Einleitung

Angeborene Stoffwechselerkrankungen sind eine heterogene Gruppe seltener Erkrankungen, die häufig den Abbau von Nahrungsbestandteilen betreffen. Aufgrund genetisch bedingter Enzymdefekte ist dabei die Metabolisierung von Fetten, Kohlenhydraten oder Proteinen nur eingeschränkt möglich. Unbehandelt führen diese Erkrankungen häufig zu einer erheblichen Beeinträchtigung der körperlichen und neurologischen Entwicklung.

Die zentrale Säule in der Behandlung dieser Gruppe von Stoffwechselerkrankungen stellt die Ernährungstherapie, d. h. eine diätetische Modifikation der täglichen Ernährung, dar. Entsprechend der jeweilig zugrunde liegenden Erkrankung ist eine Einschränkung der Lebensmittelauswahl, die Vorgabe definierter Nahrungsmengen und/oder fester Essenszeiten erforderlich. Die Ernährungstherapie hat zum Ziel, eine Akkumulation toxischer Stoffwechselprodukte zu verhindern. Dabei muss jedoch bei allen Einschränkungen darauf geachtet werden, eine bedarfsgerechte Versorgung mit Energie und Nährstoffen zu gewährleisten, einer Mangelversorgung vorzubeugen und ein Gedeihen des Kindes zu ermöglichen. Die Umsetzung der Ernährungstherapie verlangt von den Patienten und ihren Familien ein hohes Maß an Disziplin, Planung und Eigenverantwortlichkeit. Gleichzeitig gilt es, die restriktive tägliche Ernährung mit Genuss zu füllen und den sozialen Stellenwert der Nahrungsaufnahme möglichst zu erhalten.

In diesem Beitrag wird das Prinzip der eiweißdefinierten Diät an den Beispielen Phenylketonurie und Harnstoffzyklusstörungen mit dem Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche erläutert. Die Herausforderungen, die sich bei dieser Ernährungstherapie ergeben, werden aufgezeigt.

Eiweißdefinierte Diät am Beispiel der Phenylketonurie

Grundlagen der Erkrankung

Die Phenylketonurie (PKU) wird durch einen autosomal-rezessiv vererbten Defekt der Phenylalaninhydroxylase (PAH) verursacht und ist mit einer Prävalenz von 1:10.000 die häufigste angeborene Störung im Aminosäurestoffwechsel [1]. Sie wird durch das Neugeborenenscreening in den ersten Lebenstagen, noch vor dem Auftreten klinischer Symptome erfasst [2]. Die verminderte Aktivität der PAH führt zu einer reduzierten Metabolisierung der über proteinhaltige Nahrung aufgenommenen, essenziellen Aminosäure Phenylalanin zu Tyrosin und somit zu erhöhten Phenylalaninkonzentrationen im Blut. Gleichzeitig wird Tyrosin ebenfalls zur essenziellen Aminosäure, da es nicht oder nur in sehr geringem Ausmaß aus Phenylalanin gebildet werden kann. Die Konzentration von Phenylalanin steigt, abhängig von der Restaktivität der PAH, in unterschiedlich hohe, teils toxische Bereiche an.

Entsprechend der maximalen Konzentration von Phenylalanin vor Therapiebeginn (unter uneingeschränkter Proteinzufuhr) kann die PKU in folgende Phänotypen untergliedert werden [3]:

  • klassische PKU: Phenylalaninkonzentrationen >20 mg/dl (>1200 µmol/l);

    PAH-Restaktivität <1 %,

  • milde PKU: Phenylalaninkonzentrationen zwischen 10 mg/dl und 20 mg/dl (zwischen 600 µmol/l und 1200 µmol/l); PAH-Restaktivität 1–5 %,

  • Hyperphenylalaninämie: Phenylalaninkonzentrationen <10 mg/dl (<600 µmol/l)

    PAH-Restaktivität >5 % (hier besteht keine Therapieindikation).

Durch alternative Abbauwege von Phenylalanin entstehen die Phenylketone Phenylpyruvat, Phenylazetat und Phenyllaktat, die vermehrt im Urin ausgeschieden werden und der Erkrankung ihren Namen gaben. Die verminderte Verfügbarkeit von Tyrosin führt zu einer verminderten Synthese von Dopamin, Katecholaminen und dem Pigmentfarbstoff Melanin. Die Pathogenese der PKU ist nicht vollständig verstanden. Unbehandelt jedoch führen die erhöhten Konzentrationen von Phenylalanin in Kombination mit der verminderten Verfügbarkeit von Tyrosin zu schwerer mentaler Retardierung, Mikrozephalie, Epilepsie sowie Verhaltensauffälligkeiten [4, 5]. Bei frühzeitiger und adäquater Therapie ist die Prognose der PKU ausgezeichnet und mit einer normalen Intelligenzentwicklung verbunden [1].

