Mit „Educational Governance“ ist die Hoffnung verbunden, durch die Implementierung neuer Steuerungsinstrumente pädagogische Probleme zu lösen (Ratermann und Stöbe-Blossey 2012). Eine der dringlichsten pädagogischen Herausforderungen besteht derzeit in Deutschland darin, den Zusammenhang zwischen der Bildungsbiografie eines Kindes und seiner sozialen und/oder ethnischen Herkunft aufzubrechen. Auf der Suche nach geeigneten Handlungsstrategien zum Abbau der bestehenden Bildungsdisparitäten ist der frühkindliche Bildungsbereich zunehmend in den Fokus der Auseinandersetzungen gerückt. Bildungsgerechtigkeit wird als eine zentrale pädagogische Leitkategorie für die frühpädagogischen Institutionen formuliert (BJK 2008; KMK 2002). In der Konsequenz wurden in den vergangenen Jahren im Elementarbereich zahlreiche Maßnahmen implementiert, die – zumindest auch – der Förderung benachteiligter Kinder dienen sollen. Neben z. B. der Einführung von Bildungsplänen, dem quantitativen Ausbau des Angebots für Kinder unter drei Jahren, der qualitativen Weiterentwicklung der pädagogischen Einrichtungen oder der Höherqualifikation des Fachpersonals werden dabei auch neue Formen der Finanzsteuerung diskutiert und erprobt (Betz et al. 2010; Hogrebe et al. 2011).

Als Bestandteil einer politischen Regulierung von Rahmenbedingungen nimmt die Ressourcenallokation jedoch nicht unmittelbar Einfluss auf die pädagogische Praxis selbst. Finanzierungsinstrumente ermöglichen allenfalls eine indirekte Steuerung der pädagogischen Arbeit. Gerade im komplexen Feld pädagogischer und sozialer Beziehungsgefüge, so Böttcher und Merchel (2010), sei es kaum möglich, die Qualität der Prozesse innerhalb von Organisationen von außen direkt zu steuern. Es wäre also empirisch zu prüfen, ob die gesetzten Impulse tatsächlich zu dem gewünschten Ergebnis führen. Aus ökonomischer Perspektive orientiert sich eine Bewertung der Ressourcenallokation dabei nicht nur am Grad der Zielerreichung (Effektivität), sondern auch daran, mit welchem Mitteleinsatz sie realisiert wird (Effizienz). Eine Antwort auf beide Fragestellungen lässt sich allerdings nur dann finden, wenn die zu erreichende Zielkategorie hinreichend präzise definiert ist.

Vor diesem Hintergrund befasst sich der vorliegende Beitrag damit, Bildungsgerechtigkeit als Zieldimension für die pädagogische Arbeit im Elementarbereich zu bestimmen (Abschn. 1). Darauf folgend diskutieren wir bedarfsorientierte Finanzierung von Kindertageseinrichtungen als potentiell wirkungsvolles Instrument zum Erreichen dieser Zielkategorie (Abschn. 2). Hieran schließt sich die empirische Bewertung einer wesentlichen Voraussetzung für die Entfaltung dieses Wirkpotentials an: die zutreffende Beschreibung und Erfassung des Ressourcenbedarfs der Leistungsempfänger. Am Beispiel der Stadt Münster wird der Bedarfsindikator des Sozialraums einer kritischen Prüfung im Hinblick auf Effektivität und Effizienz unterzogen (Abschn. 3). Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden diskutiert und Konsequenzen aufgezeigt (Abschn. 4).

1 Bildungsgerechtigkeit als Zieldimension

Bereits seit einigen Jahren ist die Problematisierung ungleicher Bildungs- und Lebenschancen in Deutschland – man muss sagen: wieder – ein populäres Thema der Bildungs- und Sozialpolitik. „Bildungsgerechtigkeit“ ist das Schlagwort, das heute in diesem Zusammenhang die Diskussionen bestimmt. Wenngleich die Förderung von Bildungsgerechtigkeit als pädagogische Leitkategorie sowohl im fachpolitischen als auch fachwissenschaftlichen Diskurs uneingeschränkte Akzeptanz erfährt, ist das Konzept mit einer erheblichen sprachlichen und inhaltlichen Unschärfe besetzt (Becker 2009; Brenner 2010; Giesinger 2007; Heckhausen 1981; Hopf 2010). Oder andersherum: Vermutlich erfährt die Vorstellung von mehr Bildungsgerechtigkeit gerade deshalb so viel Zustimmung, weil der Begriff zahlreiche Deutungszugriffe ermöglicht und Interpretationsspielräume eröffnet.

