In den Jahren 2021 und 2022 wurden zahlreiche interessante und relevante Studien im Bereich der Neurologischen Intensivmedizin veröffentlicht. Eine Auswahl von diesen mit unmittelbarem Praxisbezug soll in der vorliegenden Arbeit zusammengefasst werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem peri- und postprozeduralen Management der endovaskulären Therapie des Hirninfarktes, dem raumfordernden Hirninfarkt, der Tracheotomie beim schweren Schlaganfall, dem Status epilepticus, dem Delir und der Meningitis.

Diese Zusammenstellung gibt einen Überblick über die vielfältigen Entwicklungen im Bereich der Neurologischen Intensivmedizin und soll gleichzeitig Anregungen für den klinischen Alltag und die Ausarbeitung wissenschaftlicher Fragestellungen bieten.

Einen tabellarischen Überblick und eine Kurzzusammenfassung gibt Tab. 1. Die einzelnen Studien werden in den folgenden Abschnitten jeweils ausführlicher besprochen.

Tab. 1 Studien aus dem Bereich der Neurologischen Intensivmedizin 2021/2022

Endovaskuläre Therapie des Hirninfarktes: peri- und postprozedurales Management

Originalpublikation

Maurice A, Eugène F, Ronzière T et al (2022) General anesthesia versus sedation, both with hemodynamic control, during intraarterial treatment for stroke: the GASS randomized trial. Anesthesiology 136:567–576.

In mehreren randomisierten Studien konnten positive klinische Effekte der endovaskulären Therapie im frühen sowie im erweiterten Zeitfenster bei Patientinnen und Patienten mit einem proximalen Gefäßverschluss gezeigt werden [1,2,3]. Endovaskuläre Verfahren wie die mechanische Thrombektomie mithilfe eines Stent-Retrievers oder die Aspirationsthrombektomie bzw. deren Kombination gehören mittlerweile zum Therapiestandard bei Betroffenen, die einen proximalen Gefäßverschluss aufweisen und innerhalb von 6 h nach dem Symptombeginn einer Behandlung zugeführt werden können. Aber auch außerhalb dieses Zeitfensters wird die endovaskuläre Therapie empfohlen, wenn anhand bildbasierter Kriterien Indizien für einen hierdurch positiv zu beeinflussenden Behandlungsverlauf vorliegen [4].

Hinsichtlich des periprozeduralen Managements verglichen mehrere, teils randomisierte klinische Studien den Effekt der Allgemeinanästhesie gegenüber einer alleinigen Sedierung. Eine diesbezügliche Metaanalyse ergab unter Einbeziehung von 3 randomisierten Studien einen geringen, jedoch signifikanten Vorteil der Allgemeinanästhesie gegenüber der alleinigen Sedierung in Bezug auf den funktionellen Zustand nach 3 Monaten [5]. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kam eine jüngere Metaanalyse, die 4 randomisierte Studien berücksichtigte [6]. Damit konnten frühere Beobachtungen, die sich vorwiegend aus retrospektiven Studien ableiteten und einen ungünstigeren Verlauf mit der Allgemeinanästhesie in Verbindung brachten [7], nicht bestätigt werden. Wenngleich durch die vorhandenen randomisierten Studien zweifelsfrei Evidenz geschaffen wurde, ergaben sich Einschränkungen hinsichtlich der Übertragbarkeit in den klinischen Alltag insofern, als dass es sich ausschließlich um monozentrische Studien handelte und unter Studienbedingungen Interventionen streng per Protokoll und durch trainierte Teams erfolgten [5, 6].

In einer multizentrischen randomisierten Studie untersuchten nun Maurice et al. und das „French Society of Anesthesiologists Research Network“ [8] die Effekte der Allgemeinanästhesie im Vergleich zur alleinigen Sedierung bei Patientinnen und Patienten, die aufgrund eines Hirninfarktes bei zugrunde liegendem proximalen Gefäßverschluss eine endovaskuläre Therapie erhielten. Die Studie rekrutierte in 4 Zentren in Frankreich und konnte 351 Betroffene einschließen. Für die Auswertung standen letztlich Daten von 345 Behandlungsfällen zur Verfügung (n = 176 in der Gruppe der Sedierung, n = 169 in der Gruppe der Allgemeinanästhesie). Das Protokoll sah in der Gruppe der Allgemeinanästhesie die Narkoseeinleitung mit Etomidat (0,25–0,4 mg/kgKG) und Succinylcholin (1 mg/kgKG) sowie eine bedarfsgerechte Aufrechterhaltung („target controlled infusion“, TCI) mit Remifentanil (TCI-Zielspiegel: 0,5–4 ng/ml) und Propofol (TCI-Zielspiegel: maximal 4 µg/ml) vor. In der Gruppe der Sedierung kamen Remifentanil (TCI-Zielspiegel maximal 2 ng/ml) und lokal appliziertes Lidocain (10 mg/ml, maximal 10 ml) zur Anwendung. Zum Protokoll gehörte auch die Anwendung von Noradrenalin mit einem Zielblutdruck von systolisch 140–185 mm Hg und einem diastolischen Blutdruck von weniger als 110 mm Hg sowie einem mittleren arteriellen Blutdruck von mehr als 65 mm Hg. Primärer Endpunkt war das Ausmaß der funktionellen Beeinträchtigung nach 3 Monaten, beurteilt mit der „modifizierten Rankin-Skala“ (mRS). Als guter funktioneller Zustand wurde eine mRS von 0–2 gewertet. Diesen erreichten 36 %Footnote 1 der Betroffenen (n = 63) infolge der alleinigen Sedierung und 40 % (n = 66) nach der Allgemeinanästhesie, sodass sich kein signifikanter Gruppenunterschied zeigte (p = 0,474). Erwartungsgemäß war die Dauer vom Erreichen des behandelnden Zentrums bis zur Leistenpunktion im Zusammenhang mit der Allgemeinanästhesie gegenüber der Gruppe mit alleiniger Sedierung verlängert (69 vs. 60 min; p = 0,037). Die Dauer vom Symptombeginn bis zur Rekanalisation unterschied sich dagegen mit 320 vs. 307 min zwischen den Behandlungsgruppen nicht signifikant voneinander (p = 0,203). Ebenso zeigte sich kein Unterschied hinsichtlich intrakranieller Blutungen, deren Häufigkeit mit 24 % (n = 42) in der Gruppe mit erfolgter Sedierung und 22 % (n = 37) im Zusammenhang mit der Allgemeinanästhesie vergleichsweise hoch erscheint (p = 0,642). Die kumulative Zeit einer Hypotension war in beiden Gruppen nahezu identisch (218 vs. 228 min; p = 0,867). Die Rate an erfolgreichen Rekanalisationen, definiert durch einen „Modified Thrombolysis in Cerebral Ischemia (mTICI) score“ 2b oder 3, war mit 85 % (n = 144) in der Gruppe mit erfolgter Allgemeinanästhesie gegenüber 75 % (n = 133) in der Gruppe mit alleiniger Sedierung signifikant höher (p = 0,021).

