Hintergrund

Zu den wesentlichen sich gegenseitig bedingenden Merkmalen von Städten gehören Dichte, Zentralität, innere Differenzierung und urbane Lebensformen [1]. In Städten ist die Bevölkerungsdichte größer als auf dem Land. Es gibt Gymnasien oder gar Hochschulen, gehobene Kulturangebote und spezialisierte Fachgeschäfte. Eine Stadt gliedert sich in Zentrum, unterschiedliche Wohn‑, Einzelhandels- und Gewerbegebiete auf. Zudem sind Städte Lebenswelten für unterschiedliche Communitys im Hinblick auf Faktoren wie Einkommen, Bildung, kulturelle, politische und sexuelle Identität sowie Lebensstile und -formen.

Im Folgenden stellen wir Dichte in unterschiedlichen Ausprägungen als Merkmal von Stadt in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen. Denn Dichte besitzt eine besondere Ambivalenz, wenn man Städte aus der hier eingenommenen gesundheitlichen Perspektive betrachtet. Dichte Siedlungsstrukturen bieten häufig erst ausreichend Bevölkerung, um Angebote der Daseinsvorsorge mit einer hohen Zentralität wie Spezialkliniken, Präventionsangebote oder überhaupt eine medizinische Grundversorgung vorhalten zu können. Sie ermöglicht es, Sozialkapital in und mit der eigenen Community zu erschließen. Was es demgegenüber bedeutet, wenn Dichte rückläufig ist, kann in sogenannten schrumpfenden Städten beobachtet werden [2]. Unter schrumpfenden Städten werden solche verstanden, die an Bevölkerung, Wirtschaftskraft und Siedlungsfläche verlieren.

Mit Blick auf die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) bieten Städte eine Möglichkeit, mit einem geringen Verbrauch von Umweltressourcen zu wohnen, zu arbeiten und Freizeit zu verbringen. Gerade die Dichte einer Stadt ermöglicht wenig Flächenversiegelung pro Kopf und effiziente Mobilitätssysteme. Gleichzeitig können Dichte und urbane Aktivität mit einem erhöhten Lärmaufkommen, Luftbelastungen, Hitzeinseln und eingeschränktem Zugang zu gesundheitsförderlichen Ressourcen wie ruhigen Orten, frischer Luft oder Grünflächen einhergehen.

Aufgrund ihrer inneren Differenzierung bilden sich in Städten unterschiedliche Sozialräume (Infobox 1) für ihre diverse Bevölkerung aus. So bieten Städte Menschen mit hohem und niedrigem Einkommen die Möglichkeit, zu wohnen und zu arbeiten. Für Migrant*innen mit freier Wohnortwahl sind häufig die Quartiere der Großstädte als sogenannte Arrival Citys erste Ankunftsorte. Im Ergebnis bedeutet dies, dass Städte soziale Ungleichheiten vereinen und es aufgrund ihrer inneren sozialen Differenzierung zu segregierten Stadtteilen kommt, in denen sich Bevölkerung mit gleichen Merkmalen konzentriert. Die oben benannten Umweltfaktoren sind ebenso wie die Bevölkerung in den verschiedenen Teilräumen der Stadt ungleich verteilt, was zu Situationen umweltbezogener Verteilungsungerechtigkeit führen kann [3].

Die beschriebene innere Differenzierung einer Stadt stellt ein Ergebnis von Stadtentwicklung dar. Stadtentwicklung umfasst alle Prozesse, die zur Ausprägung und Veränderung der Stadtstruktur führen [5]. Die Prozesse können einerseits die Folge gezielter kommunaler Planung und Steuerung, auch im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung, sein. Andererseits können sie aus mehr oder weniger intendierten, stadtprägenden Handlungen individueller und institutioneller Akteur*innen resultieren. Das Wechselspiel beteiligter Akteur*innen ist durch ein umfassendes Instrumentarium der räumlichen Planung, des planerischen Umweltschutzes sowie zahlreicher Rechtsbereiche geprägt. Wegen des Grundrechts an Eigentum spielen Grundstückseigentümer*innen als Handelnde am Bodenmarkt eine wichtige Rolle bei der Umsetzung räumlicher Planungen und Strategien.

