Zusammenfassung
Der Beitrag gibt Einblick in den Schulalltag einer Gesamtschule im Ganztagsbetrieb und eröffnet Perspektiven auf schulische Digitalisierung aus Sicht von Lehrkräften und Schüler_innen sowie auf mögliche schulkulturelle Veränderungspotentiale. Am Beispiel der Smartphone-Nutzung werden Praktiken von Schüler_innen und Lehrkräften nachgezeichnet, in welchen das Medium Smartphone als zentraler Aushandlungsgegenstand fungiert. Anhand ethnographisch erhobener Daten offenbart sich, dass angesichts des schulweiten Smartphone-Verbots seitens der Schüler_innen Reflexionsprozesse hinsichtlich eines situationsspezifisch flexiblen Umgangs angeregt werden, während Lehrkräfte primär der Einhaltung des Verbots nachgehen und die möglichen Folgen einer anstehenden Änderung der Nutzungsregeln für Smartphones diskutieren. Geleitet wird der Beitrag von der Frage, wie sich Ganztagsschulkultur vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Digitalisierung gestaltet und wie diese Prozesse im Kontext doing school culture anhand ethnographischer Forschungsmethoden eingeholt werden können.
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Notes
- 1.
Allgemeinbildende Schulen in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland – Statistik 2014–2018, Kultusministerkonferenz, 27.03.2020: https://www.kmk.org/dokumentation-statistik/statistik/schulstatistik/allgemeinbildende-schulen-in-ganztagsform.html (letzter Zugriff 24.08.2021).
- 2.
Die ethnographischen Daten stammen aus einem einjährigen Feldaufenthalt im Rahmen meiner Dissertation zu Materialität und Geschlecht an Ganztagsschulen (vgl. Schülein 2022).
- 3.
Marita Kampshoff verwendet den Begriff des doing pupil für die Beschreibung des ‚Tuns‘ von Schüler_innen als interaktiven Herstellungsprozess, der an schulische Ordnungen geknüpft ist. Daran anlehnend nutze ich doing school culture, um die konstruktivistische Lesart und die Herstellung von Schulkultur durch die Akteur_innen selbst zu betonen (vgl. Kampshoff 2000).
- 4.
Meine ethnographische Forschung erfolgt vor dem Hintergrund der kritischen Selbstreflexion der Ethnologie. Dies umfasst die Prämisse, Beschreibungen als erste Interpretationen bzw. nicht frei von interpretativen Anteilen der beschriebenen Situationen zu verstehen. Somit sind Situationsbeschreibungen immer schon auch Interpretationen von Situationen (vgl. Berg und Fuchs 1993). Ebenso verstehe ich Teilnehmende Beobachtungen als selektiv und komplexitätsreduzierend, weshalb es der Reflexion dieses Selektionsprozesses bedarf (vgl. Schülein 2022).
- 5.
Ich beziehe mich auf ein ethnographisches Verständnis von Rekonstruktion, das in diesem Beitrag im rekonstruktiven Charakter von Feldprotokollen als primäres Datenmaterial vor dem Hintergrund der Verschränkung von Beschreibung und Interpretation sowie der Anbindung an den disziplinären Diskurs abgebildet wird (vgl. Breidenstein et al. 2020, S. 215).
- 6.
Die Schreibweise wechselt bewusst zwischen unterschiedlichen ethnographischen Darstellungsformen von Präsentationsmodi, die auch das erzählende Ich zum Ausdruck der Verinnerlichung von Feldregeln und des körperlichen Einschreibens verwendet. Einfache Anführungszeichen kennzeichnen die Feldsprache ergo Feldbegriffe und -zitate. Sie dienen zur Abgrenzung von mit zweifachen Anführungszeichen markierten Zitaten aus wissenschaftlicher Literatur (vgl. Schülein 2022). Das Datenmaterial wurde vollständig anonymisiert.
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Schülein, J. (2022). Smartphones im Schulalltag: Zentraler Aushandlungsgegenstand im schulkulturellen Transformationsprozess. In: Kuttner, C., Münte-Goussar, S. (eds) Praxistheoretische Perspektiven auf Schule in der Kultur der Digitalität. Schule und Gesellschaft, vol 62. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35566-1_16
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