In dieser ersten multizentrischen randomisierten Studie von Maurice et al. [8] waren die Allgemeinanästhesie und die alleinige Sedierung mit dem gleichen Behandlungsergebnis, bezogen auf den Grad der funktionellen Beeinträchtigung nach 3 Monaten, assoziiert. Die Überlegenheit eines dieser beiden Verfahren lässt sich somit nicht ableiten. Die Ergebnisse reihen sich in die von früheren randomisierten Studien mit monozentrischem Design ein. Die höhere Rate an erfolgreichen Rekanalisierungen im Zusammenhang mit der Allgemeinanästhesie wurde auch in früheren Studien beobachtet [5]. Im Vergleich zur alleinigen Sedierung sind durch die bestmögliche Reduktion von Compliance-Problemen und motorischer Unruhe, wie sie typischerweise bei schwerer Betroffenen vorkommen, durch die Allgemeinanästhesie verbesserte neuroradiologische Bedingungen entlang der gesamten Prozedur denkbar, d. h. der Leistenpunktion, der Positionierung des Katheters im entsprechenden Gefäßabschnitt und der eigentlichen Thrombektomie. Diese Perspektive setzt allerdings eine zu jedem Zeitpunkt unmittelbar verfügbare und v. a. qualitativ hochwertige Allgemeinanästhesie voraus, um ein Überwiegen des damit verbundenen Komplikationsrisikos zu vermeiden. Weiterführende Untersuchungen könnten sich nun mit der Identifikation von patientenspezifischen Kriterien beschäftigen, die eine Allgemeinanästhesie notwendig machen. Denkbar wären zudem individualisierte Protokolle hinsichtlich der zum Einsatz kommenden Medikamente.

Auch hinsichtlich des periprozeduralen Blutdruckmanagements werden weiterführende Untersuchungen notwendig sein. Zuletzt hatte eine Arbeit von Chen et al. [9] in einer Post-hoc-Analyse einen statistischen Zusammenhang zwischen einem erhöhten systolischen bzw. mittleren arteriellen Druck vor der Rekanalisation und einem ungünstigeren Verlauf beschrieben. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammengang die geplante Studie „Individualized blood pressure management during endovascular treatment of acute ischemic stroke under procedural sedation“ (INDIVIDUATE) [10], die einen individuell angepassten Blutdruck (±10 mm Hg in Bezug auf den Blutdruck zum Vorstellungszeitpunkt, bei Einsatz der systemischen Thrombolyse max. 180 mm Hg systolisch) gegenüber einem Blutdruckbereich von 140–180 mm Hg systolisch in Bezug auf den funktionellen Zustand nach 3 Monaten untersuchen wird.

Originalpublikation

Katsanos AH, Malhotra K, Ahmed N et al (2022) Blood pressure after endovascular thrombectomy and outcomes in patients with acute ischemic stroke: an individual patient data meta-analysis. Neurology 98:e291–301.

Das optimale Blutdruckmanagement im Anschluss an die endovaskuläre Therapie des Hirninfarktes mit zugrunde liegendem proximalem Gefäßverschluss ist bislang nicht definiert und wird mithin in der Scientific Community weiterhin kontrovers diskutiert [11]. Eine im Jahr 2020 veröffentlichte Metaanalyse konnte unter Einschluss der Daten von 3 randomisierten klinischen Studien, die sich mit dem periprozeduralen Management beschäftigten, zeigen, dass eine Absenkung des mittleren arteriellen Blutdrucks unter 70 mm Hg über einen Zeitraum von (auch kumulativ) 10 min sowie ein erhöhter mittlerer arterieller Blutdruck von mehr als 90 mm Hg über eine Dauer von mehr als 45 min mit einem ungünstigeren funktionellen Zustand nach 3 Monaten assoziiert sind [12]. Zuvor hatte eine umfangreiche Untersuchung unter Nutzung einer multizentrischen Datensammlung einen statistischen Zusammenhang zwischen einem systolischen Blutdruck von mehr als 140 mm Hg sowie einer geringeren Wahrscheinlichkeit für das Erreichen eines guten funktionellen Zustands (mRS 0–2), einer erhöhten Wahrscheinlichkeit zu Versterben und einer graduell erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine symptomatische intrazerebrale Blutung ergeben [13, 14]. Wenngleich es sich um Post-hoc- bzw. retrospektive Analysen handelte, wiesen diese auf eine Bedeutung des Blutdrucks im Anschluss an die endovaskuläre Therapie hin. Mit Spannung erwartet wurden die Ergebnisse der Studie „Safety and efficacy of intensive blood pressure lowering after successful endovascular therapy in acute ischaemic stroke (BP-TARGET)“ [15], die mit einem randomisierten Design die systolischen Blutdruckbereiche 100–129 mm Hg und 130–185 mm Hg miteinander verglich. Allerdings fanden sich zwischen diesen beiden Gruppen keine Unterschiede hinsichtlich des Auftretens von Hirnblutungen. Bei der Interpretation zu berücksichtigen ist allerdings der in der Gruppe mit höherem Blutdruckbereich tatsächlich erzielte systolische Blutdruck von im Mittel 138 mm Hg, der dem niedrigeren Blutdruckbereich von 100–129 mm Hg recht nahekommt.