Therapieziele

Im Vordergrund der Therapie steht die Senkung der Phenylalaninkonzentration in den therapeutisch angestrebten Bereich (Tab. 1). Dies wird durch die Einschränkung der Phenylalaninzufuhr aus natürlichem Protein der Nahrung erreicht. Es werden Phenylalaninkonzentrationen angestrebt, die niedrig genug sind, eine neurologische Beeinträchtigung zu verhindern („so wenig wie nötig“), aber deutlich über dem physiologischen Bereich liegen, um eine höhere Zufuhr an natürlichem Protein zuzulassen („so viel wie möglich“). Die angestrebten Bereiche unterscheiden sich je nach Alter des Patienten und weisen international erhebliche Unterschiede auf [6,7,8,9].

Tab. 1 Therapeutisch anzustrebende Phenylalaninkonzentrationen im Blut nach Alter [7]

Ein weiteres Therapieziel besteht darin, die phenylalaninreduzierte Diät so zu gestalten, dass sie entsprechend dem Lebensabschnitt und dem individuellen Lebensstil der Patienten und deren Familien eine möglichst große Flexibilität und Möglichkeit zum Genuss bietet.

Prinzip und praktische Umsetzung der Diättherapie

Das diätetische Management der PKU besteht aus drei Schlüsselelementen, die im Folgenden erläutert werden [10]:

  • Limitierung und Berechnung der täglichen Phenylalaninzufuhr,

  • Ergänzung des verbleibenden Protein- und Mikronährstoffbedarfs durch phenylalaninfreie Aminosäuremischungen zur Deckung des Gesamtproteinbedarfs,

  • Sicherung einer altersentsprechenden Energiezufuhr.

Limitierung der Phenylalaninzufuhr

Durch die strikte Vermeidung proteinreicher Lebensmittel wie Fleisch, Wurst, Eier und Milchprodukte, aber auch Teigwaren wie Nudeln und Brot wird die Zufuhr von Phenylalanin reduziert. Die sogenannte Phenylalanintoleranz entspricht der Phenylalaninzufuhr in mg pro Tag, unter der die Phenylalaninkonzentrationen im Blut im therapeutisch angestrebten Bereich liegen. Diese unterscheidet sich von Patient zu Patient und wird im Wesentlichen durch die individuelle PAH-Restaktivität bestimmt. Somit haben Patienten mit einer hohen Restaktivität eine deutlich höhere Phenylalanintoleranz als Patienten mit einer niedrigen Restaktivität. Einen geringeren Einfluss haben Alter und Körpergewicht der Patienten, hierdurch ergibt sich kaum ein Unterschied in der Lebensmittelauswahl [11].

Im Rahmen von Diätschulungen erlernen zunächst die Eltern, mit zunehmendem Alter aber auch die Kinder selbst, die tägliche Kost anhand eines Ampelmodells zusammenzustellen und anhand von Nährwerttabellen die Zufuhr von Phenylalanin zu berechnen. Bei einem Ampelmodell werden die Lebensmittelgruppen anhand ihres Proteingehalts in „ungeeignet“ (rot), „begrenzt geeignet“ (gelb) und „geeignet“ (grün) eingeteilt (Infobox 1).

Die zur Verfügung stehende Auswahl an Lebensmitteln hat einen gravierenden Einfluss auf den Lebensmitteleinkauf. Die benötigten Spezialnahrungsmittel wie eiweißarmes Brot, eiweißarme Nudeln und Reis, eiweißarme Frühstücksflocken, Ei- und Milchersatz können nicht in lokalen Supermärkten erworben werden, sondern müssen direkt über die Hersteller bezogen werden. Ein spontaner Besuch in einem Schnellrestaurant oder Sonntagsbrötchen vom Bäcker sind für Patienten mit PKU nicht möglich. Die Speisen der Woche müssen im Voraus geplant und zum Mitgeben in die Kindertagesstätte, Kindergarten und Schule durch die Eltern zubereitet werden. Auch bei Einladungen, wie etwa zu Kindergeburtstagen, dürfen Kinder mit PKU nicht bei Würstchen, Hamburger und Kuchen mitessen, sondern benötigen eigens für sie vorbereitete Speisen. So nehmen Kinder mit PKU schon früh eine Sonderrolle ein.

