Einführung

Die zwingende Voraussetzung für die Organentnahme ist die Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (IHA, ehemals „Hirntod“) nach der Richtlinie der Bundesärztekammer (BÄK) [29].

Aufgrund der für den Ausfall ursächlichen Hirnschädigung ist davon auszugehen, dass sich ein Großteil der Patientinnen bereits vor der Diagnostik und Feststellung in intensivmedizinischer Behandlung befunden haben muss.

Traumatisch bedingte Hirnschädigungen treten z. B. im Rahmen eines Polytraumas zusammen mit anderen potenziell tödlichen Verletzungen auf. Entwickeln diese Patienten im klinischen Verlauf weitere Organdysfunktionssyndrome, wird fälschlicherweise häufig eine generelle Untauglichkeit für die Organspende im Fall eines IHA angenommen. Darüber hinaus können evtl. Therapielimitierungen auf dem Boden eines mutmaßlichen oder tatsächlich geäußerten Patientenwillens eine überaus komplexe und schwierige klinische Gesamtkonstellation entstehen lassen. Schlussendlich steht am Ende der Therapiepfade, die aus diesen Konstellationen gebildet werden, zwar häufig das Versterben des Patienten, jedoch nicht die erfolgreiche Organspende.

Analyse der Spendersituation in Deutschland

Die Allokation der in Deutschland explantierten Organe wird durch die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) über die Organisation Eurotransplant mit Sitz in Leiden, Niederlande, durchgeführt. Eurotransplant koordiniert die Organvermittlung aus den Staaten Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Slowenien und Ungarn. Obwohl Deutschland mit ca. 83 Mio. Einwohnerinnen das mit Abstand größte Mitgliedsland ist, weist es seit Jahren im Vergleich die niedrigsten Spenderzahlen pro Million Einwohnerinnen auf (Abb. 1). Gleichzeitig standen am 31.12.2019 9271 Patienten auf der Warteliste für ein vermittlungspflichtiges Organ (Leber, Herz, Lunge Pankreas, Darm und Niere).

Abb. 1
figure 1

Organspender pro Mio. Einwohner im Eurotransplant-Verbund. A Österreich, D Deutschland, HR Kroatien, NL Niederlande, B Belgien, H Ungarn, L Luxemburg, SLO Slowenien, Non-ET Länder außerhalb des Verbundes, mit denen Eurotransplant Abkommen zur Organallokation hat. (Aus Eurotransplant International Foundation [14], © all rights reserved, mit freundlicher Genehmigung)

Während in anderen europäischen Ländern die Spendezahlen nach der Einführung von Programmen und Gesetzesänderungen gesteigert werden konnten, gingen sie in Deutschland trotz einiger politischer Anstrengung weiter zurück [32]. Sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch in Fachkreisen zirkulieren verschiedene Theorien über Gründe, die für die niedrigen Spenderraten verantwortlich sein sollen und nicht alle sind mit wissenschaftlicher Evidenz untermauert. Der vorliegende Beitrag widmet sich der Aufarbeitung und Analyse einiger der Annahmen, die im Folgenden dargestellt sind.

Verbesserte Unfallverhütung und Sicherheitstechnologien

Theorie: Durch verbesserte Unfallverhütung in der Arbeitswelt und Sicherheitstechnologien, z.B. im Straßenverkehr, kommt es zu einem Rückgang der Inzidenz schwerer, insbesondere traumatischer Hirnschäden und damit potenzieller Spenderinnen [34].