In einer umfangreichen Metaanalyse untersuchten Katsanos et al. [16] nun die innerhalb der ersten 24 h nach der endovaskulären Therapie erfassten Blutdruckwerte in Bezug auf das Behandlungsergebnis. Eingeschlossen wurden 7 Kohortenstudien mit insgesamt 5874 Fällen. Primärer Endpunkt war der funktionelle Zustand nach 3 Monaten, beurteilt mit der mRS. Als guter funktioneller Zustand wurde ein mRS 0–2 angenommen, welcher von 2413 Betroffenen (45 %) erreicht wurde. Die Wahrscheinlichkeit, diesen Zustand zu erreichen, war signifikant verringert im Falle erhöhter mittlerer systolischer Blutdruckwerte (Odds Ratio [OR] 0,87 bei Zunahme um 10 mm Hg), die ebenfalls mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert waren (OR 1,15 bei Zunahme um 10 mm Hg). Ebenso waren erhöhte mittlere systolische Blutdruckwerte mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine frühzeitige neurologische Verschlechterung (OR 1,14 bei Zunahme um 10 mm Hg) und dem Auftreten symptomatischer intrakranieller Blutungen innerhalb der ersten 24 h nach der endovaskulären Therapie (OR 1,2 bei Zunahme um 10 mm Hg) assoziiert. Das Ausmaß der erreichten Rekanalisierung hatte dabei keinen zusätzlichen Einfluss auf den funktionellen Zustand nach 3 Monaten (p = 0,91), den Anteil an Betroffenen mit mRS 0–2 (p = 0,62), die Sterblichkeit (p = 0,33) sowie die Rate an symptomatischen (p = 0,33) und asymptomatischen Blutungen (p = 0,73). Auch zeigten die Art des periprozeduralen Managements (p = 0,72), der Kollateralstatus (p = 0,34), das Vorhandensein eines extrakraniellen Verschlusses der A. carotis interna (p = 0,96) und die Anwendung der systemischen Thrombolyse (p = 0,65) keinen zusätzlichen Einfluss auf den funktionellen Zustand nach 3 Monaten.

Die Metaanalyse von Katsanos et al. [16] bestätigt mit einer suffizienten Stichprobengröße den in früheren Untersuchungen sich abzeichnenden statistischen Zusammenhang zwischen dem postprozeduralen Blutdruck und dem funktionellen Zustand der Betroffenen nach 3 Monaten. Die erfolgten Berechnungen mit jeweils gegebener Risikostratifizierung für einen jeweils 10 mm Hg höheren mittleren systolischen Blutdruck während der ersten 24 h nach der endovaskulären Therapie erscheinen hilfreich für die Gesamtbewertung. Der optimale Blutdruckbereich bzw. eine Mindest- und Obergrenze des Blutdrucks im Nachgang der Rekanalisation bleiben aber offen. Die Autoren selbst verweisen auf die Notwendigkeit randomisierter kontrollierter Studien [16]. Die Ergebnisse der oben genannten Studie BP-TARGET [15] verdeutlichen in diesem Zusammenhang jedoch, wie schwierig die Eingrenzung eines optimalen Blutdruckbereichs auch in randomisierten Untersuchungen sein kann. Auch dürften derartige Studien zunehmend schwieriger werden, weil in den meisten Zentren vermutlich Blutdruckgrenzen zur Anwendung kommen, die deutlich unterhalb von 180 mm Hg liegen.

Raumfordernder (maligner) Hirninfarkt

Originalpublikation

Reinink H, Jüttler E, Hacke W et al (2021) Surgical decompression for space-occupying hemispheric infarction: a systematic review and individual patient meta-analysis of randomized clinical trials. JAMA Neurol 78:208–216.

Durch die Einführung endovaskulärer Therapieverfahren scheinen raumfordernde (maligne) Hirninfarkte weniger häufig vorzukommen [17]. Dennoch sind aufgrund der schlechten Prognose des Krankheitsbildes mit einer Sterblichkeit bis zu 80 % [18] therapeutische Optionen von entscheidender Bedeutung. Für die dekompressive Hemikraniektomie in einem Zeitfenster von 48 h nach dem Symptombeginn wurden in randomisierten Studien bei Betroffenen bis zum 60. Lebensjahr eine signifikante Reduktion der Sterblichkeit und eine geringere funktionelle Beeinträchtigung gezeigt [19]. Für Betroffene mit einem Lebensalter von mehr als 60 Jahren konnte eine randomisierte Studie ebenfalls eine signifikante Reduktion der Sterblichkeit zeigen, jedoch wiesen Überlebende zumeist eine höhergradige funktionelle Beeinträchtigung auf [20]. Diese Beobachtungen fanden Einzug in die Behandlungsempfehlungen der Fachgesellschaften [21, 22]. Unter anderem wegen der vergleichsweise kleinen Fallzahlen in den Einzelstudien zur dekompressiven Hemikraniektomie (z. B. n = 32 in [23]), ergeben sich im Alltag dennoch Unsicherheiten bei der Übertragung der Studienergebnisse auf die jeweilige klinische Situation und damit bei der Therapieplanung und Beratung Betroffener bzw. deren Angehörigen.