Für eine Bewertung, ob der Einsatz von Finanzierungsinstrumenten zur Erreichung dieser Zielkategorie beiträgt, ist eine solch vage Definition hingegen nicht brauchbar. Um das Schlagwort „Bildungsgerechtigkeit“ für ein entsprechendes Vorhaben „wissenschaftsfähig“zu machen, ist ein Blick auf den Entstehungskontext der Diskussionen aufschlussreich. Ausschlaggebend waren hier unter anderem die Ergebnisse des Programm of International Student Assessment (PISA), die auf die ungleichen Bildungschancen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen hingewiesen haben (z. B. Klieme et al. 2010; PISA-Konsortium Deutschland 2008). Der hier statistisch beobachtete Zusammenhang zwischen familiärer Herkunft und Kompetenzerwerb beschreibt Ungleichheitsverhältnisse in Bezug auf das Erreichen bestimmter Kompetenzen, die für die Teilhabe an der heutigen Gesellschaft für unverzichtbar erachtet werden. Wenn diese Ungleichheiten als ungerecht empfunden werden, lässt sich Bildungsgerechtigkeit im Umkehrschluss als das Erreichen eines – wie auch immer konkretisierten – Bildungsmindestniveaus aller Menschen interpretieren, das ihnen ausreichende Lebens- und Partizipationschancen in der Gesellschaft ermöglicht (vgl. hierzu ausführlicher Hogrebe 2012; 2014).

Eine solche Definition von Bildungsgerechtigkeit erfährt durchaus Zustimmung im wissenschaftlichen Diskurs. Brenner (2009, S. 41) spricht beispielsweise davon, dass der Staat seine Bildungseinrichtungen in die Lage versetzen müsse, jedem Einzelnen ein nicht zu geringes Minimum an Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln. Auch Giesinger (2007) formuliert auf ähnliche Weise eine „Schwellenkonzeption“ von Bildungsgerechtigkeit, bei der Kindern ein gleicher Bildungsstand ermöglicht werden solle. Alle Kinder sollen ihm zufolge ein Kompetenzniveau erreichen, dass ihnen ein „gedeihliches Leben“ (S. 377) ermögliche. Heckhausen (1981) hat bereits vor einigen Jahrzehnten die Idee eines „Sockelniveaus“ entworfen. Er beschreibt eine gerechtigkeitsorientierte Politik bzw. Pädagogik so, dass im Hinblick auf eine notwendige „Grundausstattung“ aller Menschen das Prinzip der Gleichheit eingefordert werden müsse, das extreme Unterschiede im Hinblick auf Bildungsergebnisse begrenze.

Auch wenn Bildungsgerechtigkeit in diesen Ansätzen aus einer ergebnisorientierten Perspektive definiert wird, darf die Frage nach den Verfahren zur Ergebniserreichung nicht außer Acht gelassen werden. Denn die Frage nach Gerechtigkeit bezieht sich grundsätzlich auf ein komplexes Zusammenspiel von Ausgangsbedingungen, Verfahren und Ergebnissen, wobei ein gerechtes Verfahren auch ungerechte Ergebnisse hervorbringen kann (vgl. hierzu Heid 1988). Ist es also das Ziel politischer bzw. pädagogischer Anstrengungen, zumindest bis zu einem gewissen Mindestniveau gleiche oder wenigstens tendenziell gleichere Bildungsergebnisse hervorzubringen, ist auf ungleiche familiäre Ausgangsbedingungen von Kindern ungleich zu reagieren (vgl. Tab. 1). Anders formuliert: Für benachteiligte Kinder sind kompensierende Verteilungsverfahren heranzuziehen, damit sie vergleichbare Bildungsergebnisse erreichen können wie nicht benachteiligte Kinder. Dieses Verteilungsprinzip, das sich an der Bedürftigkeit der Kinder orientiert, sichere laut Hopf (2010) die Bildungschancen für diejenigen, die unter besonderer Ressourcenarmut leiden. Eine solche „korrektive Gerechtigkeit“ bedeutet also den Ausgleich von Ungleichheit, eine „Kompensationspflicht“ oder „Auffangverantwortung für Benachteiligte“ (Zirfas 2008, S. 24).

Tab. 1 Verteilungsverfahren und Verteilungsergebnisse. (Quelle: Heid 1988)

Im Hinblick auf diese Kompensationsbemühungen gerät der frühkindliche Bildungsbereich zunehmen in den Fokus. Denn die beobachteten Unterschiede in den Bildungserfolgen zwischen verschiedenen sozialen und/oder ethnischen Bevölkerungsgruppen gehen zu einem bedeutenden Teil auf Unterschiede zurück, die bereits beim Schuleintritt bestehen. Gerade in den ersten Lebensjahren vor Schuleintritt bilden sich herkunftsbedingte Leistungsunterschiede heraus, die anschließend bis ins junge Erwachsenenalter bestehen bleiben (Cunha und Heckman 2007; Weinert et al. 2010). Eine zunehmende Zahl an Forschungserkenntnissen insbesondere aus dem neurobiologischen und entwicklungspsychologischen Bereich, aus der Verhaltensforschung, der Hirnforschung sowie auch den Sozialwissenschaften stützen diese statistisch beobachteten Zusammenhänge bezüglich der Leistungsentwicklung von Kindern. Insgesamt verweisen die Erkenntnisse auf die Bedeutung der frühen Lebens- und Lernerfahrungen von Kindern (Knudsen et al. 2006; Shonkoff und Bales 2011; Shonkoff und Phillips 2000).