Im Jahr 2019 waren nur bei 13,1 % der Patientinnen, die in Deutschland zu Organspenderinnen wurden, die Ursache für die Hirnschädigung in einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) begründet. Das SHT steht lediglich an 3. Stelle der Ursachen für eine Hirnschädigung, nach ischämisch-hypoxischen Hirnschäden (23,3 %) und intrakraniellen Blutungen (53,3 %) [12]. Weiss et al. verglichen die Spenderinnenraten und die Letalität nach traumatischen und nichttraumatischen Hirnschäden in 28 Staaten über einen Zeitraum von 15 Jahren und konnten zeigen, dass die Letalität im Beobachtungszeitraum deutlich zurückgeht (in Deutschland um 20 %). Darüber hinaus haben Fortschritte in der aktuellen Schlaganfallbehandlung wie etwa die flächendeckende Einführung von Stroke Units und die bessere Früherkennung die Zahl der malignen Infarkte und damit auch die Zahl der potenziellen Spendenden weiter reduziert [27]. Der zu erwartende Rückgang in den Spenderzahlen blieb jedoch in den meisten Ländern aus. Im Gegenteil konnten die meisten Staaten die Spenderkonversion, also den Anteil an Spendenden aus dem Gesamtkollektiv der Verstorbenen erhöhen, mit Ausnahme Deutschlands [34].

Einstellungen der Bevölkerung zur Organspende

Theorie: Die Zustimmung in der Bevölkerung zum Thema Organspende ist mangelhaft und durch die „Organspendeskandale“ nachhaltig geschädigt.

Im Jahr 2012 wurde aufgedeckt, dass an mehreren deutschen Transplantationszentren systematisch Laborparameter verändert wurden, um den Patientinnen der eigenen Zentren einen Vorteil bei der Organallokation zu verschaffen. Die breite mediale Rezeption weniger negativer Beispiele im Kontrast zur quasi nichtvorhandenen Berichterstattung vieler positiver Auswirkungen des Transplantationswesens in Deutschland wird für die Entstehung einer misstrauischen Haltung in der Bevölkerung und daraus resultierend sinkende Spenderzahlen mitverantwortlich gemacht [21]. Zwar hat sich der Anteil der Menschen mit einer „eher negativen“ Einstellung zur Organspende seit 2010 von 5 auf 8 % fast verdoppelt, jedoch ist parallel der Anteil der „eher positiv“ eingestellten Menschen von 79 auf 84 % kontinuierlich gestiegen. Gleichzeitig besitzen deutlich mehr Menschen einen Organspendeausweis (2010: 25 %, 2018: 36 % ), und immer mehr dokumentieren ihre Entscheidung zur Organspende in einem Ausweis oder einer Patientenverfügung (PV; 2012: 22 %, 2018: 39 %, [9]).

In den per Organspendeausweis dokumentierten Entscheidungen wird nur in 4 % der Fälle einer Organentnahme widersprochen (15 % bei Dokumentation in PV). Die häufigsten Begründungen sind, dass die Patientinnen sich oder ihre Organe als zu alt oder zu krank empfinden (ca. 24 %), und das Misstrauen gegenüber dem System der IHA-Diagnostik und Allokation (ca. 22 %, [9]). Ob bei Erstgenanntem tatsächlich eine absolute oder relative Kontraindikation für eine Organspende vorliegt, ist unbekannt, aber als eher unwahrscheinlich anzusehen.

Religiöser Glaube und ethische Grundsätze

Theorie: Religiöse Gründe verbieten eine Organspende oder akzeptieren die Definition des IHA nicht [6].

Religiöse und ethische Gründe werden zwar seltener als Ablehnung einer Organspende genannt, kommen jedoch vor. In dokumentierten Entscheidungen sind sie der dritthäufigste Grund eines Widerspruchs (ca. 16 %) [9]. Spezifische Argumente gegen Organspende oder den IHA finden sich jedoch bei keiner der monotheistischen Religionen.

  • Die christlichen Kirchen in Deutschland betrachten die Organspende als „Akt der Nächstenliebe und Solidarität über den Tod hinaus“ [17].

  • Die muslimische Rechtsprechung erlaubt bereits seit den 1950er-Jahren die Transplantation von Organen und Geweben. Im Jahr 1986 wurde auf der 3rd International Conference of Islamic Jurists die Gleichsetzung von Herz- und Hirntod nach islamischem Recht anerkannt [2].

