Ein modernes Qualitäts- und Risikomanagement ist in der heutigen Medizin unverzichtbar. Die Intensivmedizin ist neben dem OP-Bereich die teuerste Abteilung eines jeden Akutkrankenhauses. Die Behandlung von schwerstkranken Patienten ist mit hohen Risiken verbunden und fordert ein funktionierendes Risiko- und Qualitätsmanagement.

Im Jahre 2007 entwickelte die deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin (DGAI) in Zusammenarbeit mit der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin und Notfallmedizin (DIVI) sowie der Deutschen Gesellschaft für internistische Intensiv- und Notfallmedizin (DGIIN) ein Qualitätsmanagementsystem, das aus mehreren Modulen besteht.

Neben der externen Qualitätssicherung auf Basis des Kerndatensatzes sind Qualitätsindikatoren entwickelt und Peer-Review-Verfahren etabliert worden. Zusätzlich soll über die Bildung regionaler Netzwerke ein hoher Vernetzungsgrad auf lokaler Ebene erreicht werden.

Die einzelnen Module

  • externe Qualitätssicherung,

  • Implementierung von Qualitätsindikatoren und

  • Teilnahme an Peer-Review-Verfahren

können einzeln implementiert oder additiv genutzt werden. Damit hat jede Intensivstation die Möglichkeit, sich an qualitätssichernden Maßnahmen zu beteiligen oder ein Qualitätsmanagement nach nationalem Standard aufzubauen. Dieser innovative Ansatz eines modularen Qualitäts- und Risikomanagements wird in keinem anderen Fachgebiet so konsequent verfolgt wie in der Intensivmedizin.

Externer Vergleich mit dem Kerndatensatz Intensivmedizin

Schon 1995 hat die DGAI Mindestinhalte und Ziele der Dokumentation im Bereich Intensivmedizin publiziert [21] und mit erheblichem finanziellen Aufwand multizentrisch evaluiert. Im Jahre 2004 wurde dann der erste von den Präsidien verabschiedete Kerndatensatz Intensivmedizin publiziert [16]. Eine erneute Überarbeitung erfolgte 2010 [24]. Hierbei handelte es sich im Wesentlichen um eine Anpassung folgender Aspekte:

  • Reduktion des Dokumentationsaufwands durch Beschränkung auf die routinemäßig erhobenen Daten.

  • Beschränkung auf Patienten mit einer Intensivtherapieliegedauer von mindestens 24 Stunden.

  • Erfassung von strukturellen Merkmalen.

  • Implementierung der Qualitätsindikatoren der DGAI und DIVI sowie des SAPS 3 (Simplified Acute Physiology Score).

Damit bietet der Kerndatensatz Intensivmedizin 2010 folgende Möglichkeiten:

  • Standardisierte Erfassung von Daten, die für die Bewertung der Qualität intensivmedizinischer Versorgung relevant, messbar, verständlich und beeinflussbar sind.

  • Vergleich in einem Benchmarking.

  • Risikostratifizierung für Sterblichkeit.

  • Interpretation und Bewertung potenzieller Qualitätsprobleme aufgrund der Darstellung im Benchmarking mit anderen Abteilungen.

Um an den Auswertungen teilzunehmen, werden die anonymisierten Datensätze an die Sektion Qualitätsmanagement und Ökonomie der DIVI übermittelt und es wird ein jährlicher Report erstellt, der die eigene Abteilung im Vergleich mit den anderen teilnehmenden Abteilungen darstellt.

Alternativ können der gesamte Datensatz oder Teile des Datensatzes an das Projekt Qualitätssicherung Intensivmedizin der Landesärztekammer Tübingen übermittelt werden. Die Ergebnisse müssen in der Abteilung interdisziplinär besprochen und entsprechende Maßnahmen bei Auffälligkeiten eingeleitet werden.