Es ist offensichtlich, dass eine frühkindliche Pädagogik, die Ungleichheit mithilfe von kompensatorischen Bemühungen reduzieren will, Benachteiligten nicht weniger, sondern mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen muss (Böttcher 2005). Ein entsprechender pädagogischer Ansatz verlangt demnach auch eine Ressourcenallokation, die entsprechende Rahmenbedingungen für die Arbeit mit benachteiligten Kindern bereitstellt. Tietze et al. (2012, S. 15) plädieren vor diesem Hintergrund dafür, Kindertageseinrichtungen mit einem hohen Anteil an benachteiligten Kindern durch qualifiziertes Personal und günstige Rahmenbedingungen zu fördern. Im Sinne einer „positiven Diskriminierung“ könnten strukturelle Merkmale derart ausgestaltet werden, dass sie auf besondere pädagogische Herausforderungen ausgleichend wirken können.

Eine solche ungleiche, aber zielgerichtete Mittelverteilung im Bildungswesen wird im Rahmen der deutschen Fachdiskussion derzeit vielfach gefordert (Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2010; Bos et al. 2006; Bonsen et al. 2008; Böttcher 2008; Funke 2010; Hüsken 2011). Auch ein Blick auf aktuelle Entwicklungen hinsichtlich der Finanzsteuerung im Elementarbereich der einzelnen Bundesländer – zu der sich sowohl die Einführung der Gutscheinfinanzierung in Hamburg (2004) und Berlin (2005) zählen lassen als auch die Umstellung auf andere Formen der subjektorientierten oder pro-Kind Finanzierung in Bayern (2006) oder Nordrhein-Westfalen (2007) – zeigt, dass Bedarfsorientierung als Argument von den Befürwortern dieser neuen Finanzierungsregelungen eine ausschlaggebende Rolle spielt. Die neuen Mechanismen der Ressourcenallokation seien demnach besser in der Lage, den tatsächlichen Ressourcenbedarfen der frühkindlichen Bildungseinrichtungen und ihrer Klientel zu entsprechen (vgl. z. B. Krauß 2010; Nachmann, 2010; Strehmel 2010).

2 Bedarfsorientierte Finanzierung als Steuerungsinstrument

Die Ausgangsbasis einer bedarfsorientierten Finanzierung ist das Vorhandensein einer Grundfinanzierung, die für alle Leistungsempfänger gleich hoch ist. Unter der Annahme, dass einige von ihnen mehr finanzielle Mittel benötigen, wird diese Grundfinanzierung durch entsprechende Bedarfsindikatoren erhöht. Das Ziel distributiver Methoden ist hier, Finanzierungseinheiten – Personen oder Einrichtungen – mit gleichem Bedarf auch gleiche Ressourcen zur Verfügung zu stellen und unterschiedlichen Bedarfen durch ungleiche Ressourcenzuweisungen gerecht zu werden. Die beiden Hauptbestandteile einer Finanzierungsformel sind somit zum einen eine Basisfinanzierung und zum anderen Gewichtungsfaktoren für zusätzliche Bedarfsindikatoren. Die Zuweisung von finanziellen Mitteln auf der Grundlage unabhängiger Bedarfsindikatoren soll gewährleisten, dass die Ressourcenallokation gerecht(er) ist als andere Verteilungsverfahren, indem sie den tatsächlichen Ressourcenbedarf der Leistungsempfänger berücksichtigt (vgl. hierzu Agyemang 2008; Mayston 1998; Smith 2003; Smith et al. 2001).

Ob diese Finanzierungsform im Sinne von Bildungsgerechtigkeit wirksam sein kann, hängt somit maßgeblich von den Indikatoren ab, die die Ressourcenverteilung bestimmen. Diese müssen nicht nur hinreichend zwischen den Ressourcenbedarfen der Einrichtungen differenzieren, sondern eine Reihe weiterer Kriterien erfüllen. So sollten die ausschlaggebenden Merkmale für alle betroffenen Individuen vorliegen, objektiv und eindeutig feststellbar und nicht manipulierbar sein sowie keine widersinnigen Anreize setzen (Smith et al. 2001). Praktisch reduziert dies die zur Verfügung stehenden Variablen erheblich, da in den meisten Ländern – und insbesondere in Deutschland – nur sehr begrenzte Daten auf individueller Ebene existieren, die diesen Anforderungen genügen (siehe hierzu die Beiträge in BMBF 2010). Die Suche nach entsprechenden Indikatoren ist somit grundsätzlich durch das Spannungsverhältnis zwischen einer ausreichenden Datenverfügbarkeit auf der einen Seite und der treffenden Differenzierung zwischen den Bedarfen der Einzeleinrichtungen sowie der Datenqualität auf der anderen Seite gekennzeichnet.