Ergänzung der Proteinzufuhr

Die strikte Reduktion von Phenylalanin und damit natürlichem Nahrungsprotein hätte eine unzureichende Versorgung mit Eiweiß, aber auch mit Vitaminen und Mineralstoffen zur Folge [12]. Einem Patienten mit klassischer PKU stehen etwa 250 mg Phenylalanin (ca. 6 g natürliches Protein) pro Tag zur Verfügung. Dies entspricht bei einem 10-jährigen Kind etwa einem Sechstel der altersentsprechenden Proteinzufuhr. Um eine schwere Mangelernährung zu verhindern, werden zur Deckung des verbleibenden Proteinbedarfs phenylalaninfreie Aminosäuremischungen eingenommen. Diese sollen auf mindestens 3 Portionen aufgeteilt werden, um eine möglichst physiologische Eiweißzufuhr sicherzustellen [5, 11].

Es steht eine Vielzahl von Aminosäuremischungen in verschiedenen Geschmacksrichtungen und Darreichungsformen (Pulver, Granulat, Gel, Trinklösung etc.) zur Verfügung. Durch die frei vorliegenden Aminosäuren besitzen diese Mischungen jedoch meist einen charakteristischen Geruch und Geschmack, der durch die Patienten sowie deren engeres Umfeld als sehr intensiv und häufig sogar als störend wahrgenommen wird. Die Aminosäuremischung muss, ebenso wie die eigens zubereiteten Speisen, in Kindertagesstätte, Kindergarten, Schule oder zum Arbeitsplatz mitgenommen werden.

Sicherung der Energiezufuhr

Eine bedarfsdeckende Energiezufuhr kann durch die frei zur Verfügung stehende Auswahl an natürlichen Lebensmitteln (Obst, Gemüse, Zucker, Fette; siehe Infobox 1) nicht erreicht werden. Die tägliche Verwendung eiweißarmer Spezialprodukte wie Brot, Nudeln, Reis als Kohlenhydrat- und Energielieferanten ist daher unumgänglich. Auch hier steht mittlerweile eine große Auswahl an verschiedenen Produkten zur Verfügung. Dennoch backen viele Familien Brot, Brötchen, Kuchen und Kekse im Alltag selbst. Darüber hinaus unterscheiden sich eiweißarme Lebensmittel optisch und geschmacklich sowie in ihrer Konsistenz oft deutlich von Lebensmitteln mit natürlichem Proteingehalt. Auch preislich ergibt sich durch die anspruchsvolle Herstellung der Produkte ein großer Unterschied. Die monatlichen Mehrkosten von 60–85 % im Vergleich zu einer herkömmlichen, ausgewogenen Ernährung müssen von den Familien getragen werden [13].

Der Tageskostplan eines Jugendlichen mit einer täglichen Phenylalanintoleranz von 400 mg ist in Tab. 2 exemplarisch aufgeführt.

Tab. 2 Beispiel für den Tageskostplan eines 15-jährigen Jugendlichen mit einer Zufuhr von 400 mg Phenylalanin pro Tag

Herausforderungen der Diätführung bei Jugendlichen und Erwachsenen

Nach Einführung der diätetischen Therapie wurde unter der Annahme, dass im Alter von 12–14 Jahren die Gehirn- und Intelligenzentwicklung weitgehend abgeschlossen sei, die phenylalaninreduzierte Diät im Jugendalter häufig beendet. Es zeigte sich jedoch, dass bei jugendlichen und erwachsenen PKU-Patienten ohne Therapie vermehrt Hautekzeme, Konzentrationsprobleme, Depressionen und Angststörungen auftraten [4, 14, 15]. Die Wiederaufnahme der Diät führte, trotz der damit verbundenen Einschränkungen, zu einer Verbesserung der Lebensqualität der Patienten [16, 17]. Aktuell wird eine lebensbegleitende diätetische Therapie empfohlen [8, 18, 19].