In Form einer aufwendigen Metaanalyse fassten Reinink et al. [24] die aus randomisierten klinischen Studien verfügbaren Daten zur dekompressiven Hemikraniektomie bei Betroffenen mit raumforderndem Hirninfarkt zusammen. Hierbei wurden 7 Einzelstudien aus 6 Ländern berücksichtigt, die in der Summe in einer Fallzahl von 488 resultierten. Primärer Endpunkt war ein guter funktioneller Zustand nach einem Jahr, beurteilt mit der mRS, die für dieses Kriterium einen Wert von 0–3 aufweisen musste. Dieser Endpunkt wurde von 87 der 234 Patientinnen und Patienten (37 %) nach einer dekompressiven Hemikraniektomie und nur von 37 der 254 Betroffenen mit rein konservativem Prozedere (15 %) erreicht (p = 0,001), sodass sich ein Vorteil für die operative im Vergleich zur konservativen Therapie ergab. Hinsichtlich der sekundären Endpunkte zeigte sich zudem eine Überlegenheit der dekompressiven Hemikraniektomie in der sog. Shift-Analyse, in der die nach einem Jahr erzielten Prozentränge der mRS in beiden Therapiegruppen verglichen wurden (p < 0,001). Knapp 20 % der Betroffenen wiesen dabei einen vergleichsweise guten funktionellen Zustand (mRS 2) infolge einer dekompressiven Hemikraniektomie auf, wohingegen dies nur von etwa 5 % der Betroffenen ohne chirurgische Therapie erreicht wurde. In Subgruppenanalysen wurde der Einfluss von soziodemografischen und krankheitsspezifischen Variablen auf den funktionellen Zustand unter Berücksichtigung der Therapiegruppen (dekompressive Hemikraniektomie vs. keine operative Therapie) untersucht. Bezogen auf den Anteil der Betroffenen, die nach einem Jahr einen guten funktionellen Zustand erreichten (mRS 0–3), war ein klarer Vorteil der Hemikraniektomie bei Betroffenen bis zum 60. Lebensjahr, mit männlichem Geschlecht, mit schwerer neurologischer Beeinträchtigung, unabhängig vom Vorhandensein einer aphasischen Störung und bei der alleinigen Einbeziehung des Versorgungsgebietes der A. cerebri media eingrenzbar. Unter Anwendung der Shift-Analyse zeigte sich ein Vorteil der Hemikraniektomie unabhängig vom Geschlecht und dem Vorhandensein einer aphasischen Störung sowie der alleinigen Einbeziehung des Versorgungsgebietes der A. cerebri media. Hinsichtlich des Alters und der Latenz vom Symptombeginn bis zur Therapieentscheidung war lediglich in der Altersgruppe der 61- bis 70-jährigen Betroffenen und jenseits des Zeitpunkts von 48 h kein Vorteil für die operative Therapie erkennbar, wobei hier die vergleichsweise kleine Fallzahl als einschränkender Faktor zu berücksichtigen ist.

Die Metaanalyse von Reinink et al. [24] liefert anhand einer suffizienten Stichprobengröße wichtige Informationen zu der im klinischen Alltag relevanten Frage, welche Effekte mit einer dekompressiven Hemikraniektomie beim raumfordernden Hirninfarkt erreichbar sind. Demnach geht mit der Hemikraniektomie eine signifikant reduzierte Sterblichkeit und im Falle des Überlebens eine deutlich bessere Chance für eine geringere funktionelle Beeinträchtigung einher. Bezogen auf die Wahrscheinlichkeit, eine geringere funktionelle Beeinträchtigung zu erzielen, scheint der Effekt der operativen Therapie unabhängig von den im Alltag teilweise in die Argumentation einbezogenen Faktoren wie dem Vorhandensein einer aphasischen Störung und einer das Versorgungsgebiet der A. cerebri media überschreitenden Infarktausdehnung zu sein. Unsicherheiten bleiben bestehen bei Betroffenen, die verspätet in die medizinische Behandlung eintreten und sich in einem Alterskorridor von 61 bis 70 Jahren befinden. Bei der Klärung noch bestehender Unsicherheiten und Eingrenzung von Prädiktoren für den Behandlungsverlauf könnten Registerdaten helfen, für die Initiativen bereits vorhanden sind (z. B. [25]). Erste Ergebnisse aus dem Register „Decompressive surgery for the treatment of malignant infarction of the middle cerebral artery (DESTINY) registry“ zeigen beispielsweise, dass dem Infarktvolumen vor der dekompressiven Hemikraniektomie (p < 0,001) sowie dem Alter (p = 0,004) und der neurologischen Beeinträchtigung vor dem Eingriff (p = 0,03), erfasst mit der National Institutes of Health Stroke Scale, eine entscheidende Bedeutung zuzukommen scheint [26].

Tracheotomie bei schwerem Schlaganfall

Originalpublikation

Bösel J, Niesen WD, Salih F et al (2022) Effect of early vs standard approach to tracheostomy on functional outcome at 6 months among patients with severe stroke receiving mechanical ventilation: The SETPOINT2 randomized clinical trial. JAMA 2022; 327:1899–1909.

Der optimale Zeitpunkt einer Tracheotomie bei Patientinnen und Patienten mit prolongierter mechanischer Beatmung war bereits Gegenstand früherer Untersuchungen, beispielsweise nach Polytrauma [27], bei respiratorischer Insuffizienz [28], im Bereich der Kardiochirurgie [29] und in einem gemischten Kollektiv [30]. Hierbei war kein klarer Vorteil einer frühen, d. h. innerhalb der ersten Tage erfolgenden Tracheotomie gegenüber einer späteren erkennbar. Teilweise waren positive Signale z. B. hinsichtlich der Beatmungsdauer und der Rate an Pneumonie im Zusammenhang mit der frühen Tracheotomie erkennbar. Unter Einbeziehung von insgesamt 60 Patientinnen und Patienten mit schwerem hämorrhagischem oder ischämischem Schlaganfall konnten Bösel et al. [31] im „Stroke-related early tracheostomy versus prolonged orotracheal intubation in neurocritical care trial“ (SETPOINT) keinen Vorteil für die frühe Tracheotomie hinsichtlich der Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation zeigen. Allerdings war die Sterblichkeit während des Aufenthalts auf der Intensivstation und innerhalb von 6 Monaten nach einer frühen Tracheotomie signifikant reduziert.