  • Das Oberrabbinat Israels erkannte ebenfalls 1986 die Gültigkeit des Hirntods an. Seit 2008 ist der „Brain-Respiratory Death Act“ offizielles jüdisches Recht [5]. Während es nach jüdischem Recht eigentlich verboten ist, den Körper eines Verstorbenen zu verändern, sehen es viele Gelehrte als statthaft an, wenn dies in der Intention geschieht, einen anderen Menschen zu retten [1]. Nichtsdestotrotz scheint das Thema Organspende insbesondere unter Angehörigen orthodoxer Glaubensgemeinschaften weiterhin sehr restriktiv gehandhabt zu werden [5].

Die Stellung anderer Religionen zur Organspende, wie Hinduismus, Buddhismus und Sikh, werden detailliert in einer Arbeit der Universität von Cardiff, Wales, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, behandelt [6].

Entscheidungs- vs. Widerspruchslösung

Theorie: Durch die Entscheidungslösung entfallen viele potenzielle Spender, da sie einer Spende zu Lebzeiten zustimmen müssen. Eine Widerspruchslösung würde mehr Spenderinnen generieren [13].

In Deutschland wird die erweiterte Zustimmungsregelung („opt-in“) zur Organspende praktiziert, die aktuell als Entscheidungslösung deklariert und im §2 Abs 2 des Transplantationsgesetzes (TPG) festgeschrieben ist [18]. Zuletzt votierte im Januar 2020 der Bundestag im Rahmen der Novellierung des TPG gegen eine Gesetzesänderung hin zu einer Widerspruchslösung („opt-out“). Die Bürgerin soll sich zu Lebzeiten mit dem Thema Organspende auseinandersetzen, eine persönliche, freie Entscheidung fällen und diese dokumentieren. Damit sich mehr Menschen ausführlicher mit dem Thema befassen und ihre Entscheidung dokumentieren, sollen ab 2022 auch Hausärzte regelmäßig über das Thema aufklären und Informationsmaterial aushändigen. Im Vorfeld der erneuten Diskussion des TPG hatte sich u. a. der 121. Deutsche Ärztetag 2018 in Erfurt klar für die Widerspruchslösung positioniert.

Wissenschaftlich konnte die Frage, ob eine Opt-in- einer Opt-out-Lösung bezüglich der Organspendezahlen überlegen ist, bislang nicht eindeutig geklärt werden. Rithalia et al. konnten 2008 in einer Übersichtsarbeit mehrere Studien identifizieren, die einen signifikanten Anstieg der Spenderzahlen nach Einführung einer Widerspruchslösung berichteten. Trotzdem wiesen die Autoren darauf hin, dass z. B. auch andere Faktoren , die nicht in den Studien untersucht worden waren, sich aber zeitgleich in den Beobachtungszeiträumen positiv entwickelt hatten, die Änderung verursacht haben könnten. Beispielhaft soll die gesellschaftliche Zustimmung zur Organspende genannt sein [30]. Eine aktuellere Analyse von 35 Ländern, bei denen 17 Länder eine Opt-out- und 18 Länder eine Opt-in-Regelung verfolgten, konnte nur eine nichtsignifikant höhere Spenderrate für Länder mit Opt-out-Regelungen zeigen. Die Autoren schlussfolgerten, dass allein die Änderung des Zustimmungsformates keine Lösung für die nachhaltige Steigerung der Spenderzahlen ist [4].

Identifikation potenzieller Spender im Krankenhaus

Theorie: Die Identifikation potenzieller Spender im Krankenhaus funktioniert schlecht oder ist aufgrund der Seltenheit für die einzelne Intensivstation ein eher „unbekannter Prozess“, weshalb eine große Anzahl der potenziellen Spenderinnen vor der Hirntoddiagnostik verstirbt.