Der Frage nach einer Stadt als gesundem Lebensort wird im Folgenden insbesondere unter dem Aspekt von Dichte nachgegangen, wobei der Zusammenhang von Lärm als gesundheitsbelastenden Faktor, Grün als gesundheitsfördernde Ressource und die gesundheitliche Versorgung exemplarisch vertieft werden. Zunächst wird die Verstädterung in Deutschland als Ausgangsbedingung für den Umgang mit Gesundheit in der Stadt beschrieben, um dann auf Leitbilder als Orientierungen für die Steuerung von Stadt einzugehen. Damit Städte im Sinne der kommunalen Selbstverwaltung durch Politik und Verwaltung entwickelt werden können, steht ein umfangreiches Instrumentarium an formellen und informellen Instrumenten bereit, das beschrieben und dann mit Blick auf die Partizipation gesundheitlicher Akteur*innen vertieft wird.

Verstädterung in Deutschland

In Deutschland konzentriert sich ein Großteil des Bevölkerungswachstums seit Langem auf die Städte. Spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts verloren die ländlichen Gemeinden im Vergleich zu den Städten als Wohnstandorte der Bevölkerung an Bedeutung. Wohnten 1910 noch 40,0 % der deutschen Bevölkerung in Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohner*innen (EW), so waren es im Jahr 2019 nur noch 5,5 %. Demgegenüber gewannen zunächst die Großstädte (>100.000 EW) und seit Mitte des 20. Jahrhunderts besonders auch Kleinstädte (5000–20.000 EW) und Mittelstädte (20.000–100.000 EW) an Bedeutung als Wohnorte der Bevölkerung. Die benannten Veränderungen wurden auch durch die Gebietsreformen in Deutschland, die der Zusammenlegung kleiner Kommunen dienten, begünstigt (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Anteil der Bevölkerung nach Gemeindegrößenklassen in Deutschland (in %). (Quelle: eigene Darstellung, basierend auf [6, 7])

Diese „Vergrößerung und Ausdehnung von Städten nach Zahl, Fläche oder Einwohnern sowohl absolut als auch im Verhältnis zur ländlichen Bevölkerung“ wird als Verstädterung bezeichnet [8, S. 59]. Die parallel einhergehende Ausbreitung städtischer Lebensweisen (bspw. auch auf ländliche Gemeinden) wird unter dem Begriff der Urbanisierung gefasst [8]. Eine Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass ein immer größerer Anteil der Bevölkerung in dicht besiedelten und dicht bebauten Räumen lebt. Das Leben in einer städtisch-urbanen Umwelt ist für die Bevölkerung in Deutschland der Normalfall.

Die deutschen Städte stellen für ihre Bewohner*innen gleichzeitig sehr heterogene Lebenswelten dar. Sowohl im Vergleich untereinander als auch mit Blick auf die unterschiedlichen Quartiere innerhalb der Städte weisen sie aufgrund der oben beschriebenen sozialräumlichen Differenzierung gravierende Unterschiede auf. Stadtprägende Determinanten wie Freiflächenverfügbarkeit, Immissionsbelastungen, Immobilienpreise, Versorgungsangebote und Bevölkerungsstruktur variieren groß- wie kleinräumig stark. Auch Bebauungs- und Bevölkerungsdichte prägen das Stadtbild ganz entscheidend. Im Zusammenspiel erzeugen Bebauungs- und Bevölkerungsdichte Orte von mehr oder weniger Diversität und es stellt sich die Frage nach dem verträglichen Maß an Dichte [9], insbesondere auch für die menschliche Gesundheit. Eine Frage, die pauschal nicht zu beantworten ist.

Die Bevölkerungsdichte in deutschen Städten ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Mit über 4000 EW/km2 leben die Menschen in München und Berlin so dicht beieinander wie sonst nirgends in Deutschland (Tab. 1). Gemeinsam mit bspw. auch Frankfurt am Main und Stuttgart (>3000 EW/km2) gehören sie zu den Metropolräumen in Deutschland, die für ihr urbanes Flair, die hohe Anziehungskraft und für teure Immobilienpreise bekannt sind. Eine typische Herausforderung in diesen Städten ist die Bereitstellung von ausreichend Wohnraum bei gleichzeitig geringer werdender Flächenverfügbarkeit innerhalb der Kernstädte. Im Kreis der fünf deutschen Städte mit der größten Bevölkerungsdichte nimmt die Stadt Herne eine Sonderrolle ein. Sie ist eine vergleichsweise kleine Großstadt, weist einen moderaten Immobilienmarkt auf und besitzt keine Insellage wie die großen Metropolen, sondern ist eingebettet in den Verflechtungsraum des Ruhrgebiets. Anders als die boomenden Metropolen sieht sich die Stadt Herne so unter gänzlich anderen Rahmenbedingungen mit den Herausforderungen einer hohen Bevölkerungsdichte konfrontiert.