In SETPOINT2 von Bösel et al. sollte nun anhand einer größeren Stichprobe die Frage des Zeitpunkts der Tracheotomie bei neurologischen Intensivpatientinnen und -patienten bestmöglich beantwortet werden [32]. In dieser randomisierten kontrollierten Studie mit verblindeter Endpunkterfassung konnten auf 26 neurologischen/neurochirurgischen Intensivstationen in Deutschland und den USA insgesamt 382 Patientinnen und Patienten im Zeitraum von 2015 bis 2020 rekrutiert werden, von denen 366 in die Analyse eingingen. Zu den Einschlusskriterien gehörten neben einem hämorrhagischen oder ischämischen Schlaganfall ein „Stroke-Related Early Tracheostomy score“ (SETScore) von mehr als 10 sowie die Einschätzung der betreuenden Intensivmediziner bzw. -innen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine prolongierte Beatmung anzunehmen und damit auch die Indikation zur Tracheotomie gegeben ist. Untersucht wurde die frühe Tracheotomie innerhalb der ersten 5 Tage nach der Intubation (n = 177) gegenüber einer Tracheotomie ab dem 10. Tag (n = 189). Der Median der Tracheotomie lag dabei bei 4 vs. 11 Tagen. Als primärer Endpunkt wurde der funktionelle Zustand nach 6 Monaten gewählt, objektiviert mit der mRS und dichotomisiert in 0–4 vs. 5–6. Diesen erreichten 44 % der Teilnehmenden (n = 77) in der Gruppe der frühen Tracheotomie und 47 % (n = 89) in der Gruppe der späteren Tracheotomie (p = 0,73). Bezüglich der sekundären Endpunkte unterschieden sich die beiden Therapiegruppen nicht hinsichtlich der Sterblichkeit, dem Beginn des Respirator-Weaning, der Dauer der Beatmung und der intensivmedizinischen Behandlung sowie dem Aufenthaltsort nach der Entlassung (zu Hause, Krankenhaus, Rehabilitations‑, Pflegeeinrichtung, andere). Bemerkenswert war der Anteil der durchgeführten Tracheotomien nach der Randomisierung: In der Gruppe der frühen Tracheotomie erhielten 95 % der Teilnehmenden eine Tracheotomie und in der Gruppe der späteren Tracheotomie nur 67 %, da – neben anderen Gründen – entgegen der initialen Einschätzung einer notwendigen prolongierten Beatmung eine Extubation bei 3 bzw. 43 Patientinnen und Patienten der Gruppe mit früher bzw. späterer Tracheotomie gelang.

Wenngleich Patientinnen und Patienten mit schwerem Schlaganfall durch Symptome wie eine anhaltende Bewusstseinsstörung oder eine relevante Dysphagie nicht zwangsläufig mit denen mit Polytrauma oder einer isolierten respiratorischen Insuffizienz vergleichbar erscheinen, zeigt SETPOINT2 von Bösel et al. [32] doch, dass auch im neurologischen Intensivbereich kein Vorteil von einer frühen Tracheotomie auszugehen scheint. Die Rate an durchgeführten, d. h. wirklich notwendig gewordenen Tracheotomien in der Gruppe mit intendiertem späterem Eingriff bekräftigt zudem die in der frühen Phase des Behandlungsverlaufs bestehende Unsicherheit hinsichtlich der Notwendigkeit einer Tracheotomie. Wenngleich die Tracheotomie als eine in der Hand des Erfahrenen sichere Prozedur gilt, stellt sie doch einen Eingriff mit entsprechendem Komplikationspotenzial dar, was bei der Entscheidungsfindung und im Aufklärungsprozess der Betroffenen bzw. Angehörigen berücksichtigt werden sollte.

Status epilepticus

Originalpublikation

Gutiérrez-Viedma Á, Parejo-Carbonell B, Romeral-Jiménez M et al (2021) Therapy delay in status epilepticus extends its duration and worsens its prognosis. Acta Neurol Scand 143:281–289.

Die im Jahr 2020 erschienene Überarbeitung der S2k-Leitlinie zum Status epilepticus im Erwachsenenalter betont hinsichtlich der medikamentösen Therapie v. a. die ausreichend hohe Dosierung der eingesetzten Substanzen [33]. In der ersten Stufe der Behandlung bezieht sich dies auf die i.v.-Benzodiazepin-Gabe mit z. B. Lorazepam in einer Dosierung von 0,1 mg/kgKG (max. 4 mg/Bolusgabe, ggf. eine Wiederholung). In der zweiten Stufe werden Levetiracetam mit 60 mg/kgKG (max. 4500 mg) oder Valproat mit 40 mg/kgKG (max. 3000 mg) empfohlen bzw. das in Deutschland nichtverfügbare Fosphenytoin mit 20 mg/kgKG (max. 1500 mg). Als Applikationsgeschwindigkeit werden in der aktualisierten Onlineversion der Leitlinie für Levetiracetam und Valproat jeweils 10 min empfohlen [34], sodass neben der ausreichenden Dosierung die schnelle Verfügbarmachung als wichtiger Bestandteil der Behandlung des Status epilepticus angesehen wird. Unsicherheiten bestehen hinsichtlich der Geschwindigkeit der Eskalation v. a. beim nonkonvulsiven Status epilepticus.

