Medizin ist manchmal eine komische Sache. Was gestern noch richtig war, kann heute völlig falsch sein, und was heute noch von vielen belächelt wird, ist nicht selten wenige Jahre später „state-of-the-art“. Naturgemäß ist dies v. a. Ausdruck wissenschaftlichen Fortschritts unter Aufarbeitung dessen, was bislang therapeutisch praktiziert wurde. Es kann aber auch Ausdruck von Missverständnissen sein, weil man ein altes therapeutisches Verfahren einfach nicht richtig verstanden und daher auch nicht adäquat eingesetzt hat. Der Umgang mit dem Thema „zielgerichtete hämodynamische Optimierung“ in der perioperativen Medizin ist dafür ein gutes Beispiel.

Anfang der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts machten der Chirurg William C. Shoemaker und seine Mitarbeiter die Beobachtung, dass Patienten mit einer hohen erwarteten Letalität, die in der Lage waren, perioperativ ein ihrem Sauerstoffbedarf angemessenes Sauerstoffangebot zu generieren, große chirurgische Eingriffe überlebten, während Patienten, die perioperativ mit dem Herzzeitvolumen und dem Sauerstoffangebot abfielen, verstarben [1]. Gelang es, mittels Gabe von Volumen sowie Optimierung von Inotropie und Nachlast eine adäquate kardiale Funktion und ein für den individuellen Bedarf ausreichendes Sauerstoffangebot aufrechtzuerhalten und damit die Entwicklung einer „Sauerstoffschuld“ [15] zu vermeiden, ließen sich Letalität und Morbidität der Patienten deutlich reduzieren [16]. Dieser Ansatz wurde in mehreren Untersuchungen an chirurgischen Hochrisikopatienten wiederholt (Übersicht unter [4]) und in einer Metaanalyse bestätigt [10].

Dennoch konnte sich dieses Konzept in der Folge zunächst nicht durchsetzen und wurde recht bald sogar vehement abgelehnt. Dies lässt sich v. a. dadurch erklären, dass verschiedene Arbeitsgruppen das Shoemaker-Konzept aus der perioperativen Versorgung in den Bereich der Intensivmedizin transferiert hatten und dabei beobachteten, dass es bei kritisch Kranken mit fortgeschrittener Sepsis und/oder bereits etablierter Organdysfunktion keine positiven [6] und z. T. sogar negative Effekte auf das Outcome zeigte [8]. Ein klares „Missverständnis“, denn Shoemaker hatte in seinen Publikationen stets darauf hingewiesen, dass die zielgerichtete hämodynamische Optimierung nur dann von Vorteil für den Patienten war, wenn die Therapie vor Einsetzen einer Organdysfunktion initiiert wurde [16].

Bemerkenswerterweise ließen sich verschiedene angelsächsische und US-amerikanische Arbeitsgruppen von dieser generellen Ablehnung des Shoemaker-Konzeptes nicht irritieren. In einer Zeit, in der wissenschaftlich sehr auf den Darm als Motor des Multiorganversagens fokussiert wurde, wählten sie das kardiale Schlagvolumen – eine physiologisch wesentliche Determinante der viszeralen Perfusion – als Ziel einer Optimierung des Volumenstatus. Sie konnten mittels dieses Konzeptes, das man populistisch auch als „Shoemaker light“ bezeichnen könnte, in zahlreichen Untersuchungen zeigen, dass eine zielgerichtete Optimierung des kardialen Schlagvolumens postoperative Komplikationen und damit einhergehend auch die Krankenhausverweildauer reduziert [5, 11]. Ergänzt wurden diese überwiegend als reine Volumenoptimierungsstudien angelegten Arbeiten durch Studien, die auf die andere Achse des klassischen Shoemakerkonzeptes – ein adäquates Verhältnis zwischen Sauerstoffangebot und -bedarf – fokussierten. Diese Studien belegen ebenfalls, dass eine Therapie mit dem Ziel einer normalen gemischt-venösen Sauerstoffsättigung [14] bzw. die Aufrechterhaltung eines liberalen Sauerstoffangebotes [12] das Outcome chirurgischer Patienten mit moderatem operativem Risiko verbessert; ein Ergebnis, das ebenfalls in einer Metaanalyse bestätigt werden konnte [13].