Wie bereits eingangs erwähnt, liegt die Verantwortung für die Spendererkennung und das folgende Prozedere bei der Intensivmedizinerin. Es besteht jedoch Grund zu der Annahme, dass diese Erkennung in der heterogenen deutschen Krankenhauslandschaft nur unzureichend funktioniert und aufgrund mangelnder Erfahrung Wissenslücken bestehen [15].

Seit 2010 kann mit dem Programm „DSO-Transplantcheck für Excel“ retrospektiv aus den §21-Daten eines Krankenhauses gezielt nach Patientinnen gesucht werden, die potenziell für eine Organspende geeignet gewesen wären. Das Programm sucht nach Todesfällen, bei denen während des Krankenhausaufenthalts der betroffenen Patientinnen mindestens eine Diagnose einer primären oder sekundären Hirnschädigung, die Durchführung einer maschinellen Beatmung sowie keine Diagnose einer Kontraindikation verschlüsselt wurde. Diese Fälle bilden die „Grundgesamtheit des Spenderpotenzials“. Ein Pilotprojekt im Auftrag der DSO, die „In-house“-Koordination in 112 deutschen Krankenhäusern, zeigte, dass in den betrachteten Kliniken zwischen 2010 und 2012 zwar ein Großteil der möglichen Spenderinnen erfasst, jedoch bei insgesamt 411 Fällen keine IHA eingeleitet wurde, obwohl die retrospektive Analyse dies als sinnvoll erachtete. Zwar entsprechen diese 411 Fälle nur 1,8 % aller mit einer Hirnschädigung Verstorbenen, jedoch hätten sie zu einer Steigerung der Spendezahlen um 31 % geführt, wenn bei allen eine Spende realisiert worden wäre [7]. Bereits damals wurden Forderungen nach strukturellen Verbesserungen der Spenderinnenerkennung, Schulung der beteiligten Mitarbeiterinnen und nach einer besseren Aufwandsvergütung für die Krankenhäuser zur Ausschöpfung des Spenderpotenzials formuliert.

Eine weitere deutschlandweite Analyse aller 112.172.896 stationären Fälle zeigte von 2010 bis 2015 einen Anstieg des Spenderpotenzials um 13,9 %. Im gleichen Zeitraum gingen jedoch sowohl der Anteil der DSO-Kontaktaufnahmen für potenzielle Spenderinnen, der Anteil der tatsächlich realisierten Spenden sowie das Verhältnis von Spenden zu DSO-Kontaktaufnahmen zurück [31]. Brauer et al. analysierten nach der oben beschriebenen Methode die Todesfälle in den Krankenhäusern der DSO-Region Ost aus dem Jahr 2016. Es wurden 2442 Todesfälle einer Einzelfallanalyse unterzogen, wobei 73 zusätzliche potenzielle Spender identifiziert wurden, bei denen auf der Grundlage der Analyse eine IHA-Diagnostik indiziert gewesen wäre, aber nicht durchgeführt worden war. Nach Abzug der Wahrscheinlichkeit für einen nichtdiagnostizierbaren IHA und der durchschnittlichen Ablehnungsquote verblieben 24 zusätzliche, unerkannte potenzielle Spenderinnen [8].

Die BÄK hat zur Unterstützung der Spenderinnenerkennung eine eigene Richtlinie publiziert [28].

Unterstützung bei der Erkennung von Patienten mit möglicherweise bevorstehendem IHA können auch Abfrage-Tools in Patientendatenmanagementsystemen (PDMS) leisten. Durch eine automatisierte Meldung von Patienten, die mögliche Symptome eines IHA aufweisen, an die Transplantationsbeauftragten (TxB) konnte die Zahl nichterkannter potenzieller IHA-Fälle deutlich reduziert werden [33].

Thematisierung der Organspende in Patientenverfügungen

Theorie: In vielen PV wird sich nicht oder nur unzureichend zum Thema Organspende oder bezüglich der Fortführung einer intensivmedizinischen Therapie zur Realisierung einer Organspende geäußert. Dies kann im klinischen Alltag zu Therapielimitierungen oder -beendigungen vor Beginn einer IHA-Diagnostik führen [19].