In einer prospektiven Kohortenstudie untersuchten Gutiérrez-Viedma et al. [35] zusätzlich zu klinischen auch zeitabhängige Parameter, die mit der Dauer des Status epilepticus und dem funktionellen Zustand nach 3 Monaten assoziiert waren. Hierfür wurden die Daten von 83 Behandlungsfällen, die in einem Krankenhaus in Madrid (Spanien) aufgrund eines Status epilepticus behandelt wurden, ausgewertet. Immerhin 36 % der Fälle (n = 30) wiesen keine motorischen Symptome auf, und 23 % (n = 19) wurden als fokaler nonkonvulsiver Status epilepticus mit Einschränkung des Bewusstseins gewertet. Als zeitabhängige Parameter wurden u. a. erfasst: Zeitspanne bis zur notfallmäßigen medizinischen Versorgung, bis zur Krankenhausaufnahme, bis zur Therapieeinleitung und bis zum Durchbrechen des Status epilepticus, definiert als das Fehlen von entsprechenden klinischen und elektroenzephalographischen Kriterien. Ein Durchbrechen des Status epilepticus gelang in 95 % der Fälle (n = 79). Die verbleibenden 4 unkontrollierbaren Fälle verstarben, aber auch nach einem durchbrochenen Status epilepticus starben weitere 13 Betroffene, sodass eine intrahospitale Gesamtsterblichkeit von 21 % resultierte. Die Gesamtsterblichkeit innerhalb der ersten 3 Monate nach dem Ereignis betrug 30 % (n = 25). Die Dauer bis zur Therapieeinleitung war u. a. signifikant mit der Dauer bis zum Durchbrechen des Status epilepticus assoziiert (p < 0,001), wobei eine Stunde der Therapieverzögerung mit einer 1,2-stündigen Verlängerung des Status epilepticus einherging. Die Dauer bis zum Durchbrechen des Status epilepticus war zudem signifikant mit der Sterblichkeit assoziiert: Intrahospital verstorbene Patientinnen und Patienten wiesen im Mittel eine Statusdauer von 82 h auf, wohingegen die mittlere Dauer des Status epilepticus bei Überlebenden 24 h betrug (p = 0,006). Der Zusammenhang zwischen der Dauer bis zum Durchbrechen des Status epilepticus und der Sterblichkeit bestand ebenso in der Subgruppe des nonkonvulsiven Status epilepticus.

Mit der Studie von Gutiérrez-Viedma et al. [35] verdichten sich die Hinweise, dass beim Status epilepticus, insbesondere auch beim nonkonvulsiven Status epilepticus, ein rascher Therapiebeginn und die zügige Eskalation mit dem Ziel des frühestmöglichen Durchbrechens des Status epilepticus mit einem günstigeren funktionellen Zustand assoziiert sind. Bezogen auf den Zeitpunkt i.v. verabreichter Sedativa (z. B. Propofol oder Ketamin), wie diese in der dritten Behandlungsstufe des Status epilepticus zur Anwendung kommen, hatten Madzar et al. [36] in einer retrospektiven Kohortenstudie bereits einen statistischen Zusammenhang zwischen einer früheren Therapieeskalation und einer geringeren funktionellen Beeinträchtigung zeigen können. Das Durchbrechen des Status epilepticus durch den Einsatz von Sedativa gelang dabei umso schneller, je früher diese zum Einsatz kamen.

Originalpublikation

Kowoll CM, Klein M, Salih F et al (2022) IGNITE status epilepticus survey: a nationwide interrogation about the current management of status epilepticus in Germany. J Clin Med 11:1171.

In Deutschland existieren Therapieempfehlungen für den Status epilepticus u. a. in Form einer Leitlinie [33]. Dennoch scheinen im Alltag für den therapierefraktären und superrefraktären Status epilepticus sowie gerade für den nonkonvulsiven Status epilepticus Unterschiede in der Behandlung vorzuliegen. Hauptursächlich ist wahrscheinlich die geringe Evidenz bei der Therapie dieser Statusformen. Hinzu kommen individuelle Erfahrungen und Präferenzen der Behandelnden sowie unterschiedliche Ressourcen in der Diagnostik und der Möglichkeit der Therapieeskalation, die ein intensivmedizinisches Setting voraussetzt.

Um die Behandlungsrealität des Status epilepticus in Deutschland abzubilden, untersuchten Kowoll et al. [37] mithilfe einer webbasierten Befragung von Intensivstationen unterschiedlicher Versorgungsstufen die diagnostischen Ressourcen und medikamentöse Therapieprinzipien. Einbezogen wurden Intensivstationen mit einer Expertise im neurointensivmedizinischen Bereich. Für die Auswahl nutzten die Autoren den Internetauftritt der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin mit dort gelisteten Intensivstationen. Die verwendete Onlinebefragung beinhaltete 49 Items, die neben strukturellen Merkmalen der Intensivstationen (u. a. Verortung, Versorgungsstufe und Leitung der Station) auch diagnostische Ressourcen und Therapiestandards adressierten. Von den 232 angesprochenen Intensivstationen gingen 83 Rückmeldungen (36 %) ein. Von diesen waren 36 (43 %) assoziiert mit Universitätskliniken und 38 (46 %) waren unter einer neurologisch bzw. neurochirurgischen Leitung. Wenngleich universitär verortete Intensivstationen signifikant mehr neurologische Fälle behandelten, unterschieden sich die Anzahl der Betroffenen mit einem Status epilepticus sowie die Form des Status epilepticus nicht zwischen universitären und nichtuniversitären Stationen. Hinsichtlich der Verfügbarkeit der Elektroenzephalographie (EEG) meldete der Großteil der Intensivstationen zurück, dass repetitive EEG-Ableitungen nur während der Kernarbeitszeit an Werktagen (n = 49/71, 69 %) bzw. am Wochenende gar nicht (n = 46/71, 65 %) möglich sind. Hinsichtlich der Verfügbarkeit repetitiver EEG-Ableitungen außerhalb der Kernarbeitszeit war ein signifikanter Unterschied zugunsten universitär verorteter Intensivstationen gegenüber nichtuniversitären Stationen vorhanden (p = 0,03). Die Verfügbarkeit einer kontinuierlichen EEG-Ableitung war – allerdings nicht differenziert nach der Tageszeit oder dem Wochentag – zumeist gegeben (n = 61/71, 86 %), mit einem numerischen Trend zugunsten der universitär verorteten Stationen. Intensivstationen mit einer neurologisch bzw. neurochirurgischen Leitung berichteten über eine signifikant höhere Verfügbarkeit einer kontinuierlichen EEG-Ableitung (p = 0,016). Die Interpretation der EEG-Ableitungen erfolgte zumeist durch Behandelnde, die dem intensivmedizinischen Team der jeweiligen Station angehörten (n = 41/67, 67 %). Hinsichtlich der Therapie berichtete nur knapp die Hälfte der Intensivstationen (n = 31/69, 45 %), stringent nach einer internen SOP vorzugehen. Etwa ein Drittel der Intensivstationen (n = 26/69, 38 %) erklärte, keine SOP zu haben, jedoch wendeten immerhin 23 der 26 ein vergleichbares Vorgehen an. Hinsichtlich der medikamentösen Therapie bildete sich das Stufenkonzept zur Behandlung des Status epilepticus exzellent ab: In der ersten Stufe kamen überwiegend Benzodiazepine, in der zweiten Stufe überwiegend Antikonvulsiva und in der dritten Stufe überwiegend Sedativa zum Einsatz. Als häufigste Substanzen wurden dabei mit großem Abstand im Präparatevergleich innerhalb der Klassen Lorazepam, Levetiracetam und Propofol eingesetzt. Für die Behandlung eines superrefraktären Status epilepticus setzten die befragten Intensivstationen in absteigender Reihenfolge immunmodulierende Therapien (u. a. Steroide), Magnesium, die ketogene Diät, eine Hypothermie, die Elektrokrampftherapie und Epilepsiechirurgie ein. Dabei nutzten neurologisch bzw. neurochirurgisch geleitete Stationen die ketogene Diät, eine Hypothermie und die Elektrokrampftherapie signifikant häufiger im Vergleich zu Stationen mit anderer fachlicher Leitung. Als Therapieziel im Falle eines superrefraktären Status epilepticus und der Anwendung von Sedativa veranschlagte der Großteil der befragten Intensivstation (n = 61/69, 87 %) das Erreichen eines Burst-Suppression-Musters und damit eine EEG-basierte Kontrolle des Behandlungserfolges. Hinsichtlich des Verlegungsmanagements gab der Großteil der Intensivstationen (n = 52/69, 75 %) an, Betroffene mit einem therapierefraktären oder superrefraktären Status epilepticus nicht in andere Abteilungen/Kliniken zu verlegen. Im Vergleich zwischen universitären und nichtuniversitären Intensivstationen verlegten allerdings signifikant mehr nicht universitär verortete Stationen (p = 0,002) die Betroffenen, ebenso wie nicht neurologisch bzw. neurochirurgisch geleitete Stationen im Vergleich zu den durch diese Disziplinen geleiteten Stationen (p = 0,016).