Regionale Netzwerke

In den letzten Jahren gab es einen deutlichen Erkenntnisfortschritt in der Diagnose und Therapie intensivmedizinischer Krankheitsbilder. Nachweislich ist es möglich, durch die Anwendung dieser evidenzbasierten Maßnahmen die Patienten effektiver zu behandeln und das Outcome zu verbessern. Es ist jedoch auch schwierig, das vorhandene Wissen in der täglichen Praxis umzusetzen. Um die Einführung evidenzbasierter Medizin in die tägliche Praxis zu vereinfachen, wurden regionale Netzwerke aufgebaut (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Informationen zu den intensivmedizinischen Qualitätsindikatoren, dem Peer-Review-Verfahren und Ansprechpartnern in den Netzwerken können unter http://www.nequi.de abgerufen werden. (Mit freundl. Genehmigung des Netzwerks Qualität in der Intensivmedizin)

Durch Erfahrungsaustausch, Entwicklung gemeinsamer SOPs (Standard Operating Procedures) und Problembesprechung sowie gegenseitige Unterstützung können die einzelnen Teilnehmer innerhalb des Netzwerks in ihren eigenen Abteilungen die Implementierung evidenzbasierter Verfahren schneller vorantreiben. Aber auch die Kenntnis der unterschiedlichen angebotenen Verfahren auf den einzelnen Intensivstationen ermöglicht eine wohnortnahe Versorgung der schwerkranken Patienten. Nicht zu unterschätzen ist die Entwicklung eines Vertrauensverhältnisses untereinander.

Qualitätsindikatoren

Erfassung der täglichen Routine

Der erste Schritt zum Qualitätsbewusstsein ist die Bereitschaft, den eigenen Tätigkeitsbereich transparent machen zu wollen. Hundertprozentige Offenlegung ist hierbei weder gewollt noch zweckmäßig. Aus Gründen der Effizienz ist es sinnvoll, sich einer überschaubaren und repräsentativen Menge von Faktoren und Prozessen zu widmen, die Einfluss auf die Ergebnisqualität haben. Im Fall der Intensivmedizin stellt z. B. das Patienten-Outcome eine sinnvolle Ergebnisqualität dar. Das Problem besteht darin,

  1. 1.

    die wesentlichen Faktoren und Prozesse zu evaluieren und

  2. 2.

    diese anhand von Qualitätsindikatoren in eine greifbare Form zu bringen.

Die Indikatoren sollen den Umsetzungsgrad von Inhalten in eine mathematisch darstellbare Form bringen [1]. Ohne eine solche Information lassen sich keine positiven oder negativen Effekte belegen. Ohne Indikator gibt es keinen „Check“ im sog. PDCA-Zyklus („plan, do, check, act“; [8]). Selbstverständlich soll es sich hierbei um erreichbare Ziele handeln. Klare Definitionen und Abgrenzungen der Qualitätsindikatoren sind notwendig, um Verständlichkeit und Relevanz zu erzielen (sog. RUMBA-Regel: „relevant, understandable, measurable, behaviourable, achievable“).

Qualitätsindikatoren bilden inhaltlich etwas ab, das die Dimension von Struktur-, Prozess- oder Ergebnisqualität haben kann [12]. Ein Indikator kann dabei mehrere Dimensionen gleichzeitig abbilden, z. B. eine Struktur- und eine Prozessqualität.

Qualitätsindikatoren verfügen über eine begrenzte Gültigkeitsdauer (z. B. 2 Jahre). Experten sollen sich durch diese begrenzte Gültigkeit regelmäßig mit den Inhalten auseinandersetzen und die Indikatoren entweder für weiterhin gültig erklären oder neue Indikatoren hinzufügen. Innovationsmanagement erhält auf diese Weise eine Grundlage und wird mutmaßlich beschleunigt.

Entwicklung der Indikatoren

Systematisch haben sich zuerst die Intensivmediziner der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore mit der Frage beschäftigt, wie man intensivmedizinischen Alltag auf evidenter Basis beschreiben und beurteilen kann [19]. In einem Expertennetzwerk aus 13 Einrichtungen hat man sich dieses Problems angenommen. Das Vorgehen der amerikanischen Kollegen basiert auf folgenden Schritten:

  • Recherche von wissenschaftlicher Literatur,

  • Evaluation von Outcome-Daten auf Intensivstationen,

  • Feldversuche anhand von Pilotindikatoren,

  • Definition bzw. Standardisierung der Erfassungsmodalitäten,

  • Prüfung von Validität und Reliabilität,

  • Test der ausgewählten Indikatoren.