Immer mehr Menschen in Deutschland besitzen eine PV. Jedoch wird sich nur in der Hälfte von diesen überhaupt zur Organspende geäußert [9], bzw. wird die Frage nach der Organspende in den entsprechenden Vordrucken nicht gestellt. Dies birgt das substanzielle Risiko, dass die Intensivtherapie im Fall einer infausten oder nicht dem Willen der Patientinnen entsprechende Prognose, beendet wird, ohne die Möglichkeit einer Organspende in Betracht zu ziehen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil dies in den meisten Fällen mit einer zumindest zeitlich begrenzten Fortführung oder gar Neuaufnahme intensivmedizinischer Maßnahmen verbunden wäre.

Im Jahr 2019 wurden 40 % der Entscheidungen für oder gegen eine Organspende anhand des mutmaßlichen Willens der Patientinnen gefasst. In den Fällen, in denen keine Zustimmung erfolgte, war die mangelnde Kenntnis der Einstellung des Verstorbenen die zweithäufigste Ursache [12]. In einer weiteren Analyse von Wesslau et al. kannten sogar 90 % der Angehörigen den Willen des Verstorbenen nicht [35]. Im Prinzip wäre diese Problematik durch die Aufnahme einer Frage nach der Bereitschaft zur Organspende zu lösen, wie sie beispielhaft in die Vorlage der PV der Sächsischen Landesärztekammer implementiert ist. Im Zustimmungsfall ergäbe sich dann die Möglichkeit, die intensivmedizinische Therapie bis zum IHA resp. bis zur Organentnahme fortzusetzen, da dies in völliger Übereinstimmung mit dem Patientinnenwillen geschähe. Die BÄK hat in einem Arbeitspapier versucht, den Umgang mit PV im Kontext einer Organspende zu klarifizieren [3].

Das Konzept des Beginns bzw. der Fortführung intensivmedizinischer Maßnahmen im Sinne eines Erhalts der Organfunktion spendewilliger Patientinnen, bei denen das Eintreten des Hirntodes in absehbarer Zeit zu erwarten ist, wird unter dem Begriff „intensive care to facilitate organ donation“ (ICOD) in mehreren europäischen Ländern praktiziert [24]. In Spanien wurden 2014–2015 24 % der gesamten Spenden durch ICOD ermöglicht [11].

Erweiterung des potenziellen Spenderinnenkreises um sog. Herztote

Theorie: Die Voraussetzungen zur Diagnose des IHA und die Durchführung einer IHA-Diagnostik sind zu komplex und treten in vielen Szenarien nicht ein. Eine Erweiterung des Kreises potenzieller Spenderinnen um Herztote würde die Spenderrate möglicherweise deutlich erhöhen.

In Deutschland ist nach §3 Satz 2 TPG die Entnahme von Organen und Geweben toter Spender nur zulässig, nachdem der endgültige, nichtbehebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms (IHA) festgestellt wurde. Die Verfahrensregeln werden durch die BÄK per Richtlinie festgelegt [29].

Neben den Spenderinnen nach IHA („donation after brain death“, DBD) akzeptieren viele Länder auch die sog. herztoten Spenderinnen („donation after cardiac death“ [DCD] oder „non heart-beating donor“ [NHBD]). Seit 1995 unterscheiden die Maastricht-Kategorien 4 mögliche DCD (Tab. 1; [22]).