Insgesamt liefert die Studie von Kowoll et al. [37] wertvolle Daten zur Behandlungsrealität des Status epilepticus in Deutschland. So wird deutlich, dass für die Diagnosestellung und Behandlung notwendige repetitive EEG-Ableitungen überwiegend zur Kernarbeitszeit und zumeist nur werktags verfügbar sind. Hinsichtlich der medikamentösen Therapie des Status epilepticus bildet sich eine gute Übereinstimmung gegenüber der in der Leitlinie enthaltenen Stufentherapie [33] ab. Bei komplizierteren Formen wie dem superrefraktären Status epilepticus lassen die gefundenen Unterschiede in der Anwendungshäufigkeit von Ansätzen (z. B. ketogene Diät) Unterschiede in der Expertise zwischen neurologisch bzw. neurochirurgisch geleiteten Stationen und denen mit anderer fachlicher Leitung erkennen. Die Autoren diskutieren daher die Etablierung hochspezialisierter Zentren mit entsprechenden Netzwerkstrukturen für die Behandlung komplizierter Statusformen, wodurch neben einer optimierten Versorgung auch eine datenbasierte Nutzen-Risiko-Bewertung der Anwendung von Reservetherapien möglich werden könnte.

Delir

Originalpublikation

la Cour KN, Andersen-Ranberg NC, Weihe S et al (2022) Distribution of delirium motor subtypes in the intensive care unit: a systematic scoping review. Crit Care 26:53.

Bis zu 80 % der intensivmedizinischen Behandlungsfälle entwickeln ein Delir mit im Vordergrund stehender Störung der Aufmerksamkeit und Konzentration sowie der Orientierung, des Gedächtnisses und des Bewusstseins mit fluktuierender Ausprägung, sodass es sich um ein häufiges und klinisch relevantes Krankheitsbild handelt [38]. Zu den Risikofaktoren zählt v. a. das Alter der Betroffenen [39]. Mit einem Delir sind u. a. eine längere Beatmungsdauer und v. a. eine signifikant erhöhte Sterblichkeit sowohl während des intensivmedizinischen Aufenthalts als auch in den nachfolgenden 28 Tagen assoziiert [40]. Gegenwärtige Initiativen fokussieren auf eine Vermeidung des Delirs, dessen Früherkennung sowie adäquate medikamentöse und nichtmedikamentöse Behandlungsstrategien [38]. Im klinischen Alltag ergeben sich bei der Erkennung und beim Management des Delirs allerdings relevante Herausforderungen, da neben dem klassischen hyperaktiven Delir, das beispielsweise durch eine Agitation zügig erkennbar wird, auch hypoaktive Formen und oft sogar Mischformen vorkommen.

In einer Metaanalyse untersuchten la Cour et al. [41] daher die Auftretenshäufigkeiten der verschiedenen Formen des Delirs sowie deren medikamentöse Behandlung und die Behandlungsergebnisse unabhängig vom inhaltlichen Schwerpunkt der Intensivstation. Im Rahmen einer Literatursuche wurden 131 Studien identifiziert, die insgesamt 13.902 Fälle mit einem Delir beinhalteten. Zumeist handelte es sich um prospektive Kohortenstudien (73 %), gefolgt von retrospektiven Kohortenstudien (11 %). Erkennbar war eine Zunahme der Publikationen zum Thema Delir innerhalb des Erfassungszeitraumes: So stammten 55 % der einbezogenen Arbeiten aus dem Zeitraum 2016 bis 2020 und nur 2 % aus dem Zeitraum 2001 bis 2005. Die Inzidenz des Delirs lag in den einbezogenen Arbeiten bei 22 % und die Prävalenz bei 38 %. Für die Diagnosestellung wurden zumeist die „Confusion Assessment Method for the ICU“ (CAM-ICU) (87 % der Fälle), gefolgt vom „Diagnostic And Statistical Manual Of Mental Disorders III–V“ (DSM III–V) (18 %) herangezogen. Als häufigste Form war das hypoaktive Delir (50 %) abgrenzbar, wohingegen die gemischte (28 %) und die hyperaktive Form (23 %) deutlich weniger häufig auftraten. Intensivmedizinisch Behandelte mit einem Delir waren im Mittel 67 Jahre alt und erhielten in 66 % der Fälle eine auf das Delir bezogene Pharmakotherapie. In absteigender Reihenfolge kamen dabei zum Einsatz: Neuroleptika (50 %), Propofol (42 %), Benzodiazepine (40 %) und α2-Agonisten (26 %). Patientinnen und Patienten mit einem gemischten Delir erhielten gegenüber den anderen Formen häufiger Neuroleptika, α2-Agonisten, Benzodiazepine und Propofol. Die gemischte Form des Delirs hielt am längsten an (im Mittel 4 Tage) und war mit einem längeren Aufenthalt auf der Intensivstation sowie im Krankenhaus assoziiert. Bezogen auf die Sterblichkeit während des Intensiv- bzw. Krankenhausaufenthalts war die gemischte Form des Delirs mit dem höchsten Risiko (30 bzw. 33 %) assoziiert, wobei sich für das hypodynamische Delir eine Sterblichkeit von immerhin 28 bzw. 27 % sowie für das hyperdynamische Delir eine Sterblichkeit von 22 bzw. 30 % fanden.