Es sollte eine überschaubare und handhabbare Menge von Indikatoren gefunden werden, die die Kernprobleme der Intensivmedizin adäquat abbilden. Aus einer Vielzahl von Faktoren hat man sich auf 17 Parameter geeinigt, die organisatorische und medizinische Prozesse, Patienten-Outcome und übliche Komplikationen abbilden.

Analog zu diesem Vorgehen haben niederländische Intensivmediziner anhand der Rahmenbedingungen ihres Landes 12 Qualitätsindikatoren definiert [11]. Die spanische Gesellschaft für Intensivmedizin (SEMICYUC) hat 120 Qualitätsindikatoren entwickelt [15], was im Hinblick auf die Handhabbarkeit sehr hoch ist. Die Methodik und Beschreibung der Indikatoren wird allerdings höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht und war für die DGAI beispielgebend bei der Entwicklung von 10 Indikatoren, die von einem wissenschaftlichen Gremium erarbeitet wurden und von anderen Fachgesellschaften (DGIIN, DIVI) ebenfalls für gültig erklärt wurden. Die Indikatoren wurden 2010 mit den jeweils zu Grunde liegenden Quellen publiziert [6]. Diese Indikatoren sind bis zum Jahreswechsel 2012/2013 gültig und werden von den Fachgesellschaften unter der Federführung der DIVI regelmäßig wissenschaftlich überarbeitet:

Qualitätsindikator I – Oberkörperhochlagerung

Die Diskussion um die Bedeutung der Oberkörperhochlagerung von beatmeten Patienten zur Prävention ventilatorassoziierter Pneumonien wird weiterhin aktiv geführt [14]. Die Studienlage wird daher weiter überprüft. Die Anwendung dieser Lagerung setzt voraus, dass keine Kontraindikationen gegen diese bestehen.

Qualitätsindikator II – Monitoring von Sedierung, Analgesie, Delir

Rationale Analgosedierung und Diagnose und Behandlung des Delirs in der Intensivmedizin reduzieren Morbidität, Mortalität und Verweildauer der Patienten auf der Intensivstation. Die Evidenzlage ist in der S3-Leitlinie systematisch ausgearbeitet [10].

Qualitätsindikator III – Lungenprotektive Beatmung

Die lungenprotektive Beatmung ist bei Patienten im Lungenversagen relevant für das Outcome. Die aktuelle Entwicklung von unterschiedlichen Beatmungstechniken oder extrakorporalen Verfahren wird in nächster Zukunft die Datenlage sicherlich erweitern.

Qualitätsindikator IV – Weaningprotokoll mit Spontanatmungsversuch

Dieses Arbeitsbündel hängt engmaschig mit dem Analgosedierungsbündel zusammen, denn das strukturierte Weaning setzt kooperative Patienten voraus. Ebenfalls wird derzeit ein protokollbasiertes Weaning diskutiert. In diesem Kontext muss die Ressource Personal (quantitativ und qualitativ) mit bedacht werden, die zum Entwöhnen zur Verfügung steht [20].

Qualitätsindikator V – Frühzeitige und adäquate Antibiotikatherapie

Kein Zweifel besteht über die Bedeutung der zeitnahen Diagnostik und frühen Therapie von Infektionen. Hierzu sind Maßnahmenbündel erforderlich, die komplex sind, aber im Resultat darauf abzielen müssen, die Zeit vom Erkennen einer Infektion bis zum (kalkulierten) Behandeln transparent zu machen. Die adäquate Therapie kann unterstützt werden durch Spezialprogramme, die online verfügbar sind, wie das sog. ABx-Programm [1], welches mit Hilfe von infektiologischen Pfaden die frühzeitige, effektive antiinfektive Therapie für jede Intensivstation ermöglicht.

Qualitätsindikator VI – Therapeutische Hypothermie nach Herzstillstand

Die kontrollierte Kühlung nach Reanimation im Alltag zu etablieren ist eine Herausforderung, nicht zuletzt auch deswegen, weil die effektive Hypoxiezeit (prähospital wie auch hospital) meist unterschätzt wird!

