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Mit großer Trauer mussten wir vom Tod unseres Lehrers Prof. Harald Feldmann erfahren. Er starb am 06.05.2021, wenige Wochen nach seinem 95. Geburtstag, im Kreise seiner Familie in Münster.

Seit seiner Kindheit begleitete ihn die Liebe zur Musik

Am 15.02.1925 wurde Harald Feldmann in Weferlingen bei Magdeburg geboren. Seit seiner Kindheit begleitete ihn die Liebe zur Musik – er spielte Zeit seines Lebens selbst Klavier –, und sie führte ihn früh in die Audiologie als Ausgangspunkt seines ungemein fruchtbaren wissenschaftlichen Schaffens. Bereits als Student der Medizin 1955 in Berlin widmete er sich diesem Feld in seiner mit „summa cum laude“ ausgezeichneten und hochrangig publizierten experimentellen Promotionsarbeit über das „Rhythmusempfinden Gehörloser und Normalsinniger“.

Seiner Feder entsprangen 244 Publikationen und Handbuchartikel – fast alle mit ihm als einzigem Autor (darunter 14 Monographien). Einige davon sind als Standardwerke in mehreren Auflagen erschienen, wie Tinnitus oder Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes. Besonders bemerkenswert ist die hohe wissenschaftliche Qualität seiner Arbeiten. Schon in seinem ersten Jahr in Heidelberg bei Kindler, dem er aus Berlin gefolgt war, gelang ihm mit dem Adaptogramm eine erste Entdeckung, die später als einer der „Feldmann-Tests“ zur Messung der Hörermüdung in die Literatur einging. In Selbstversuchen fiel ihm auf, dass beim Hören unter Störgeräuschen die dabei zu beobachtenden Phänomene nur mit kohärenten Schallreizen auf beiden Ohren zustande kommen. Diese Untersuchungen mündeten 1963 in seine Habilitationsschrift „Untersuchungen zum binauralen Hören im Geräusch“. Daraus folgten weitere Forschungen zur zentralnervösen Verarbeitung des Hörens, die u. a. zur Entwicklung des dichotischen Diskriminationstests, einem weiteren „Feldmann-Test“ führten. Lange vor den modernen Techniken der akustisch evozierten Potenziale oder Magnetresonanzuntersuchungen bildeten diese Tests wichtige Werkzeuge zur Abgrenzung zentralnervöser Hörstörungen.

Aufbauend auf seiner Beschäftigung mit der Tonaudiometrie fiel ihm auf, dass Tinnitus im Gegensatz zu physikalischen Schallsignalen sowohl von ipsi- als auch von kontralateral mit gleichem Verdeckungspegel maskiert werden kann. Die von ihm beschriebenen 6 Verdeckungstypen bei verschiedenen Formen des Tinnitus zeigten erstmals, dass man Tinnitus messtechnisch erfassen kann. Sie sind als Meilensteine in die Tinnitusforschung eingegangen. Er richtete 1987 das dritte internationale Tinnitusseminar in Münster aus und publizierte mit seinem Buch Tinnitus ein Standardwerk.

Bereits als junger Facharzt in Heidelberg vertiefte sich Harald Feldmann in einen anderen wissenschaftlichen Schwerpunkt: die Begutachtung in der HNO-Heilkunde. Er entwickelte die Schädigungstabelle (Minderung der Erwerbsfähigkeit, MdE) für Hörstörungen, die sog. Feldmann-Tabelle. Diese Arbeiten bildeten den Grundstock seines Gutachtenbuchs, das seit 1976 in regelmäßigen Neuauflagen erschienen ist. Mittlerweile gibt es die 8. Ausgabe, nun auch in Zusammenarbeit mit seinen Schülern. Eine Begutachtung im HNO-Fachgebiet ist ohne den „Feldmann“ kaum denkbar.

Auch auf vielen anderen Gebieten der HNO-Heilkunde hat sich Harald Feldmann große Anerkennung erarbeitet. Zu nennen sind hier u. a. die Untersuchungen zum physikalischen Phänomen des Wärmetransports bei der thermischen Vestibularisprüfung. Die von ihm entwickelte oszillierende Stichsäge ermöglichte die osteoplastische Kieferhöhlen- und Mittelohroperation.

