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Für onkologisch orientierte Mediziner sind 2 hochrelevante internationale Veranstaltungen zu berücksichtigen. Zum einen die Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) als weltweit größter Kongress der klinischen Onkologie und der in Europa verortete Kongress der European Society for Medical Oncology (ESMO), welcher vom 16.–21. September 2021 in Paris gehostet war. Bei beiden virtuellen Veranstaltungen war die Anzahl der registrierten Teilnehmer (>34.000 ASCO und >22.000 ESMO) beeindruckend hoch.

Ungebrochen ist der Trend zur personalisierten Onkologie

Ungebrochen ist der Trend zur personalisierten Onkologie, welche den individuellen Eigenschaften des Patienten und seines Tumors Rechnung trägt. Gleichzeitig müssen groß angelegte prospektive randomisierte Phase-III-Studien die Grundlagen für die Zulassung bestimmten Behandlungsalgorithmen schaffen, was einen hohen finanziellen Aufwand bedeutet, der i. d. R. nur durch potente Pharmafirmen zu bewältigen ist.

In den nachfolgenden 5 Übersichtartikeln (chirurgische Therapie, Strahlentherapie, Chemotherapie und zielgerichtete Therapie, Immuntherapie, spezielle Tumorentitäten) werden die wichtigsten Studienergebnisse zur Behandlung von Kopf-Hals-Malignomen zusammengefasst und dabei kritisch in den Kontext der Studienresultate der vergangenen Jahre eingeordnet.

Chirurgische Therapie

Qualitativ hochwertige Studien zur chirurgischen Behandlung von Kopf-Hals-Karzinomen finden sich aus verschiedenen Gründen nur spärlich und fristen auch auf den großen Krebskongressen ein Nischendasein. Natürlich haben die operativ tätigen Kopf-Hals-Onkologen dieses Defizit erkannt, weshalb verschiedene Initiativen gestartet wurden (u. a. „Best Of“, „Raddon“). Stephan Hackenberg et al. haben die wenigen auf der ASCO-Jahrestagung vorgestellten chirurgischen Studien (i. d. R. Chirurgie als flankierende Maßnahme) zusammengefasst. So wurde bei der Phase-II-ECOG-3311-Studie [3] (Eastern Cooperative Oncology Group) eine Deeskalation der postoperativen Behandlung von Patienten mit p16-positivem Oropharynxkarzinom vorgenommen, deren Ergebnisse die Grundlage für eine beweisende Phase-III-Studie bei Patienten mit humanem Papillomavirus (HPV) im risikoadjustierten Setting sein werden. Auch andere Autoren bestätigen grundsätzlich die Sinnhaftigkeit der transoralen Resektion p16-positiver Oropharynxkarzinome und die nachfolgende Deeskalation für bestimmte Risikogruppen.

Aus der Mailänder Arbeitsgruppe um Lisa Licitra wurde ein multimodaler Therapieansatz bei Patienten mit unterschiedlichen Nasennebenhöhlenkarzinomen beschrieben, bei dem die Induktionschemotherapie als Indikator für die Nachfolgebehandlung verwendet wurde.

Nicht zuletzt ausgelöst durch die Studienergebnisse von D’Cruz aus dem Jahr 2015 [2] wurde inzwischen eine gemischte Phase-II/III-Studie (multizentrisch, Zentrale in Houston, TX, USA) aufgelegt, welche den Nutzen der Sentinellymphknotenbiopsie im Vergleich zur elektiven Neck-Dissection bei früheren Karzinomen der Mundhöhle untersucht.

Strahlentherapeutische Studien

In der groß angelegten Phase-III-GORTEC-REACH-Studie war die Kombination aus Strahlentherapie mit Inhibition von EGFR (epidermaler Wachstumsfaktorrezeptor) und PD-L1 („programmed death ligand 1“) bei lokal fortgeschrittenen Kopf-Hals-Karzinomen dem bisherigen „Goldstandard“ i. S. der simultanen platinbasierten Radiochemotherapie unterlegen, weshalb sich der Behandlungsstandard hier nicht ändern wird. Im HPV-Kontext bestätigt sich insgesamt der Eindruck einer strahlentherapeutischen Deeskalationsoption, wobei aber aktuell von einer Dosis-Deeskalation außerhalb von klinischen Studien noch abgeraten wird. Die innovative Phase-II-CheckRad-CD8-Studie zeigte die Effektivität einer Induktions-Chemoimmuntherapie mit anschließender chemotherapiefreier Radioimmuntherapie nach entsprechender Patientenselektion und strengem Nebenwirkungsmonitoring insbesondere in der Induktionsphase.