Qualitätsindikator VII – Frühe enterale Ernährung

Zum Thema der evidenzbasierten enteralen und parenteralen Ernährung gibt es Leitlinien, die derzeit überarbeitet werden. Frühe enterale Ernährung ist relevant für das Outcome und Fehlernährung ist ein Problem der klinischen Medizin überhaupt. Die Ernährung über Sonde ist darüber hinaus Bestandteil der Prophylaxe eines Stressulkus, wie sie in der Indikatorenliste der Johns-Hopkins-Universität erscheint.

Qualitätsindikator VIII – Dokumentation von Angehörigengesprächen

Absprachen mit Patienten oder Angehörigen sind häufig nicht in Krankenakten dokumentiert, was auf Intensivstationen zu Verwirrung darüber führt, welche Information kommuniziert und welche Maßnahmen erläutert wurden. Die Unkenntnis über solche Informationen führt zu Reibungsverlusten im Alltag und zu einem Verlust der Behandlungsqualität. Es fördert die Vertrauensbildung mit den Patientenangehörigen und deren positiven Umgang mit Trauer, wenn gemeinsame Absprachen und Zielsetzungen dokumentiert und damit transparent sind [3, 25].

In Deutschland besteht zudem über das am 01.09.2009 in Kraft getretene Patientenverfügungsgesetz die gesetzliche Verpflichtung, den Patientenwillen zu respektieren. Die Evaluation des mutmaßlichen Patientenwillens kann nur mit Hilfe von Angehörigen erfolgen, sofern keine schriftlichen Festlegungen existieren. Dokumentierte Angehörigengespräche haben damit auch medizinrechtliche Bedeutung.

Qualitätsindikator IX – Händesdesinfektionsmittelverbrauch

Die Entstehung von multiresistenten Krankheitserregern wird durch den Mangel an Händedesinfektion begünstigt und die Hand ist der wichtigste Vektor bei der Übertragung von Erregern. Da pro Intensivbett pro Tag eine hochrechenbare Anzahl von Prozessen mit Patientenkontakt anfällt, die jeweils eine Händedesinfektion erfordern (etwa 3–5 ml pro Desinfektion), ist der Verbrauch von Händedesinfektionsmittel eine fassbare Größe. Die Daten, die den Berechnungen zugrunde liegen, sind gut publiziert und Bestandteil der WHO-Leitlinie zur Händehygiene (Aktion saubere Hände). Der Desinfektionsmittelverbrauch ist damit ein wichtiger Indikator für einen Prozess mit größter Bedeutung für den Patienten.

Qualitätsindikator X – 24-stündige Besetzung der Intensivstation mit Experten

Die Besetzung einer Intensivstation mit erfahrenem und intensivmedizinisch ausgebildetem ärztlichem und pflegerischem Personal hat einen Einfluss auf das Outcome der Patienten, hierzu gibt es gute Untersuchungen. Nicht zuletzt hängt die praktische Umsetzung evidenter Maßnahmen an qualifiziertem Personal.

Der Sinn von Peer-Reviews

Es sind die klinischen Alltagsprozesse, die Reibungsverluste erzeugen und Optimierung erfordern. Dabei wird in einem so prozess- und schnittstellenreichen Bereich wie der Intensivmedizin das Thema Qualität für die vital eingeschränkten Patienten zu einer existenziellen Angelegenheit [17].

  • Bekommt der Patient von uns das, was gut, sinnvoll und evident ist?

  • Bekommt der Patient in praxi von uns wirklich das, was wir glauben?

Diese Fragen sollten im Fokus stehen, wenn es darum geht, sich mit Qualität in der (Intensiv)Medizin auseinander zu setzen. Einerseits vergehen im Durchschnitt 17 Jahre von der Entdeckung effektiver Therapien in der Medizin bis zu deren routinemäßigem Einsatz am Krankenbett [13], andererseits wachsen die Erkenntnisse darüber, welche Prozesse im klinischen Alltag für Patienten (und Personal) auf Intensivstationen zum Risiko werden [22].