Tab. 1 Maastricht-Kriterien für die Einteilung von „donators after cardiac death“

Die Kategorien I und II werden aufgrund ihres nichtvorhersehbaren Auftretens als unkontrolliert (uDCD) sowie Kategorie III als kontrolliert (cDCD) beschrieben. Die Richtlinien der einzelnen Länder sind unterschiedlich. Allen gemeinsam ist jedoch, dass auf den pulslosen Herz-Kreislauf-Stillstand (nicht in allen Ländern muss eine Asystolie vorliegen) eine „no-touch period“ von 5–30 min folgt, bevor der Patient für tot erklärt und mit der Organentnahme begonnen werden kann [23]. Da per DCD gespendete Organe vor der Transplantation einer warmen Ischämie ausgesetzt sind, waren die Erfolgsraten und das Transplantatüberleben im Vergleich zu DBD gespendeten Organen häufig schlechter, was durch eine Optimierung des Spendeprozesses jedoch angeglichen werden konnte [10, 16, 25].

Die BÄK hat seit 1995 in mehreren Stellungnahmen die DCD als Voraussetzung für eine Organentnahme abgelehnt, 2015 hat sich der Deutsche Ethikrat diesem Standpunkt angeschlossen [20]. Grundlage der Argumentation ist die sog. Tote-Spender-Regel („dead donor rule“, DDR), nach der eine Organentnahme ausschließlich an toten Spenderinnen erfolgen darf. Die DDR basiert auf dem deontologischen Grundsatz, dass ein menschliches (Weiter‑)Leben kein Mittel zum Zweck (einer Organentnahme) sein darf [26]. Die Erweiterung der in Deutschland zulässigen Todeskriterien sichere Todeszeichen, nicht mit dem Leben zu vereinbare Verletzungen und IHA um den „Herztod“ würde umfangreiche Gesetzesänderungen voraussetzen. Darüber hinaus ist zu definieren, ab welcher Dauer eines Herz-Kreislauf-Stillstands ein Überleben so unwahrscheinlich ist, dass ein definitiv nichtüberlebensfähiger Zustand aktiv durch die Explantation herbeigeführt werden darf. Somit bleibt letztendlich die Definition vom Tod des Menschen, sowohl im wissenschaftlich-ethischen als auch im gesamtgesellschaftlichen Diskurs, neu zu überdenken und ggf. rechtlich zu verankern, um die DDR nicht zu verletzen.

Dabei gäbe es für cDCD-Spenden theoretisch gute Argumente. Patientinnen, die sich zu Lebzeiten entschlossen haben, Organe zu spenden, und bei denen aufgrund einer schweren Erkrankung eine infauste Prognose oder ein nicht mit ihrem Willen zu vereinbarendes Therapiekonzept bestünde, könnten nach kontrollierter Therapiebeendigung explantiert werden. Die Frage, ob die Hirnfunktion nach einer bestimmten Wartezeit im Anschluss an den Eintritt des Herzstillstands irreversibel erloschen ist, würde sich in diesen Fällen nicht stellen. Denn das Versterben wäre Folge einer bewussten Entscheidung in Ermangelung eines Therapieziels bzw. das konsequente Umsetzen des Patientenwillens und würde nicht auf dem Boden der artifiziellen wissenschaftlich-ethischen Todesdefinition des IHA fußen. Kann medizinisch mit ausreichender Wahrscheinlichkeit kein mit dem Patientinnenwillen zu vereinbarendes Therapieziel mehr erreicht werden, ist die Therapiebeendigung, auch zur Verhinderung der Leidensverlängerung, mit der Akzeptanz des konsekutiven Versterbens der Patientin nicht nur Gebot für den Arzt. Spendewilligen Patienten in solch einer Situation die Organspende zu versagen anstatt sie zu ermöglichen, weil diese den „falschen Tod“ sterben, ist ethisch zumindest diskutabel.

Das Potenzial, das DCD-Spenderinnen für die Steigerung der Gesamtspenderate haben, ist sehr unterschiedlich. Während der Anteil an DCD-Spenderinnen in Spanien 2015 nur 17 % betrug, waren es in Großbritannien 41,8 % und in den Niederlanden sogar 54,9 % [34].