Mit zunehmendem Alter nimmt der Nährstoffbedarf der Patienten zu, die Phenylalanintoleranz bleibt jedoch vergleichbar mit der des Kindesalters. Die Lebensmittelauswahl muss daher gegebenenfalls angepasst und weiter eingeschränkt werden, um bei steigender Portionsgröße nicht zu viel Phenylalanin aus Speisen zuzuführen, die im Kindesalter durch die geringeren Verzehrmengen geeignet waren. Um trotzdem eine ausreichende Sättigung zu erreichen, muss der Anteil der eiweißarmen Lebensmittel oft gesteigert werden. Dies kann mit einer weiteren Limitierung der im Alltag frei verfügbaren Lebensmittel einhergehen. Eine noch genauere Lagerhaltung, Planung und Strukturierung der täglichen Verpflegung mit eiweißarmen Lebensmitteln werden notwendig.

Die Möglichkeit, mit Freunden auswärts zu essen oder mit Mitschülern/Kollegen die Kantine zu besuchen und dabei aus den angebotenen Speisen zu wählen, ist kaum vorhanden. Die Patienten sind in der Regel auf selbst hergestellte, eiweißarme Mahlzeiten angewiesen. Koch- und Backkenntnisse sind hierfür essenziell. Die Verwendung besonderer, für Freunde, Mitschüler und Kollegen unbekannter Lebensmittel sowie die Einnahme der Aminosäuremischung kostet die Patienten aus Angst vor Ausgrenzung oft große Überwindung.

Durch den vermehrten Einsatz spezieller Produkte steigen auch die Verpflegungskosten. Dies führt gerade bei Studenten, Auszubildenden, Arbeitslosen oder Berufstätigen mit geringem Einkommen zu einer hohen finanziellen Belastung [13]. Es gilt stets abzuwägen, wie viele eiweißarme Speziallebensmittel nötig sind, um die Phenylalaninkonzentrationen im angestrebten Bereich zu halten, und welche Lebensmittel im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten in die Diät einbezogen werden können. So besteht für die Patienten ein täglicher Balanceakt zwischen notwendiger Diät, Lebensqualität und finanzieller Belastung.

Therapiealternativen

Tetrahydrobiopterin (BH4) ist der natürliche Co-Faktor der PAH. Bei etwa 40 % der Patienten führt die Gabe von BH4 in pharmakologischen Dosen (10–20 mg/kg) zu einer signifikanten Senkung (>30 %) der Phenylalaninkonzentration im Blut [20]. Diese Patienten werden als BH4-responsiv bezeichnet. Hierbei handelt es sich meist um Patienten mit einer milden PKU [21]. Sapropterindichlorid, die synthetische Form von BH4, ist in Europa seit 2008 für Kinder über 4 Jahre und seit 2015 ohne Altersbeschränkung zugelassen. Seither werden Säuglinge bereits nach Diagnosestellung auf eine BH4-Responsivität getestet. Bei Vorliegen einer BH4-Responsivität kann bei einigen wenigen Patienten auf eine phenylalaninreduzierte Diät verzichtet werden, häufig ist jedoch eine leichte Eiweißrestriktion weiterhin erforderlich. Dies kann zum Beispiel die Einhaltung einer vegetarischen Diät bedeuten. Meist können bei BH4-Sensitivität die sehr kostspieligen und aufwendig zu beschaffenden eiweißarmen Spezialnahrungsmittel durch glutenfreie Nahrungsmittel ersetzt werden. Diese sind im Alltag leichter zu beschaffen und deutlich günstiger. Patienten, die erst im Jugendlichen- oder Erwachsenenalter eine Therapie mit Sapropterin beginnen und ihre Diät lockern oder beenden konnten, fiel dies aufgrund der langjährigen Geschmacksgewöhnung und selektiven Essgewohnheiten oft überraschend schwer. Auch hier ist eine enge Begleitung durch Ernährungsfachkräfte erforderlich, um schrittweise proteinreiche Lebensmittel in den Diätplan zu integrieren und eine ausgewogene Ernährung zu erlernen.

Während von einer Therapie mit BH4 nur Patienten mit milderen Formen der PKU profitieren, steht seit Sommer 2019 mit der Enzymtherapie PEG-PAL (polyethylenglykolkonjugierte Phenylalanin-Ammoniak-Lyase; Pegvaliase) eine neue Therapieoption für alle PKU-Patienten ab dem Alter von 16 Jahren zur Verfügung. Das Enzym PAL wird von einigen Pflanzen, Hefen, Bakterien und Pilzen, nicht aber von Säugetieren gebildet und baut Phenylalanin unter Bildung von Ammoniak zu Transzimtsäure ab. Es wird als pegyliertes Protein täglich subkutan injiziert. Die Eindosierung erfolgt aufgrund ausgeprägter Nebenwirkungen über mehrere Monate unter verpflichtender Verabreichung einer Prämedikation und Aufsicht eines geschulten Beobachters [22]. Etwa 70 % der Patienten zeigen ein gutes Ansprechen auf PEG-PAL und die phenylalaninreduzierte Diät kann beendet werden [22]. Auch hier müssen die Patienten bei der Umstellung auf eine ausgewogene Mischkost angeleitet und begleitet werden. Nach Beendigung der phenylalaninfreien Aminosäuremischung besteht bei weiterer Verwendung der gewohnten, eingeschränkten Lebensmittelauswahl das Risiko einer Minderversorgung mit Protein und Mikronährstoffen. Das Einbeziehen ausreichender Mengen ungewohnter, proteinreicher Lebensmittel wie Fleisch, Fisch und vor allem Milchprodukten fällt den Patienten anfangs durchaus schwer.