Und so, fast 30 Jahre nach den ersten Publikationen zu diesem Thema, beginnt sich das „Missverständnis“ allmählich aufzulösen, das Blatt wieder zu wenden und sich tatsächlich durchzusetzen, dass eine perioperative zielgerichtete hämodynamische Therapie mit den Zielen Optimierung des Volumenstatus und der kardialen Funktion (kardiales Schlagvolumen) sowie eine Anpassung des Sauerstoffangebotes an den -bedarf (normale gemischt-venöse Sättigung bzw. Sauerstoffextraktionsrate) das Outcome von Risikopatienten verbessert. Dies erscheint umso wichtiger, als wir in den letzten Jahren gelernt haben, dass ein pauschal appliziertes „Zuviel“ an Volumen das Outcome insbesondere abdominal-chirurgischer Patienten [2] genauso verschlechtern kann wie eine unbehandelte Hypovolämie und dass sich der chirurgische Risikopatient zunehmend als der Patient mit latenter oder manifester Herzinsuffizienz „outet“ [7].

Aber auch wenn das Prinzip der perioperativen hämodynamischen Optimierung mittlerweile gut fundiert ist (2 kongruente Metaanalysen = Level-I-Evidenz), stellt sich zwangsläufig die Frage, wie man es in die eigene klinische Praxis und die Abläufe seiner Klinik integrieren kann und mit welchem Monitoringsystem man dabei idealerweise arbeiten sollte.

Antworten auf diese Fragen finden sich in einer Übersichtsarbeit von Wittkowski et al. [17] in der vorliegenden Ausgabe des Anästhesisten. In detaillierter Form stellen die Autoren die gegenwärtig auf dem Markt verfügbaren und etablierten Monitoringsysteme vor und gehen – neben technischen Aspekten und einer umfangreichen Darstellung von Vor- und Nachteilen – insbesondere auch auf die Datenlage zu den einzelnen Systemen im Kontext einer zielgerichteten hämodynamischen Therapie ein.

Dabei wird klar, dass die Palette der Möglichkeiten außerordentlich breit ist und von einem wenig invasiven Gerät wie dem Osöphagusdoppler über verschiedene Verfahren der arteriellen Pulskontur bzw. Pulsdruckanalyse zur Bestimmung des Herzzeitvolumens bis hin zum kontinuierlich die gemischt-venöse Sättigung, das Herzzeitvolumen und die rechtsventrikuläre Funktion erfassenden Pulmonalarterienkatheter (PAK) oder der transösophagealen Echokardiographie (TEE) zahlreiche und alternativ einsetzbare Möglichkeiten bestehen, die kardiale Funktion, kardiale Volumina und das Verhältnis von Sauerstoffangebot und -bedarf zu bestimmen.

Die Breite des Angebotes ist einerseits ein Vorteil, da man die Invasivität des Monitorings an das Risiko des individuellen Patienten anpassen kann, andererseits aber auch ein Nachteil: Je mehr Systeme in einer Klinik verfügbar sind, desto geringer wird die Erfahrung der Anwender mit den einzelnen Systemen sein, die Fehlerquote steigen und die Bereitschaft, die Systeme einzusetzen, abnehmen. Dies dürfte insbesondere für den Ösophagusdoppler, den PAK und die TEE zutreffen, die besondere Erfahrung im Umgang und zur korrekten Interpretation der Daten erfordern. Eine Fokussierung auf wenige Systeme, die alle Anwender dann aber auch sicher beherrschen, könnte hier durchaus von Vorteil sein.

Darüber hinaus ist den Autoren zu danken, dass sie mit großer Ausgewogenheit bei der Darstellung der Vor- und Nachteile der Systeme vorgegangen sind und – insbesondere auch seitens einzelner Hersteller – immer wieder kolportierte Falschaussagen im Kontext aktueller Literatur zurechtrücken. Hier sind insbesondere die Hinweise darauf, dass der PAK in prospektiven Untersuchungen die Letalität nicht erhöht, die scheinbar wenig invasive TEE durchaus mit relevanten Risiken verbunden und ebenso wie das in Deutschland häufig eingesetzte PiCCO®-System im Kontext von Outcomestudien zur zielgerichteten hämodynamischen Therapie nicht (TEE) bzw. nur wenig (PiCCO®) validiert ist, zu erwähnen. Aber auch die Hinweise, wie wichtig die dynamische Interpretation von sog. „statischen“ Vorlastparametern ist, dass insbesondere zur Volumenoptimerung des kontrolliert beatmeten Patienten (im OP der Regelfall!) den „dynamischen“ Vorlastparametern der Vorzug zu geben sei und dass – zum gegenwärtigen Zeitpunkt – die Verlässlichkeit nicht kalibrierter Pulskontur- (Lidco-Rapid®) oder Pulsdruckanalysesysteme (Flowtrac/Vigileo®) nicht in jedem operativen Setting sicher gewährleistet ist, verdienen Beachtung.