Tab. 1 Deutsche Gemeinden mit hoher und geringer Bevölkerungsdichte. (Quelle: eigene Darstellung, basierend auf [10], mind. 1000 Einw.)

Am anderen Ende der Skala finden sich Städte und Gemeinden, welche eine Bevölkerungsdichte von teilweise unter 20 EW/km2 aufweisen. Sie liegen vornehmlich in gering besiedelten Regionen (insb. des Ostens und Nordens Deutschlands) und besitzen teilweise sehr große Gemeindegebiete. Den häufig demografisch schrumpfenden Städten dieser Regionen wird selten „Urbanität“ attestiert. Die Herausforderungen liegen hier darin, überhaupt ein Mindestmaß an Dichte – zur effektiven und effizienten Bewältigung der Daseinsvorsorge – gewährleisten zu können.

Die Dichte einer Stadt bringt – wie bereits angedeutet – Vorteile mit sich, birgt aber auch Konfliktrisiken. So sind beispielsweise Konflikte zwischen lärmemittierenden Nutzungen einerseits (z. B. Verkehr und Gewerbe) und schutzwürdigen Nutzungen andererseits (z. B. Wohnbebauungen) in vielen Städten ein Regelfall. Laut Umweltbundesamt [11] sind „nachts 13,2 % der Bevölkerung von gesundheitsschädlichem Lärm betroffen“. Betrachtet man den Gesamttag, so sind sogar 19,1 % von einem Lärmpegel größer 55 dB(A) Lden betroffen [11]. Hierbei handelt es sich um den Lärmmittelungspegel „day-evening-night“, der mit Lden abgekürzt wird und nach Vorgaben der Umgebungslärmrichtlinie der Europäischen Union erhoben wird. Planungen in lärmvorbelasteten Bereichen sind in wachsenden Städten an der Tagesordnung. Je urbaner, nutzungsgemischter und dichter die Lebensräume bebaut sind, desto größer ist das Risiko für Lärmkonflikte [12].

Mit Blick auf Grün- und Freiflächen in den Städten ergibt sich eine besondere Herausforderung. Gerade in den bereits sehr dicht bebauten und weiterwachsenden Städten besteht ein großer Druck, weiteren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Zur Realisierung des Wohnraumbedarfs geraten bisher unbebaute Grün- und Freiflächen verstärkt in den Fokus. Es sind aber auch eben diese Flächen, die in hochverdichteten Gebieten wichtige gesundheitsrelevante Funktionen, wie Erholung, Frischluftproduktion und thermische Kühlung, bereitstellen. Je stärker eine Stadt wächst und je dichter sie bereits bebaut ist, desto größer ist die Gefahr, diese Funktionen einzubüßen.

Ebenfalls stark durch die Dichte unserer Städte beeinflusst wird die Gesundheitsversorgung. Zentrale Güter und Dienstleistungen der Gesundheitsversorgung „sollten in einer akzeptablen Mindestqualität zu sozialverträglichen Preisen und flächendeckend in zumutbarer Entfernung erreichbar angeboten werden“ [13, S. 2]. Die materielle Gestalt und Dichte einer Stadt wirken sich auf die Erreichbarkeit, Quantität und Qualität der gesundheitsrelevanten Güter und Dienstleistungen aus. Aufgrund der sozialen Differenzierung von Stadt ist jedoch zu berücksichtigen, dass Dichte allein den Zugang zu gesundheitlicher Versorgung nicht sicherstellt [13, S. 4–7].

Leitbilder der Stadtentwicklung und deren Bezug zu Gesundheit

Leitbilder stehen in der Stadtentwicklung für positiv ausgerichtete Zielvorstellungen und geben Orientierung für Entscheidungsprozesse. Sie bündeln gesellschaftliche Interessen und vereinen über ihre Offenheit unterschiedliche Interessenlagen. Eine Konkretisierung erfolgt über leitbildbezogene Diskurse, im Hinblick auf konkrete Planungskontexte und teilweise auch über eine Weiterentwicklung rechtlicher Grundlagen. So wie gesellschaftliche Interessen vielfältig sind, gibt es auch parallel existierende und zum Teil in Konkurrenz zueinander stehende Leitbilder. Aufgrund sich ändernder gesellschaftlicher Bedingungen und Werte ändern sich Leitbilder über die Zeit. Leitbilder können dabei mindestens mittelbar auch unterschiedliche Vorstellungen über die Entwicklung der gesundheitlichen Verhältnisse und den Umgang mit Dichte in einer Stadt implizieren.