Chemotherapie und zielgerichtete Therapie

Der bisherige systemtherapeutische Erstlinienstandard in der Palliation von Patienten mit Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereichs bestand lange Zeit in dem sog. EXTREME-Schema – bestehend aus Cisplatin, 5‑Fluorouracil und Cetuximab (oder im modifizierten TPExtreme-Protokoll) und wurde zuletzt durch die Immuncheckpointinhibition (Nivolumab, Pembrolizumab ± Chemotherapie) ergänzt und teilweise abgelöst. Wenngleich bei den Kongressen keine Studien mit Relevanz in Bezug auf die Modifikation des aktuellen Behandlungsstandards vorgestellt wurden, so findet sich eine interessante neue (neoadjuvante) Applikationsform von Cisplatin i. S. eines (Schleimhaut‑)Pflasters für die lokale und regionale Anwendung beim frühen Mundhöhlenkarzinom.

(Vorbehandelte) Kopf-Hals-Karzinome werden zunehmend auch im molekularen Tumorboard vorgestellt

Da (vorbehandelte) Kopf-Hals-Karzinome zunehmend auch im molekularen Tumorboard vorgestellt und sequenziert werden, dürfte die in 4–8 % der Tumoren zu detektierende Mutation im Protoonkogen HRAS ein interessantes Zielmolekül darstellen, zumal mit Tipifarnib ein wirksamer Farnesyltransferase-Inhibitor zur Verfügung steht, der die HRAS-Funktion durch Blockade der notwendigen Protein-Membran-Lokalisation unterdrückt. Dieser kam in einer vielversprechenden Phase-II-Studie von R. Haddad zur Anwendung [4].

Immuntherapie

Die letzten Jahre waren geprägt durch Zulassung von Checkpointinhibitoren (u. a. Nivolumab und Pembrolizumab im Kontext mit dem Combined Positive Score [CPS]), welche den palliativen Behandlungsstandard von Patienten mit rekurrenten bzw. metastasierten Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereichs verändert haben. Jedoch konnte durch die Kombination aus Nivolumab und Ipilimumab (gegen CTLA‑4, „cytotoxic T‑lymphocyte-associated protein 4“, gerichtete Antikörper) im Rahmen der CheckMate-651-Phase-III-Studie keine Verbesserung im Vergleich zum EXTREME-Standardarm erzielt werden. Aktuelle Studienbemühungen zielen in Richtung des frühen Einsatzes der gegen Checkpoints gerichteten Antikörper in der Neoadjuvanz, von denen Marie-Nicole Theodoraki et al. 2 Studien näher vorstellen. Auch bei der Behandlung des fortgeschrittenen Nasopharynxkarzinoms scheint die Inhibition von PD‑1 („programmed cell death protein 1“) in der Kombination mit antineoplastischer Chemotherapie angekommen zu sein, wenngleich die Anwendung erst nach entsprechender Zulassung der Präparate (Camrelizumab oder Toripalimab; [5]) in der EU möglich sein wird.

Spezielle Tumorentitäten

Die Kollegen aus Hamburg widmen sich dem stetig wachsenden Thema der seltenen Tumorentitäten. Hier sind neben dem bereits genannten Nasopharynxkarzinom auch die Speicheldrüsenkarzinome und die Schilddrüsenmalignome zu erwähnen.

Insbesondere bei den rezidivierten oder metastasierten Speicheldrüsenkarzinomen sollte eine molekularbiologische Analyse (molekulares Tumorboard) erfolgen, angesichts der z. T. hoffnungsvollen Ansprechraten zielgerichteter Therapien im Vergleich zu klassischen antineoplastischen Chemotherapien. In ähnlicher Weise zeigt sich nun bei der palliativen Therapie von Schilddrüsenkarzinomen die Wirksamkeit von Tyrosinkinase-Inhibitoren [1].

Insgesamt ist der Kongress ein wichtiger Impulsgeber für die Behandlung der uns anvertrauten Patienten, und wir hoffen, Ihnen mit den nachfolgenden Artikeln einen Ausblick geben zu können, was sich aufgrund dieser Daten in der klinischen Praxis zukünftig ändern wird.

Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen

Ihr

Thomas Hoffmann