Eiweißdefinierte Diät am Beispiel der Harnstoffzyklusdefekte

Grundlagen der Erkrankung

Beim Abbau von Protein fällt überschüssiger Stickstoff in Form des neurotoxischen Metaboliten Ammoniak an. Der Harnstoffzyklus dient der Entgiftung von Ammoniak in der Leber [23]. Durch 6 enzymatische Schritte wird Ammoniak in Harnstoff umgewandelt und über die Nieren ausgeschieden. Eine Beeinträchtigung des Harnstoffzyklus führt zu einer Akkumulation von Ammoniak im Blut (Hyperammonämie). Angeborene Störungen der am Harnstoffzyklus beteiligten Enzyme werden als Harnstoffzyklusdefekte („urea cycle disorders“, UCD) bezeichnet und umfassen folgende Erkrankungen: Carbamoylphosphatsynthetase-(CPS‑)Mangel, N‑Acetylglutamatsynthetase-(NAGS‑)Mangel, Ornithintranscarbamylase-(OTC‑)Mangel, Argininosuccinatsynthase-(ASS‑)Mangel (Citrullinämie), Argininosuccinatlyase-(ASL‑)Mangel (Argininbernsteinsäurekrankheit), Arginasemangel (Argininämie). Darüber hinaus werden Defizienzen des Ornithintransporters (HHH-Syndrom) und des Glutamat-Aspartat-Tansporters (Citrin) zu den Harnstoffzyklusdefekten gezählt.

Harnstoffzyklusdefekte sind seltene Erkrankungen mit einer kumulativen Inzidenz von 1:35.000 [24]. Mit Ausnahme des X‑chromosomal vererbten OCT-Mangels erfolgt ihre Vererbung autosomal-rezessiv. Je nach Schweregrad des Enzymdefektes können sich Harnstoffzyklusdefekte neonatal oder zu einem späteren Zeitpunkt im Kindes- oder Erwachsenenalter manifestieren. Bei der neonatalen Verlaufsform entwickeln die Patienten nach einem kurzen, symptomfreien Intervall von einigen Stunden bis Tagen ein unspezifisches, sepsisähnliches Krankheitsbild mit Trinkschwäche, Erbrechen, zunehmender Lethargie, Krampfanfällen, muskulärer Hypotonie, Temperaturinstabilität und Hyperventilation. Es kommt zu einer rasch progredienten Enzephalopathie mit Hirnödem und hoher Letalität [3].

Die späteren Manifestationen können in jedem Lebensalter auftreten. Sie präsentieren sich hinsichtlich der Symptome und des Verlaufs sehr unterschiedlich. Sie äußern sich in einer akuten Dekompensation mit Hyperammonämie oder chronischen Verläufen mit unspezifischen gastrointestinalen, neurologischen oder psychiatrischen Auffälligkeiten. Hyperammonämien können durch eine erhöhte Proteinzufuhr, z. B. bei Nahrungsumstellungen, oder einen gesteigerten Proteinkatabolismus, z. B. bei Infekten, Fasten, Operationen oder postpartum, ausgelöst werden [3]. Probleme hinsichtlich der Diagnosestellung bereiten die Vielzahl möglicher Differenzialdiagnosen und die Heterogenität des Krankheitsbildes.

Therapieziele

Das neurologische Outcome dieser Erkrankungen hängt von der Häufigkeit, dem Ausmaß und der Dauer der hyperammonämischen Dekompensationen ab. Das oberste Therapieziel ist daher die strikte Vermeidung von Hyperammonämien.