Darüber hinaus hat ihn die Medizingeschichte von Beginn an fasziniert. Bereits 1960 publizierte er als Assistenzarzt in Heidelberg sein später weltweit verbreitetes Buch Die geschichtliche Entwicklung der Hörprüfungsmethoden. Hierin untersucht er die historischen Verfahren der Hörprüfungen durch die abendländische Geschichte bis zu seinem visionären Ausblick einer „objektiven Audiometrie“, dieses schon einige Jahre vor den grundlegenden Publikationen von Keidel und Davis.

Als erfahrener HNO-Kliniker konnte er manche bislang unerklärliche Erkrankung berühmter Persönlichkeiten heute bekannten pathologischen Veränderungen korrekt zuordnen, wie bei Smetana, Hertz und insbesondere Luther, was zu großer Aufmerksamkeit geführt hat. Zusammengefasst hat er seine zahlreichen Arbeiten, auch die zu weiteren interessanten Entdeckungen in Diagnostik und Therapieverfahren, in seinem Buch über Bilder aus der Geschichte der HNO-Heilkunde. Hingewiesen sei darüber hinaus auf seine jahrelang zusammengetragene Sammlung alter HNO-Instrumente, die im Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt zugänglich ist.

Der Name „Feldmann“ ist wie kein anderer mit der Entwicklung der Audiologie in Deutschland verbunden

Der Name „Feldmann“ ist wie kein anderer mit der Entwicklung der Audiologie in Deutschland verbunden. Diese Anerkennung spiegelte sich in vielen Ehrungen, u. a. dem Ludwig-Haymann-Preis der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie 1972, der goldenen Verdienstmedaille 1996 und der Ehrenmitgliedschaft der Gesellschaft 1997, der er von 1983–1984 als Präsident vorstand, sowie der ersten Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Gesellschaft für Audiologie (DGA) 1999. Von 1988 bis 1992 war er als Schriftleiter der Zeitschrift Laryngo-Rhino-Otologie des Thieme Verlags tätig.

Auch seine „Heimatfakultät“ Münster, an der er von 1976 bis 1991 als Direktor der HNO-Universitätsklinik wirkte und die er 1981–1983 als Prodekan und Dekan vertrat, brachte ihre Wertschätzung seiner auch nach außen wirkenden Forscherpersönlichkeit mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde 2006 zum Ausdruck. Münster wurde seine Heimatstadt.

Als Kliniker und Forscher zeichnete Harald Feldmann seine überzeugend logische und gradlinige Art zu denken aus, die eingeschliffene Vorstellungen hinterfragte und manchmal überraschend neue Wege wies, basierend auf seinem überragenden Allgemein- und Fachwissen. Harald Feldmann brauchte nicht die große Bühne. Seinen Vorträgen lag ein ruhiger, logischer Aufbau der Überlegungen zugrunde, die dann den Zuhörer in eine ganz neue Richtung lenkten. Dabei konnte dieser bescheidene Mensch überraschen mit seinem feinen Humor – diejenigen, die dabei waren, erinnern sich noch an seine mitreißende Rede zur Präsidenten-Übergabe 1984 mit so viel Witz und Esprit, dass es die Zuhörer am Ende nicht mehr auf den Sitzen hielt.

Besonders prägend in der Erinnerung ist seine menschlich warme und besonnene Wesensart, mit der er an der Münsteraner Klinik ein freundliches und tolerantes Arbeitsklima geschaffen hat. Seine Mitarbeiter(innen) hatten eine schöne und produktive Zeit bei ihm. Für die Ausbildung und die vielen wissenschaftlichen Impulse, die er uneigennützig zur Verfügung gestellt hat, danken ihm seine Schüler(innen) in Erinnerung an ihre Jahre in der Feldmann’schen Münsteraner Schule. Wir sind sehr traurig, dass dieser wunderbare Mensch von uns gegangen ist, und trauern mit seiner Frau und seinen Kindern.

Karl-Bernd Hüttenbrink,

Thomas Deitmer,

Klaus-Wolfgang Delank

im Namen seiner akademischen Schülerinnen und Schüler