Ein seit den 1990er-Jahren zentrales und auch heute vorherrschendes Leitbild räumlicher Entwicklung ist das einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Nachhaltigkeit wird im Kontext von Stadtentwicklung im Einklang mit den Sustainable Development Goals (SDGs) im Sinne einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung sowie einer inter- und intragenerativen Generationengerechtigkeit verstanden. Das Verständnis einer integrierten ressortübergreifenden Stadtentwicklung ist ein handlungsleitendes Prinzip der nachhaltigen Stadtentwicklung. Diesem übergeordneten Leitbild lassen sich Leitbilder wie „Die Stadt der kurzen Wege“ oder „Die kompakte Stadt“ zuordnen. Auch das Leitbild der „Umweltbezogenen Gerechtigkeit“ ist hier zu verankern, allerdings in Deutschland noch wenig beachtet [14]. Nachhaltige Raumentwicklung hat namentlich Eingang in die gesetzlichen Grundlagen der Raumordnung und Bauleitplanung gefunden.

Die im Jahr 2007 verfasste „Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ [15] ist Ausdruck einer Konkretisierung des Leitbildes im europäischen Diskurs. Die Leipzig Charta betont vor allem die Bedeutung der kommunalen Ebene für eine Umsetzung von Zielen einer nachhaltigen Entwicklung und die Relevanz von integriertem Handeln. Gesundheit wird in der Charta zwar nur im Hinblick auf Wohnverhältnisse und innovative Informations- und Kommunikationstechnologien benannt, der sich durchziehende Ansatz integrierten Handelns liefert im Sinne des Health-in-All-Policies-Ansatzes (Gesundheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe) jedoch vielfältige Möglichkeiten zur Gesundheitsförderung, auf die im folgenden Abschnitt eingegangen wird.

Das Leitbild einer nachhaltigen Stadtentwicklung ist insbesondere aufgrund des angesprochenen geringen Verbrauchs an Umweltressourcen pro Kopf eng verbunden mit einer Verdichtung und Nutzungsmischung innerhalb von Städten. So gibt es Prinzipien wie „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“, die die Ausweisung neuer Siedlungsflächen vor allem in bestehenden städtischen Strukturen vorsehen und somit Freiflächen außerhalb der Stadt schützen und bestehende Infrastrukturen effizienter nutzen. Das Prinzip der „doppelten Innenentwicklung“ [16] versucht dabei die Bedeutung von Grünflächen in Städten zu stärken und dieser Entwicklung eine weitere Qualität zu geben. Das Leitbild von „Grün in der Stadt“ ist in einem Weißbuch konkretisiert worden [17].

Das mit dem Leitbild einer nachhaltigen Stadtentwicklung verbundene Streben nach mehr baulicher Dichte hat in einer rechtlichen Konkretisierung dazu geführt, dass der Belang der menschlichen Gesundheit vor dem einer stärkeren Innenentwicklung zurückstand. So wurden Änderungen in der Baunutzungsverordnung, einer bundesweit gültigen rechtlichen Grundlage für Kommunen in der Bauleitplanung, vorgenommen. Diese Änderungen sehen vor, dass mit dem „urbanen Gebiet“ eine neue Gebietskategorie eingeführt wird, die insbesondere eine erhöhte Lärmbelastung in ausgewählten baulich dichten Gebieten zulässt, in denen Wohnen zulässig ist. Die Änderung dieser gesetzlichen Grundlage wurde aus einer gesundheitlichen Sicht sehr kritisch diskutiert [18].

Das Leitbild einer nachhaltigen Stadtentwicklung hat das Leitbild der modernen Stadt, wie es insbesondere mit der Charta von Athen aus dem Jahre 1933 geprägt wurde, abgelöst. Dieses Leitbild setzte vor allem auf eine räumliche Trennung verschiedener Funktionen, Urbanität durch Dichte und eine Förderung individueller Mobilität mit dem Auto. Das Leitbild der modernen Stadt prägte den Städtebau von der Nachkriegszeit bis in die 1970er- und 1980er-Jahre. Die Folgen des „Erfolgs“ dieses Leitbilds sind heute in vielen Städten (bspw. als autogerechte Großwohnsiedlungen) sichtbar und verdeutlichen die Relevanz von Leitbildern und deren Fortwirkung aufgrund ihrer baulichen Manifestierung auch über die Zeit ihrer Gültigkeit hinaus. Raumstrukturen sind persistent, ändern sich nur langsam.