Hierfür sind eine rasche Diagnosestellung und ein sofortiger Therapiebeginn unerlässlich. Oftmals bestehen jedoch bereits irreversible neurologische Defizite durch die erste schwere Entgleisung oder wiederholte, unbemerkte Hyperammonämien bei chronischer Manifestation. Auch bei sorgfältiger und disziplinierter Diätführung sind oft weitere Hyperammonämien im Verlauf der Erkrankung, z. B. im Rahmen von Infekten, nicht gänzlich zu vermeiden. So kommt es bei vielen Patienten, abhängig von Schwere und Häufigkeit der Entgleisungen, langfristig zu psychomotorischen Retardierungen unterschiedlichen Ausmaßes.

Prinzipien und praktische Umsetzung der Diättherapie

Das Prinzip der diätetischen Behandlung von Harnstoffzyklusdefekten besteht darin, die Bildung und Freisetzung von Ammoniak durch eine „Überlastung“ des Harnstoffzyklus weitestgehend zu vermeiden. Dies wird durch eine reduzierte exogene Eiweißzufuhr bei gleichzeitig hoher Kalorienzufuhr zur Vermeidung eines endogenen Eiweißabbaus (Katabolismus) erreicht [25, 26]. In Situationen einer akuten Dekompensation kann auch eine kurzzeitige Unterbrechung der exogenen Eiweißzufuhr (sog. Eiweißstopp) notwendig werden.

In der Langzeittherapie erfolgt eine strenge Einschränkung des natürlichen Proteins im Rahmen einer nährstoffbilanzierten Diät (Infobox 1). Eiweißreiche Nahrungsmittel müssen auch hier gemieden und zudem eine genau berechnete Menge eiweißarmer Lebensmittel konsumiert werden. Die zur Verfügung stehende tägliche Proteinmenge (Proteintoleranz) wird in Gramm pro kg Körpergewicht berechnet und ist im Säuglings- und Kleinkindalter aufgrund des schnellen Wachstums größer als bei älteren Kindern oder Jugendlichen [23]. Darüber hinaus ist die Proteintoleranz der einzelnen Patienten unterschiedlich und spiegelt die Restaktivität des betroffenen Enzyms wider. Falls die individuelle Eiweißtoleranz unter der empfohlenen altersgerechten Mindesteiweißzufuhr liegt, muss ergänzend eine Aminosäuremischung zugeführt werden. Bei Harnstoffzyklusdefekten, die den Abbau aller Aminosäuren betreffen, wird eine Aminosäuremischung verwendet, die ausschließlich essenzielle Aminosäuren und Mikronährstoffe enthält [10, 27]. So kann der Gesamteiweißbedarf mit einer minimalen Stickstoffzufuhr gedeckt werden.

Ein besonderes Augenmerk muss auch auf eine ausreichende Kalorienzufuhr unter Zuhilfenahme von eiweißarmen Speziallebensmitteln und zusätzlicher Energiezufuhr aus Fetten und Kohlenhydraten gelegt werden. Hier bieten die D‑A-CH-2015-Empfehlungen eine Orientierung. Die Gewährleistung einer ausreichenden Kalorienzufuhr ermöglicht bei Patienten mit Harnstoffzyklusdefekten nicht nur ein adäquates Gedeihen, sondern verhindert zudem eine Belastung des Harnstoffzyklus durch endogenen Proteinkatabolismus. Zur Vermeidung kataboler Phasen muss die Nahrung regelmäßig über den Tag verteilt werden. Oft ist hierzu die Vorgabe fester Nahrungsintervalle bis hin zu einer Nachtmahlzeit erforderlich. Die bilanzierte proteinarme Diät mit regelmäßigen Kontrollen einschließlich diätetischer Beurteilung muss lebensbegleitend durchgeführt werden [23].

Ergänzend zur Diät erfolgt eine medikamentöse Therapie. Eine Optimierung der verbleibenden Funktion des Harnstoffzyklus erfolgt durch die Einnahme der Substrate L‑Arginin (nicht bei Arginasemangel) oder L‑Citrullin (nicht bei Citrullinämie). Eine alternative Elimination von Stickstoff wird durch die Gabe von Natriumbenzoat, Glycerolphenylbutyrat oder Natriumphenylbutyrat erreicht. Eine Sonderstellung nimmt der N‑Acetylglutamat-Synthetase-(NAGS‑)Mangel ein, da dieser ausschließlich medikamentös mit Carglumsäure behandelt werden kann. Eine Ernährungstherapie ist hier nicht erforderlich [23].

Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Diättherapie

Patienten mit Harnstoffzyklusdefekten weisen in der Mehrzahl der Fälle kognitive und/oder neurologische Einschränkungen auf, die unterschiedlich ausgeprägt sein können. In vielen Fällen können die Kinder und Jugendlichen ihre Ernährungstherapie nicht selbstständig durchführen und sind langfristig auf ihre Eltern und Betreuer angewiesen. Wie bei allen angeborenen Stoffwechselerkrankungen, die eine Ernährungstherapie erfordern, ist die Umsetzung der Diät abhängig von den Kenntnissen und Voraussetzungen der Patienten und ihrer Familien. Zu den förderlichen Faktoren hinsichtlich der Diäteinhaltung zählen eine intakte Familienstruktur und ein hoher Bildungsgrad der Eltern. Nachteilig wirken sich mangelnde Sprach- und Kochkenntnisse aus [28, 29].

Bei Patienten mit Harnstoffzyklusdefekten ist im Allgemeinen eine bessere Compliance zu erwarten als bei PKU-Patienten, da eine Nichtbeachtung der Diät die unmittelbar spürbaren klinischen Konsequenzen einer metabolischen Entgleisung haben kann [28]. Die Notwendigkeit einer ausreichend kalorischen, regelmäßigen Nahrungszufuhr zur Aufrechterhaltung einer anabolen Stoffwechsellage stellt jedoch eine enorme psychische Belastung für die Eltern dar. Während Eltern stoffwechselgesunder Kinder einer Phase mit verminderter Nahrungsaufnahme im Infekt oder Unlust/Trotz ihres Kindes gelassen begegnen können („Irgendwann wird mein Kind schon wieder Hunger bekommen“), bedeuten diese Situationen für Eltern von Kindern mit Harnstoffzyklusdefekten großen Stress. Die immer drohende Stoffwechselentgleisung schwebt wie ein Damoklesschwert über ihnen. Erschwerend kommt hinzu, dass aufgrund der Eiweißeinschränkung für die ohnehin oft an Appetitlosigkeit leidenden Kinder nicht die gesamte Bandbreite von Lebensmitteln genutzt werden kann. Eine eiweißarme Lebensmittelauswahl erlaubt Obst, Gemüse sowie eiweißarme Kekse und Süßigkeiten, nicht jedoch die Pizza von nebenan oder die gewünschte Schokolade vom Kiosk. Das Angebot ist eingeschränkt und gerade für Kinder nicht immer attraktiv.

Eine weitere Schwierigkeit stellt die Einnahme der Aminosäuremischungen dar. Verglichen mit der Diättherapie bei PKU stehen für die sehr viel selteneren Harnstoffzyklusdefekte nicht so viele verschiedene Präparate zur Verfügung. Falls ein Präparat nicht akzeptiert wird, gibt es wenig Alternativen hinsichtlich Geschmack oder Darreichungsform. Es muss dann nach anderen Lösungen gesucht werden, zum Beispiel einer Geschmacksverbesserung durch den Zusatz einer Aromamischung.

Aufgrund der genannten Aspekte ist die Diättherapie bei Harnstoffzyklusdefekten im Vergleich zur PKU deutlich anspruchsvoller und stellt in vielerlei Hinsicht eine große Herausforderung für die Ernährungsfachkräfte dar, gemeinsam mit den Eltern die Ernährung der Kinder attraktiv zu gestalten. Häufig bleibt hierbei der Genuss auf der Strecke.

Falls eine Verweigerung der Aminosäuremischung, Medikamente und/oder der Nahrung auch durch kreative Ideen und Anreize nicht zu lösen ist, besteht die Möglichkeit der Ernährung über eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG). Die Entscheidung für eine Sonde fällt den Eltern häufig sehr schwer. Sie bedeutet jedoch keinesfalls, dass ein „normales Essen“ nicht mehr möglich ist oder nicht mehr gefördert werden kann. Im Gegenteil, eine orale Zufuhr kann dann entspannt und entsprechend den Möglichkeiten des Kindes erfolgen. Dies führt in den meisten Fällen zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität für Eltern und Kind, da mehr Zeit für Zuwendung anderer Art zur Verfügung steht [30]. Bei schweren Schluckstörungen aufgrund von neurologischen Beeinträchtigungen sowie bei Erbrechen oder Reflux ist die Anlage einer PEG-Sonde ohnehin indiziert [23].