Resümee

Die Betrachtung der Organspende als rein intensivmedizinisches Thema stellt einen eindimensionalen Blickwinkel dar und würde dem Problem des drängenden Organmangels in Deutschland nicht gerecht. Es sind jedoch die intensivmedizinisch tätigen Ärzte, die die entscheidenden Gespräche über das Für und Wider der Zustimmung zur Spende mit den Angehörigen eines Patienten führen müssen, wenn dieser keine Willensäußerung abgegeben hat. Dieser Beitrag diskutiert verschiedene Probleme und Fragen, die sowohl in der Fachliteratur als auch im klinischen Alltag immer wieder thematisiert werden:

a) Der IHA und die Organspende sind seltene Ereignisse; so selten, dass sich in der Erkennung potenzieller Spenderinnen sowie der Einholung der Zustimmung durch die Angehörigen keine Routine ausbilden kann. Organspende muss, selbst wenn die eigentliche Spende selten ist, Normalität werden. Hilfestellung bei der Spendererkennung können z. B. automatisierte Abfragen in PDMS bieten. Die Bewertung dieser Informationen bleibt aber alleinige Aufgabe der verantwortlichen, behandelnden Intenisivmedizinerinnen und des TxB.

b) Ein Großteil der Bevölkerung möchte Organe spenden. Einer der Hauptgründe, eine Organspende abzulehnen, besteht in der Vorstellung, zu alt oder zu krank zu sein. Dabei sind tatsächliche medizinische Kontraindikationen selten. Es bestehen sowohl aufseiten der Ärztinnen als auch aufseiten der Patientinnen große Wissenslücken. Das Schließen dieser Lücken, z. B. über die Vertrauensperson Hausarzt, könnte ein zusätzliches Spenderpotenzial mobilisieren.

c) Zumindest die 3 monotheistischen Weltreligionen erlauben eine Organspende.

d) Obwohl das Einführen einer Widerspruchslösung mit einem Anstieg der Spenderinnenraten assoziiert ist, erscheint der Effekt dieser Maßnahme jedoch marginal.

e) Die Frage nach PV und Vorsorgevollmachten gehört mittlerweile zum Standard im Aufnahmeprozedere nahezu jeder Klinik. Die Evaluation einer evtl. Organspendebereitschaft sollte ebenso normalisiert werden. Die Frage nach der Einstellung zur Organspende schafft Klarheit und Sicherheit im Umgang mit dem Thema. Die Beratung zum Thema Organspende, ggf. einschließlich des Anbietens von Informationsmaterial, erinnert sowohl Angehörige als auch Patientinnen daran, sich hiermit auseinanderzusetzen.

f) Muss eine Entscheidung zur Spende erst eingeholt werden, wenn die Patientin sie nicht mehr selbst äußern kann, wird sie oft aufgrund von Unwissenheit der Angehörigen über den genauen Willen der Patientin abgelehnt.

g) Patientenverfügungen beinhalten zu selten eindeutige Äußerungen zur Organspende. Grundsätzlich sind sich viele Autorinnen einig, dass die Fortführung einer Intensivtherapie über einen begrenzten Zeitraum von 48–72 h zur Ermöglichung einer Spende bei wirksamer Patientenverfügung legitim und richtig ist, da die Spende bei Zustimmung ebenfalls Ausdruck des zu respektierenden Patientenwillens ist.

h) Die ICOD ist in Deutschland als Konzept noch weitgehend unbekannt, sollte aber ins Blickfeld der Intensiv- und Notfallmedizinerinnen gerückt werden, da sie vom TPG abgedeckt wird.

i) Der Ausweitung des Spenderpools über den Hirntod hinaus im Sinne der cDCD muss eine intensive gesellschaftliche und politische Diskussion mit Auseinandersetzung zu den Themen Lebensende und Sterben vorausgehen. Vor der Diskussion konkreter Ideen zur Umsetzung muss eine gesamtgesellschaftlich akzeptierte, gesetzlich verankerte Position gefunden werden.