Der Anspruch an ein effizientes Qualitätsmanagement sollte es sein, die Mediziner dabei zu unterstützen, evidentes Wissen im Alltag zu etablieren und Fehler zu erkennen und zu vermeiden. Die Kernprozesse der eigenen Tätigkeit müssen Inhalt des Qualitätsmanagements sein. Diesem Anspruch können klassische Tools des Qualitätsmanagements wie Zertifizierungen nicht gerecht werden. Zertifizierungen, egal welchen Verfahrens, sind meist darauf angelegt, das Vorhandensein von Strukturen zu erfragen. Prozesse werden hierbei so gut wie gar nicht evaluiert. Prozesse lassen sich am besten von denen beurteilen, die umfangreiche und vielfältige Erfahrungen mit den Inhalten dieser Prozesse gesammelt haben, nämlich den Fachleuten eines Fachgebiets. Nur sie sind in der Lage, Kennzahlen und Indikatoren im Kontext richtig zu interpretieren.

Es erscheint daher sinnvoll, die Intensivstationen und ihren Alltag nicht von Zertifizierungsorganisationen sondern von den Intensivmedizinern selbst bewerten zu lassen. Strukturierte Selbstbewertung und, um Betriebsblindheit zu überwinden, die Fremdbewertung durch Kollegen aus anderen Einrichtungen, sind zwei Methoden, um sinnvolle Analysen zu erstellen und sinnvolle Maßnahmen einzuleiten. Dieses Vorgehen beschreibt eine hoch effiziente Art, Qualität zu sichern und zu verbessern. Kollegen, die sich freiwillig gegenseitig bewerten, nennt man „peers“ (Gleiche, Ebenbürtige; im Deutschen gibt es keinen adäquaten Begriff). Das Verfahren dieser kollegialen Fremdbewertung nennt man Peer-Review. Im Gegensatz zu einem Zertifizierungsaudit, in dessen Vorfeld häufig polypragmatisch Maßnahmen zur Erfüllung des Katalogs getätigt werden, sollen Maßnahmen zur nachhaltigen Qualitätsverbesserung erst nach einem Peer-Review (Tab. 1) durchgeführt werden, da man sich hiervon gegenseitige Inspiration und pragmatische Ideen verspricht.

Tab. 1 Ablauf eines intensivmedizinischen Peer-Reviews

Peers befinden sich auf Augenhöhe. Gegenseitiger Respekt, die Bereitschaft voneinander lernen zu wollen und das Prinzip des „no blame“ bestimmen das Miteinander, bewusst Problembereiche zu erkennen und zu benennen, ohne zu disqualifizieren, sondern sich gegenseitig zu helfen, besser zu werden.

Die Arbeitsgruppe für Qualitätsverbesserung der European Society for Intensive Care Medicine (ESICM) beschreibt für die Europäischen Intensivstationen die Selbst- und Fremdbeurteilung der Einrichtung als sinnvolle Maßnahme des Qualitätsmanagements [23]. Die Bundesärztekammer hat ein Curriculum zum Peer-Review verfasst, auf dessen Grundlage die Kultur der gegenseitigen Unterstützung beim Besserwerden erlernt werden soll [8].

Intensivmedizinisches Peer-Review

Das intensivmedizinische Peer-Review-Verfahren hat sich in Deutschland als „Bottom-up-Verfahren“ in freiwilligen Netzwerken von Intensivmedizinern in Baden-Württemberg, Hamburg und Berlin-Brandenburg entwickelt. Es wurde als Pilotprojekt mit Unterstützung von der DGAI und dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) zu einem einheitlichen Verfahren standardisiert [4] und in Folge auch von der DIVI und der DGIIN unterstützt. Durch diese Entstehungsweise unterscheidet sich dieses Verfahren vom Peer-Review-Verfahren der Initiative Qualitätsmedizin (IQM), bei dem auf der Grundlage von Krankenakten Problemfelder im Krankenhaus aufgedeckt werden sollen.