Nach Anlage einer PEG-Sonde wird ein individueller Diätplan mit festen Vorgaben für die Sondierung und Empfehlungen für orale Kost mit Austauschmöglichkeiten erstellt (Tab. 3). Dieser wird regelmäßig an die aktuelle Stoffwechselsituation, das Alter und das Gewicht des Patienten angepasst. Genuss und Spontaneität sind so ohne drohende Stoffwechselentgleisung in einem gewissen Rahmen möglich. Die Ernährung über eine Sonde dient bei Patienten mit Harnstoffzyklusdefekten der Sicherung einer optimalen Energie- und Nährstoffzufuhr sowie der Einnahme von Medikamenten und Aminosäuremischung. Sie verhindert so eine Gedeihstörung und zu lange Nüchternphasen. Darüber hinaus erleichtert sie die Versorgung der Patienten während Infekten mit Nahrungsverweigerung [23].

Tab. 3 Beispiel für den Diätplan eines 5‑jährigen Mädchens (18,2 kg) mit Harnstoffzyklusstörung (Kombination aus Sondenernährung und oraler Kost)

Die publizierten Leitlinien zur Behandlung von Patienten mit Harnstoffzyklusdefekten beinhalten u. a. Empfehlungen für die Proteinzufuhr. Es gibt für dieses Patientenkollektiv jedoch wenig publizierte Daten hinsichtlich ihrer tatsächlichen Proteinversorgung. Es gibt Hinweise, dass bei Patienten eine Eiweißunterversorgung aufgrund häufiger akuter metabolischer Krisen mit einer drastischen Eiweißreduktion als Akuttherapie oder aufgrund langfristig übervorsichtiger Proteinrestriktion aus Sorge vor einer Hyperammonämie vorliegen kann [31, 32].

Therapiealternativen

Die Lebertransplantation stellt die einzig verfügbare, kurative Therapieoption bei Harnstoffzyklusdefekten dar. Durch verbesserte Operationstechniken und Fortschritte in der immunsuppressiven medikamentösen Therapie ist die Morbidität und Mortalität pädiatrischer Patienten nach Lebertransplantation in den letzten Jahren deutlich gesunken, sodass bei neonatalen Verlaufsformen und schwer betroffenen Patienten mit wiederholten Hyperammonämien eine Lebertransplantation empfohlen wird [23]. Nach Lebertransplantation ist die Einhaltung einer proteinarmen Diät nicht mehr erforderlich [33].

Fazit

Die Notwendigkeit einer strengen, sehr restriktiven Diät wie der eiweißdefinierten Diät stellt nicht nur einen drastischen Eingriff in die Ernährungsgewohnheiten der Patienten und ihrer Familien dar. Sie hat auch einschneidende Konsequenzen für das soziale Leben innerhalb der Familie, der Schule und des Freundeskreises.

Damit diese sehr aufwendige und spezielle Diättherapie die erforderliche lebensbegleitende Adhärenz erreicht, ist eine gute und enge Zusammenarbeit zwischen den Patienten und ihren Familien und erfahrenen spezialisierten Ärzten, Ernährungsfachkräften und Therapeuten unerlässlich. Neue Strategien für attraktive Schulungskonzepte, zum Beispiel webbasierte Programme, und eine verstärkte Zusammenarbeit mit Psychologen und Sozialpädagogen müssen entwickelt werden. Diese unterstützende Begleitung ist sehr personal- und zeitintensiv, jedoch eine wichtige Voraussetzung für ein bestmögliches medizinisches Outcome bei höchstmöglicher Lebensqualität und möglichst genussvollem Essen.

Infobox 1 Lebensmittelauswahl nach Ampelprinzip in der eiweißarmen Ernährung

Ungeeignet („rote Gruppe“)

  • Fleisch, Wurst, Eier

  • Milch und Milchprodukte

  • Fisch und Fischprodukte

  • Soja‑, Seitanprodukte

Begrenzt geeignet („gelbe Gruppe“)

  • Muttermilch/Säuglingsmilch

  • Eiweißreicheres Gemüse wie Kartoffeln und daraus hergestellte Produkte, Brokkoli, Blumenkohl, Hülsenfrüchte

  • Eiweißarme Wurstersatzprodukte, eiweißarme Milch- und Joghurtersatzprodukte

Geeignet („grüne Gruppe“)

  • Eiweißarmes Gemüse wie Gurke, Tomate, Paprika

  • Eiweißarmes Obst wie Birne, Erdbeeren, Apfel

  • Eiweißarme Spezialprodukte wie Brötchen, Brote, Kekse, Nudeln, Spezialreis, Käseersatz

  • Butter, Zucker, Honig, Konfitüre, Limonaden, Tee