Heute wird im Wesentlichen im Bestand geplant. Zudem ist zu bedenken, dass auch das Leitbild der modernen Stadt, wie es in der Charta von Athen gefasst wurde, gesundheitsbezogene Ziele, insbesondere vor dem Hintergrund von Stadthygiene verfolgte. Baumgart [19] arbeitet heraus, welche Rolle Gesundheitsvorsorge in städtebaulichen Leitbildern des 19. und 20. Jahrhunderts spielte. So waren in der Charta von Athen Licht, Luft und Sonne leitende Prinzipien, die im Ergebnis zu einer Trennung von Wohnen und Industrie sowie der Bereitstellung von Wohnraum mit einer ausreichenden Versorgung an Grünflächen auch für einkommensschwache Haushalte führte. Kistemann und Ritzinger [20] ordnen dieses Leitbild demnach als eines ein, das auf Gesundheitsschutz ausgerichtet ist. Dieser Gedanke von Schutz der menschlichen Gesundheit vor Gefährdungen ist für die Stadtentwicklung und ihre rechtlichen Grundlagen bis heute prägend. Mit dem auch auf die Verminderung sozialer Ungleichheit ausgerichteten Leitbild der Charta von Athen ging ein Boom des sozialen Wohnungsbaus einher.

Ein weiteres Leitbild, das vor allem aus Sicht der gesundheitlichen Versorgung im Bereich der Krankenhausplanung relevant ist, ist das Zentrale-Orte-Konzept. Ursprünglich ist das Konzept der zentralen Orte eine Standorttheorie, die in den 1930er-Jahren Orte unterschiedlicher Zentralität identifizierte: Während Grundzentren den grundlegenden täglichen Bedarf decken, gibt es in Mittel- und Oberzentren ergänzend auch Güter des gehobenen, periodischen Bedarfs und in Oberzentren zusätzlich Güter des episodischen Bedarfs [21]. Diese aus der Beobachtung entstandene Theorie wird heute als planerisches Leitbild genutzt und ist sowohl im Raumordnungsgesetz als auch in Landesplanungsgesetzen verankert. Die in Landesentwicklungsplänen festgelegten zentralen Orte sind für die Daseinsvorsorge insbesondere in den Bereichen Bildung, Kultur und gesundheitliche Versorgung für öffentliche Fachbehörden bei der Wahl von Standorten bindend, privatwirtschaftlichen Entscheidungsträgern wird eine Orientierung nahegelegt. „Eine landesplanerische Zielaussage, wonach „Krankenhäuser der Hauptversorgung … an zentralen Orten der mittleren Stufe errichtet werden sollen, kann folglich nur das ‚Wo‘, nicht das ‚Ob‘ der Krankenhauserrichtung beeinflussen“ [22]. Die zentralen Orte haben parallel zu den anderen Leitbildern eine ordnende Funktion und gelten gleichermaßen für wachsende wie schrumpfende Städte.

Instrumente der Stadtentwicklung

Unter weitgehend ähnlichen rechtlichen Voraussetzungen zur Stadtentwicklung in Deutschland stellen sich die Gegebenheiten in den Städten, wie beschrieben, sehr unterschiedlich dar. Die Steuerungsmechanismen zur gesundheitsorientierten Entwicklung der Städte können und müssen somit auf vielfältige Art und Weise, angepasst auf den stadtspezifischen Kontext, Lösungen bieten [23]. Die jeweilige Dichte der Städte beeinflusst dabei den Einsatz des Instrumentariums der kommunalen (räumlichen) Planung in den hier betrachteten Handlungsfeldern Lärm, Grün- und Freiflächen sowie gesundheitliche Versorgung. Es steht eine Vielzahl von Instrumenten aus dem Bereich der räumlichen Planung und des planerischen Umweltschutzes zur Verfügung.

Die Ausführungen zu den Leitbildern haben bereits gezeigt, dass Gesundheit ein seit Langem bestehendes und historisch verankertes Interesse der Stadtentwicklung ist. Dieses Potenzial ist in einer Vielzahl von Veröffentlichungen dargelegt und ausführlich beschrieben [3, 24]. Es wurden bereits Arbeitshilfen für die kommunale Praxis entwickelt, welche die Nutzung dieser Instrumente für eine gesundheitsfördernde Stadtentwicklung optimieren sollen [25]. Zentrales Element eines jeden Instruments der Stadtentwicklung und des planerischen Umweltschutzes ist die Integration verschiedener Sichtweisen auf die räumlichen Belange, weshalb jedes Instrument auch mit einem Beteiligungsverfahren versehen ist. Zu beachten ist, dass Gesundheit nur ein Belang unter vielen (ggf. konfligierenden) Belangen ist. Im Rahmen der bauleitplanerischen Abwägung sind z. B. alle öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen [26]. Andere Belange als die Gesundheit können dabei ein höheres Gewicht erhalten.