Die Arbeit von la Cour et al. [41] trägt zu einem verbesserten Verständnis des im intensivmedizinischen Setting vorkommenden Delirs bei und lenkt den Fokus dabei v. a. auf das hypoaktive und das gemischte Delir. Neben der Sensibilisierung der intensivmedizinisch tätigen Teams erscheinen nun weiterführende Untersuchungen sinnvoll, um effiziente Instrumente für das Screening speziell dieser Typen zu entwickeln.

Meningitis

Originalpublikation

Völk S, Pfirrmann M, Koedel U et al (2022) Decline in the number of patients with meningitis in German hospitals during the COVID-19 pandemic. J Neurol 269:3389–3399.

In den vergangenen Jahren konnte durch den Einsatz von Vakzinen gegen die typischen Erreger Streptococcus pneumoniae, Neisseria meningitidis und Haemophilus influenzae eine Reduktion der Inzidenz der bakteriellen Meningitis erzielt werden. Dennoch handelt es sich um eine schwerwiegende Erkrankung, deren suffiziente Behandlung an das frühzeitige Erkennen und die unmittelbare Einleitung einer antiinfektiven Therapie sowie eine vorhandene Empfindlichkeit des Erregers gegenüber dem eingesetzten Antiinfektivum geknüpft ist [42]. Zudem dürften je nach Erreger hygienische Maßnahmen in mehr oder weniger großem Ausmaß eine Rolle für die Übertragung spielen und somit einen Effekt auf die Inzidenz der Meningitis haben. Im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie kamen zahlreiche Hygienemaßnahmen zur Anwendung, die mutmaßlich zu einer Reduktion von Atemwegsinfektionen abseits von COVID-19 führten.

Die Arbeit von Völk et al. [43] untersuchte nun das Auftreten von bakteriellen und viralen Meningitiden sowie Enzephalitiden im Zeitraum von 2016 bis 2020 unter besonderer Berücksichtigung der im Jahr 2020 implementierten Hygienemaßnahmen. Hierfür wurden in einer retrospektiven Erhebung Daten von 26 Deutschen Krankenhäusern aus 10 Bundesländern zusammengetragen und anhand der „International Classification of Disease and Related Health Problems“ (ICD) die jährliche Anzahl der stationären Behandlungsfälle mit entzündlichen Erkrankungen des Zentralnervensystems (ZNS) erfasst. Für Streptococcus-pneumoniae-vermittelte Meningitiden war im Jahr 2020 ein signifikanter Rückgang der stationären Behandlungsfälle gegenüber 2019 (n = 64 in 2020, n = 120 in 2019; p < 0,001) sowie den vorausgegangenen Jahren nachvollziehbar (n = 104 in 2018, n = 87 in 2017, n = 87 in 2016; p jeweils < 0,0125). Ein ähnliches Bild zeichnete sich für unspezifizierte bakterielle Meningitiden mit n = 318 im Jahr 2020 und n = 386 im Jahr 2019 (p < 0,001) ab. Auch die Zahl unspezifizierter viraler Meningitiden war mit n = 235 im Jahr 2020 gegenüber n = 350 im Jahr 2019 signifikant (p < 0,001) reduziert. Eine besonders starke Reduktion zeigte sich für Enterovirus-assoziierte Meningitiden mit n = 25 im Jahr 2020 und n = 116 im Jahr 2019 (p < 0,001). Eine signifikante Reduktion im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr war unabhängig vom Alter der Betroffenen zudem für Herpesviridae-assoziierte Meningitis und Enzephalitis erkennbar (p zwischen 0,010 und < 0,001), wohingegen für die Varizella-zoster-Virus(VZV)-assoziierte Meningitis nur in der Gruppe der über 65-Jährigen eine signifikante Reduktion nachzuvollziehen war (p < 0,001).

Wenngleich die Arbeit von Völk et al. [43] naturgemäß nur einen statistischen Zusammenhang zwischen der Anzahl entzündlicher ZNS-Erkrankungen und den im Jahr 2020 implementierten Hygienemaßnahmen darstellen kann, liegt ein kausaler Zusammenhang durch die allgemeine Reduktion von Atemwegsinfektionen infolge der Hygienemaßnahmen doch nahe. Unter den Bemühungen, die auf eine Reduktion von Meningitiden und Enzephalitiden abzielen, scheinen hygienische Maßnahmen neben den etablierten Vakzinen gegen die häufigsten Meningitiserreger einen relevanten Effekt zu besitzen. Möglicherweise lassen sich diese Erkenntnisse nutzen, um mit gezielten hygienischen Maßnahmen auch außerhalb von Pandemien besondere Risikogruppen vor einer Primärinfektion zu schützen oder Übertragungen z. B. in Gemeinschaftsunterkünften frühzeitig zu verhindern.