Eine weitere wichtige Aussage der Arbeit steckt im Fazit. Die Schlussfolgerung, dass der klinische Erfolg des Ösophagusdopplers insbesondere darin begründet liegen dürfte, dass in den entsprechenden Studien, statt auf den herzfrequenzmodulierten Parameter Herzzeitvolumen (HZV) zu fokussieren, v. a. der weitgehend frequenzunabhängige Parameter kardiales Schlagvolumen erfasst wurde, räumt mit dem Dogma (und einem systematischen Fehler des Shoemaker-Konzeptes) auf, dass die alleinige Bestimmung des HZV zur Abschätzung der Adäquatheit der kardiozirkulatorischen Funktion und des Volumenstatus ausreichend sei. Da es sich hierbei aber um eine physiologisch geregelte Größe handelt, liefert die isolierte Bestimmung des HZV ohne begleitende Informationen über den Sauerstoffbedarf diesbezüglich oft nur eine sehr lückenhafte Information [9].

Nicht beantwortet werden die Fragen, welches Monitoringsystem man nun für welchen Patienten (und Eingriff) nehmen sollte und wie man als Abteilung die nicht unerheblichen Mehrkosten für hämodynamisches Monitoring eigentlich bezahlen soll.

Die erste Frage lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt anhand der Literatur nicht beantworten, da es insbesondere zu den weniger invasiven Verfahren (Pulskonturanalyse, Ösophagusdoppler) gegenwärtig keine vergleichenden Outcome-Studien gibt. Ähnliches gilt im Hinblick auf die Wahl zwischen gemischt- und zentralvenöser Sauerstoffsättigung. Bis solche Studien vorliegen, bleibt es dem Anwender vorbehalten, unter Berücksichtigung der klinikspezifischen Situation aus der Fülle des Angebotes ein für das individuelle Risikoprofil eines Patienten bzw. einer Patientengruppe und den jeweiligen Eingriff passendes Monitoring auszuwählen. In Einklang mit der S3-Leitline zur hämodynamischen Therapie herzchirurgischer Patienten und dem klassischen Shoemaker-Konzept sollte bei höherem Risiko neben der Bestimmung des Schlagvolumens jedoch stets auch eine venöse Sättigung mit erfasst werden [3].

Die Frage der Kosten ist noch wesentlich schwerer zu lösen und stellt zum gegenwärtigen Zeitpunkt für die meisten Anwender sicher den größten Hinderungsgrund dar, in größerem Umfang erweitertes hämodynamisches Monitoring bei Risikopatienten einzusetzen. Obwohl einzelne Verfahren zum gegenwärtigen Zeitpunkt durchaus im Rahmen des DRG-Systems abgebildet werden, solange sie vereinzelt zum Einsatz kommen, kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sich dies ändert, sobald ein Verfahren routinemäßig verwendet wird. Daher bedarf es in diesem Kontext auch für den Bereich außerhalb der Kardioanästhesie klarer Empfehlungen unserer Fachgesellschaft (wie wir sie für den Bereich der herzchirurgischen Intensivmedizin dank der S3-Leitlinie Hämodynamik zur Verfügung haben [3]), um unseren Patienten eine dem Stand der Wissenschaft angemessene Therapie anbieten zu können. Und bis entsprechende Empfehlungen der DGAI vorliegen, wird die vorliegende Arbeit [17] für diesen Bereich eine umfassende Referenz darstellen.

Dabei bleibt aber, unabhängig welches Monitoringsystem auch immer gewählt wird, noch einmal hervorzuheben, dass Monitoring per se keine Therapie darstellt und ohne Einbindung in sinnvolle Algorithmen keinen positiven Einfluss auf das Outcome unserer Patienten nehmen kann. Denn gerade beim Thema Monitoring kommt es wahrscheinlich weniger auf das „wie“, sondern in erster Linie darauf an, „was“ man daraus macht!