Auf der kommunalen Ebene ist in den Politikfeldern Stadtentwicklung und Umwelt das Potenzial, die Health-in-All-Policies-Strategie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu verfolgen, besonders groß [27]. Damit dieses Potenzial erschlossen werden kann, ist es wichtig, dass Akteur*innen des Gesundheitssektors die Funktionsweisen räumlicher Planungsinstrumente ausreichend einordnen können. Gleichzeitig sollte die Anwendung der Instrumente durch die jeweiligen Fachplaner*innen mit einem umfassenden Verständnis von Gesundheit – und nicht nur pathogenetisch – erfolgen. Dies soll im Folgenden kurz, wiederum an den drei Beispielen Lärm, Grün- und Freiflächen und gesundheitliche Versorgung veranschaulicht werden.

Der Umgang mit Lärm ist bei Neuplanungen und Genehmigungen sehr umfangreich gesetzlich geregelt. Entsteht ein neues Wohngebiet, wird eine Straße erweitert oder ein Gewerbe zugelassen, werden Berechnungen, teilweise als Bestandteil einer Umweltprüfung, in der auch die menschliche Gesundheit betrachtet wird, durchgeführt [28]. In diesem Kontext werden wiederum allgemein anerkannte Normen wie die DIN 18005 herangezogen, welche als Stand der Technik Hinweise zur Berücksichtigung des Schallschutzes bei der städtebaulichen Planung liefert. Dies beinhaltet neben Berechnungsgrundlagen auch schalltechnische Orientierungswerte. Auf der Grundlage solcher Analysen und durchaus vorsorgeorientierter gesundheitsbezogener Grenzwerte werden häufig sehr klare Auflagen zur Vermeidung von Lärm oder zum Schutz vor Lärm festgesetzt. Aufgrund des umfangreichen Instrumentariums ist der Schutz vor Lärm bei Neuplanungen besser gesichert als der Schutz vor Lärm und die Minderung von Lärm in bereits bestehenden Baustrukturen. Dies gilt, obwohl der Schutz der menschlichen Gesundheit durch die oben beschriebene Einführung des neuen Gebietstyps „urbanes Gebiet“ in die Baunutzungsverordnung auch bei Neuplanungen teilweise aufgeweicht wurde. Der geringere Lärmschutz im Bestand ist insbesondere relevant, da erstens der Bestand einen Großteil der Städte ausmacht und zweitens einkommensschwache Personen eher in bereits bestehenden Wohnungen als in Neubauten leben. Vulnerable Gruppen werden also mit einem tendenziell schwächeren Instrumentarium vor Lärm geschützt.

Der Umgang mit Lärm in bereits bebauten Gebieten wird ausgehend von EU-weiten Vorgaben im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) geregelt. Es ist vorgegeben, dass die Lärmbelastung durch Gewerbe sowie Straßen‑, Schienen- und Flugverkehr kartiert wird, für Lärmschwerpunkte Maßnahmen zur Lärmminderung entwickelt und nach Möglichkeit umgesetzt werden sowie ruhige Gebiete erhalten werden sollen. Dies wird in Lärmaktionsplänen festgehalten. Hier ist zu bemängeln, dass es keinen Lärmgrenzwert – vergleichbar zu denen der Neuplanung oder auch der Luftreinhalteplanung gibt. Ein beispielsweise auf WHO-Vorgaben basierender Grenzwert wäre realistisch nicht einhaltbar, da es insbesondere aufgrund des motorisierten Individualverkehrs in unseren Städten viel lauter ist, als dies die WHO-Empfehlungen für gesundheitlich vertretbar halten [29]. Hier besteht großer handlungsbezogener Forschungs- und Entwicklungsbedarf, insbesondere angesichts der Evidenz zu gesundheitlichen Wirkungen von Lärm.

Zum Erhalt und zur Entwicklung von Grün- und Freiflächen in Städten gibt es ein umfangreiches etabliertes Instrumentarium [30]. Grün in der Stadt ist zudem in einem bundesweiten „Masterplan Stadtnatur“ des Bundesumweltministeriums als Maßnahmenprogramm operationalisiert worden [31]. Dort werden konkrete Maßnahmen auf Bundesebene entwickelt und vorgeschlagen, die im Sinne einer doppelten Innenentwicklung qualitativ hochwertige und biodiverse Grünräume in Städten fördern. Kommunen können seit Kurzem finanzielle Förderung des Bundes und der Länder aus dem Städtebauförderungsprogramm „Zukunft Stadtgrün“ erhalten. Die Fördermittel können auch für die Verbesserung umweltbezogener Verteilungsgerechtigkeit eingesetzt werden [32].

