeinflussen. Ein zentraler Baustein in der Minimierung der Kollateralschäden einer Reanimation ist die Protektion des Zentralnervensystems durch Kühlung. Diese Therapieoption hat in den letzten Jahren ein Auf und Ab erlebt. Die anfängliche Euphorie über den neuroprotektiven Effekt ist mittlerweile einer nüchternen Bewertung gewichen. Die Kollegen Roedl, Wolfrum u. Kluge haben wichtige Studien in diesem Bereich publiziert und interpretieren deren Ergebnisse in der vorliegenden Ausgabe.

Zur Therapie der Sepsis stellen die Autoren Kochanek und David die neuesten Studien auf der Grundlage der Sepsis-Leitlinie von 2021 vor.

Sinn und Sinnhaftigkeit der Aufnahme und Behandlung von Patient*innen mit Tumorerkrankung auf der Intensivstation sollten heute nicht mehr infrage gestellt werden. Eine differenzierte Bewertung dieser Patientenpopulationen ist möglich und notwendig. Die Optionen von Patient*innen mit Tumorerkrankung auf der Intensivstation, aber auch ein kritischer Exkurs zur Aufnahmepolitik der Intensivstation sind Themen des Beitrags Beutel et al.

Die Intensivmedizin erkennt aber auch neue Krankheitsbilder. In dem Beitrag von Eichenauer et al. soll ein Chamäleon der Intensivmedizin vorgestellt werden, nämlich die hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH).

Während all die Innovationen und neuen Erkenntnisse faszinierend sind, muss gleichzeitig sichergestellt werden, dass der Mensch im Mittelpunkt bleibt. Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Ärzt*in und Pflegekraft, sowie zwischen diesen und den Patient*innen dürfen in der Hightech-Welt der Intensivmedizin nicht verloren gehen.

Die steigende Prävalenz chronischer Erkrankungen, Klimaveränderungen, die alternde Bevölkerung und globale Gesundheitskrisen wie die COVID-19-Pandemie stellen auch die Intensivmedizin vor komplexe Aufgaben. Die Optimierung von Ressourcen, nachhaltiges Arbeiten, ethische Entscheidungen im Umgang mit begrenzten Behandlungsmöglichkeiten und die Sicherstellung einer gerechten Verteilung lebensrettender Maßnahmen sind deshalb Themen, die zunehmend an Bedeutung gewinnen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen wir multidisziplinäre Ansätze fördern. Die Zusammenarbeit von Ärzt*innen, Pflegekräften, Wissenschaftler*innen, Ethiker*innen und Forscher*innen ist gerade in der Intensivmedizin von entscheidender Bedeutung, um gute und nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Der hier vorgelegte Schwerpunkt soll hierfür grundlegende Kenntnisse bereitstellen und damit einen Beitrag leisten für eine verbesserte Versorgung.

Mit herzlichen Grüßen

M. Hallek

M. Kochanek