Medizinisches Wissen und bewährte, leitlinienorientierte Standards sollen dem Patienten zu Gute kommen. Für die Intensivmedizin relevante Faktoren werden beim intensivmedizinischen Peer-Review in einem „100-Fragen-Bogen“ gebündelt [18]. Inhaltlich geht es u. a. darum, wie Fehler als Bestandteil der Qualitätsverbesserung bearbeitet werden, wie Innovationen dem Mitarbeiter zugänglich gemacht werden, wie Kommunikation gelebt wird oder welche Fortbildungsmöglichkeiten bestehen. Im Fokus stehen die intensivmedizinischen Qualitätsindikatoren.

Der 100-Fragen-Bogen soll zunächst Grundlage einer Selbstbewertung der Ärzte und Pflegekräfte einer Intensivstation sein. Erst nachdem die Verantwortlichen einer Intensivstation sich anhand des Fragebogens selbst bewertet haben, erfolgt die vertrauliche Fremdbewertung durch die Peers. Hierbei handelt es sich um zwei erfahrene Intensivmediziner mit Zusatzbezeichnung und eine erfahrene intensivmedizinische Fachpflegekraft. Das Reviewer-Team ist damit multiprofessionell und sollte sich aus Peers von drei verschiedenen Kliniken zusammensetzen. Ein ärztlicher Vertreter der zuständigen Landesärztekammer kann mit Zustimmung der Beteiligten am Peer-Review teilnehmen. Dieses dauert einen Tag und erfordert ein gutes Zeitmanagement aller Beteiligten.

Im Konsens bewerten die Peers eine Einrichtung auf der Basis des 100-Fragen-Bogens sowie einer bettseitigen Begehung der Einrichtung. Der mit allen Beteiligten diskutierte Abschlussbericht ist in Form einer klassischen Stärken-, Schwächen-, Chancen- und Risiken-Analyse (SWOT-Analyse) verfasst und wird dem Leiter der Intensivstation nach dem Peer-Review zur Verfügung gestellt. Der jeweilige Chefarzt bespricht den vertraulichen Bericht intern, um eine erforderliche „To-do-Liste“ zu erstellen. Bei dieser Form des Peer-Reviews ist das gesamte Verfahren in den Händen von Intensivmedizinern und Fachpflegekräften. Es gibt keinen konkreten Anlass, der ein intensivmedizinisches Peer-Review anstößt, es wird vom Chefarzt freiwillig bei der zuständigen Landesärztekammer angefordert.

Beim intensivmedizinischen Peer-Review findet ein Gegenbesuch statt, d. h. die als Reviewer tätigen Peers werden ihrerseits durch Peers in ihrer jeweiligen Einrichtung bewertet. Die Organisation der intensivmedizinischen Peer-Reviews ist in die Regie der zuständigen Landesärztekammer übergegangen, die als zentrale Anlaufstelle Peers und Kliniken vermitteln und die Schulungen zum Peer gemäß dem Curriculum der Bundesärztekammer schult.

Die Schulung zum Peer ist notwendige Voraussetzung, um qualitativ hochwertige Peer-Reviews in der Fläche zu ermöglichen. Die hohe fachliche Qualität des Peers ist die Eingangsvoraussetzung. Die Fähigkeit, auch in Situationen mit inhaltlichem Dissens ausgleichend, sachbezogen und zielorientiert zu agieren, soll im Rahmen der Schulung zum Peer trainiert werden.

Fazit

  • Qualitätsindikatoren in der Intensivmedizin sind effektive Evaluationsinstrumente um Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität beurteilen zu können; sie sind Voraussetzungen für ein effizientes, sachbezogenes Qualitätsmanagement.

  • Die Qualitätsindikatoren sollen als Grundlage der Selbstbewertung (1. Schritt) und der Fremdbewertung durch Peer-Reviews (2. Schritt) verwendet werden, um Qualität in der Intensivmedizin aktiv zu verbessern.

  • Dieses strukturierte Vorgehen stellt eine hocheffiziente und lebendige Form des Qualitätsmanagements dar und fördert zugleich ein Bewusstsein dafür, sich gegenseitig zu bereichern und voneinander zu lernen, mit dem Vorsatz, sich gemeinsam weiterzuentwickeln [5].