Gesundheitliche Versorgung ist zwar als Teil der Daseinsvorsorge punktuell auch Aufgabe der räumlichen Planung, die faktische Ansiedlung von Kliniken und Praxen ist in weiten Teilen jedoch über die Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen organisiert. Ihre Vertreter*innen sind somit auch als Akteur*innen der Stadtentwicklung zu verstehen. Deutlich wird dies in sozialräumlich angepassten Konzepten der gesundheitlichen Versorgung, Gesundheitsförderung und Prävention. Derzeit gibt es mit dem Präventionsgesetz und dem Innovationsfonds zwei finanzielle Förderprogramme aus dem Gesundheitswesen, die unter anderem Möglichkeiten bieten, gesundheitliche Versorgung für die vielfältigen Communitys in Städten zu optimieren. Sie haben durchaus das Potenzial, einflussreich, auch für die Stadtentwicklung zu sein.

Das Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“ [33] bietet als integriertes Programm einen sozialraumbezogenen Kontext für diese Förderlandschaft des Gesundheitswesens. Mit diesem im Baugesetzbuch verankerten Programm werden städtische Teilräume adressiert, in denen städtebauliche Missstände vorzufinden sind und gleichzeitig vulnerable Gruppen leben. Häufig sind diese Gebiete auch gekennzeichnet durch eine unzureichende gesundheitliche Versorgung. Der Gesundheitskiosk in Hamburg, Billstedt und Horn, gefördert durch den Innovationsfond, ist in genau einem solchen Stadtteil angesiedelt. Die Hamburger Behörde für Gesundheits- und Verbraucherschutz geht seit Ende 2019 mit lokalen Gesundheitszentren in städtischer Trägerschaft gezielt in vergleichbare Quartiere, um die gesundheitliche Versorgung zu verbessern [34]. Hamburg blickt auf eine langjährige Zusammenarbeit von Akteur*innen in Stadtentwicklung und Gesundheitswesen zurück und zeigt, was möglich sein kann [35]. Solche Konzepte sind als ein innovativer Beitrag für Community Health (Infobox 2) zu verstehen.

Auch Förderungen nach dem Präventionsgesetz können in Programmgebieten der sozialen Stadt zum Tragen kommen und vor allem baulich investive Mittel der Städtebauförderung weitergehend in Wert setzen. Das Potenzial der Mittel nach dem Präventionsgesetz für eine gesundheitsfördernde Stadtentwicklung ist vorhanden [36], wird jedoch noch nicht im Sinne eines Health-in-All-Policies-Ansatzes vollumfänglich erschlossen. Die Vielzahl der begonnenen Projekte nach dem Präventionsgesetz sollte systematisch auf ihren Beitrag zur Stadtentwicklung untersucht werden.

Berücksichtigung von Gesundheit und Partizipation in Instrumenten der Stadtentwicklung

Es wurde deutlich, dass die Berücksichtigung von gesundheitsrelevanten Belangen bei der Anwendung von Instrumenten der Stadtentwicklung grundsätzlich möglich und sogar gesetzlich verlangt ist. Lärm, Grün- und Freiflächen sowie die gesundheitliche Versorgung können als zu berücksichtigende Belange im Rahmen der räumlichen Planung angesehen werden. Die gesetzlichen Grundlagen der räumlichen Planung betrachtend, gelangen Baumgart und Rüdiger [23, S. 16] jedoch zu dem Schluss, dass „hier eine pathogenetische, auf konkrete Gefahren gerichtete Sichtweise sowie ein enges Verständnis von Gesundheit vorherrscht“. Zwar gehört es zu den Kernaufgaben der räumlichen Planung (wie bspw. auch des Immissionsschutzes), krankheitspräventiv zu agieren, aber noch nicht ausreichend berücksichtigt werden Strategien der verhältnisorientierten Gesundheitsförderung. Neben der gesundheitsorientierten Entwicklung räumlich-materieller Strukturen bedarf es dazu vor allem auch der Partizipation betroffener Bewohner*innen und des Empowerments dieser, damit sie überhaupt in die Lage versetzt werden, sich aktiv an räumlichen Planungsprozessen beteiligen zu können. Die Intervention durch die Entwicklung gesundheitsfördernder Strukturen unter Beteiligung und Befähigung von betroffenen Personen entspricht der ganzheitlichen Logik des Setting-Ansatzes der Gesundheitsförderung. Eine Untersuchung von 2017 zeigt jedoch, dass diese Interventionslogik im Rahmen von räumlichen Planungsprozessen nicht zur Anwendung kommt [38]. Die einzelnen Elemente des Setting-Ansatzes spielen in Planungsprozessen zwar eine Rolle, sie stehen aber zu häufig isoliert nebeneinander und werden nicht als Teil einer ganzheitlichen Strategie eingesetzt.

