Zusammenfassung
In Form einer einzelkasuistischen Studie wurde versucht, eine Reihe von psychosomatischen Wechselwirkungen aufzuschlüsseln, die im Zusammenhang mit einem Hirntrauma aufgetreten sind. Nach einem verhältnismäßig leichten Commotionssyndrom war es zur Entwicklung von Asthma, Tetanie, Epilepsie, hypophysärer Kachexie, Störungen der Wach- und Schlafregulation, des Vasomotorium, des Kohlenhydratstoffwechsels, Wasserhaushaltes usw. gekommen, in enger Gemeinschaft mit einer fortschreitenden Persönlichkeitsveränderung von der Fremd-, über die Rand-, bis zur Schichtneurose, die am Ende einer 9 jährigen Beobachtungszeit das Krankheitsbild zur Hauptsache beherrscht. Ein pathologischer Rauschzustand nach geringfügigem Alkoholgenuß wird beschrieben, in dessen Auflösungsskala ein ausgeprägtes, wesensfremdes manisch-depressives Syndrom in Erscheinung trat. Die Bedeutung der Konstitution für die Pathogenese, hier in Gestalt der „konstitutionellen Nervosität“, wird besonders hervorgehoben und beweiskräftig gemacht. Demgegenüber treten lokalisatorische Gesichtspunkte zurück. Es kann nahegelegt werden, daß im vorliegenden Fall eine konstitutionelle Schwäche des Hypophysen-Zwischenhirnsystems mit besonderer Störanfälligkeit des vegetativen Systems vorgelegen hat, für die das Hirntrauma den teils vorübergehend, teils dauernd wirksamen Dekompensationsfaktor dargestellt hat. Es soll dadurch angeregt werden, die Frage nach der prämorbiden Konstitution ganz allgemein bei all den Fällen öfters zu stellen, die ein Mißverhältnis zwischen Art und Schwere des Hirntraumas und seinen Folgeerscheinungen zeigen. Im Speziellen müßte die „konstitutionelle Nervosität“ mit ihren vielgestaltigen Erscheinungsbildern dabei mehr in Erwägung gezogen und in ihren Einzelformen genauer herausgearbeitet werden, wie es Kretschmer angeregt hat.
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Besonderen Dank schulde ich Frau Dr. F. Schäfer und Herrn Dr. W. Henn, dessen langjährige, sorgsame Krankenbeobachtung für die Abfassung der Arbeit sehr förderlich war.
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Lohmann, R. Über einen Fall von Asthma, Tetanie-Epilepsie mit anderen vegetativ-endokrinen Regulationsstörungen und neurotischer Wesensveränderung nach Hirntrauma. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift f.d.ges.Neurologie 195, 607–626 (1957). https://doi.org/10.1007/BF00343134
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