Auch wenn diese Potenziale noch nicht genutzt werden, besitzen Lärm (bzw. ruhige Gebiete), Grün- und Freiflächen sowie gesundheitsfördernd ausgerichtete Angebote der Daseinsvorsorge eine hohe Relevanz, nicht nur für die Krankheitsprävention, sondern auch für Gesundheitsförderung nach dem Setting-Ansatz. Insbesondere in den dicht bebauten und bevölkerten urbanen Zentren, in denen große Diversität existiert, stellen befähigende und partizipativ angelegte Planungsverfahren (im Sinne der Interventionslogik des Setting-Ansatzes) eine besondere Chance dar, um konsensgetragen an gesundheitsorientierten Lösungen zu arbeiten. Die aufgrund der Dichte in wachsenden Städten fast unvermeidlichen Konflikte, z. B. in den Handlungsfeldern Lärm oder Grün- und Freiflächen, könnten dieser Interventionslogik folgend von Beginn an gesundheitssensibler gestaltet werden.

Fazit

Bevölkerungs- und Bebauungsdichte stellen insbesondere aus gesundheitlicher Perspektive ambivalente Grundkonstanten unserer Städte dar. Es stellt sich die Frage, ob die gesundheitsfördernde Stadtentwicklung das Potenzial besitzt, ein eigenes Leitbild für die Entwicklung unserer Städte oder zumindest ein bedeutenderer Teil in bestehenden Leitbildern, wie der nachhaltigen Stadtentwicklung, zu werden. Insbesondere in der letzten Dekade ist eine deutliche Zunahme des Diskurses einer gesundheitsfördernden Stadtentwicklung zu beobachten. Dies würde bedeuten, dass neben dem bereits gut verankerten pathogenetischen Ansatz ein auf Gesundheitsförderung und Prävention ausgerichteter Ansatz in die Stadtentwicklung integriert würde.

Vielversprechend ist hier auch der mögliche Bezug zum Konzept der umweltbezogenen Gerechtigkeit. Die bessere Berücksichtigung dieses Konzeptes könnte eine stärkere Diskussion darüber anregen, wie mit Blick auf Umwelt, Gesundheit und soziale Lage eine gerechte Stadt aussehen kann und zu verwirklichen ist. Das Wachstum und die weiter zunehmende Dichte unserer Städte werden diese Frage zumindest auf absehbare Zeit nicht an Relevanz verlieren lassen. Auf dem 13. Bundeskongress zur nationalen Stadtentwicklung im Jahr 2019 kündigte Staatsekretärin Bohle an im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands 2020 eine überarbeitete Fassung der Leipzig Charta zu verabschieden. Dies bietet eine Möglichkeit, gesundheitsfördernde Stadtentwicklung auf die politische Agenda der EU zu setzen.

Infobox 1 Sozialraum

„Ein Sozialraum beschreibt einen sozial konstruierten Raum, der als Lebenswelt bedeutend für ein Individuum oder eine Community ist. Ein Sozialraum wird geprägt durch soziales Handeln in einem spezifischen durch die jeweiligen Elemente charakterisierten Raum. Der Sozialraum ist sowohl Lebenswelt als auch Planungs- und Entwicklungsraum“ [4].

Infobox 2 Community Health

„Unter Community Health verstehen wir … die gesundheitliche Versorgung … für Gruppen, die über verschiedene Merkmale definiert werden können. Zu diesen Gruppenmerkmalen können eine gemeinsame Ausprägung von Diversity-Merkmalen, die gemeinsame Arbeit, der gemeinsame Sozialraum, der Zusammenschluss für politisches/gesellschaftliches Engagement und weitere Merkmale zählen. Community Health verstehen wir als eine Interventionswissenschaft. Somit betrachten wir Community Health als einen auf spezifische Gruppen bezogenen Teil von Public Health“ [37].