Vor diesem Hintergrund erscheint eine am Sozialraum orientierte Finanzierung theoretisch ein vielversprechender Ansatz zu sein. Wenn valide Daten auf individueller Ebene nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen, ist es durchaus nahliegend, auf sozioökonomische Daten zu kleinräumigen geografischen Bezirken zurückzugreifen. Daten der Sozialberichterstattung sind häufig kleinräumig im Rahmen der kommunalen Statistik verfügbar. Für eine sozialräumliche Mittelallokation spricht darüber hinaus, dass die Daten von kommunalen Statistikstellen erhoben werden und somit von den Ressourcenempfängern nicht beeinflusst werden können. Weiterhin erscheint es unwahrscheinlich, dass dieser Bedarfsindikator widersinnige Anreizwirkungen entfaltet.

Allerdings ist die Verwendung von entsprechenden Daten, die sich nicht unmittelbar auf die Charakteristika der Kinder beziehen, nur dann gerechtfertigt, wenn sie zumindest eine Annäherung an die individuelle Bedarfssituation der Kinder und Einrichtungen erlauben. Die meisten Anwendungen von sozialräumlich orientierten Ressourcenallokationen bauen auf der Annahme auf, dass die Zuschreibung von sozialräumlichen Eigenschaften auf das Individuum nicht zu Verzerrungen in der Bedarfsschätzung führt. Wenn die zu finanzierende Einheit zudem eine einzelne Organisation ist, die ihre Klientel aus verschiedenen Sozialräumen akquirieren kann – wie es bei Kindertageseinrichtungen der Fall ist –, ist diese ohnehin starke Vorannahme weiteren Unsicherheiten ausgesetzt (Smith et al. 2001). Das Anliegen des vorliegenden Beitrages ist es daher, diese Annahme im Folgenden einer empirischen Überprüfung zu unterziehen.

3 Sozialraumorientierte Finanzierung von Kindertageseinrichtungen – das Beispiel NRW

Eine kritische Analyse der derzeitigen Finanzierungspraxis im Elementarbereich in Deutschland zeigt, dass der Ansatz einer bedarfsorientierten Ressourcenallokation nicht in allen Bundesländern implementiert ist. Und wenn in den Ländergesetzen die Grundidee dieser Art der Mittelverteilung zum Ausdruck kommt, zeigt ein Vergleich der konkreten Umsetzung, dass es nicht nur beachtliche Unterschiede in der Auswahl und Kombination der jeweiligen Bedarfsindikatoren, sondern auch in der konkreten Operationalisierungen der implementierten Faktoren gibt (vgl. ausführlicher Hogrebe 2014). Wird der Sozialraum für die Finanzsteuerung herangezogen, bezieht sich dies entweder auf den Standort der Einrichtung oder die Wohngegend des Kindes. In Nordrhein-Westfalen trifft ersteres zu. Einrichtungen in sozialen Brennpunkten können laut § 20 Absatz 3 des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) jährlich eine zusätzliche Pauschale von bis zu 15.000 € erhalten (Anm. d. Autoren: Mit der zweiten Revision des KiBiz, die zum 01.08.2014 in Kraft getreten ist, wurde die sozialraumorientierte durch eine einrichtungsbezogene Finanzierung ersetzt.).

Eine solche Verwendung des Sozialraums als Indikator für eine bedarfsorientierte Finanzierung von Kindertageseinrichtungen setzt allerdings voraus, dass die soziale Komposition des Sozialraums die soziale Komposition der einzelnen Einrichtungen in dem jeweiligen Sozialraum widerspiegelt. Ergebnisse aus der Schulforschung weisen jedoch darauf hin, dass es – teilweise trotz fester Einzugsgebiete – durchaus schulische Segregationsprozesse innerhalb von Sozialräumen gibt, die in einer unterschiedlichen Zusammensetzung der Schülerschaft von Schulen in gleichen Einzugsgebieten oder Stadtteilen resultieren (Bos et al. 2006; Kristen 2008; Pietsch et al. 2007; Radtke 2007). Wenngleich der Forschungsstand im Bereich der frühkindlichen Bildung diesbezüglich noch defizitär ist, gibt es auch hier erste Hinweise auf vergleichbare Segregationsprozesse, die Einfluss auf die soziale Zusammensetzung von Kindertageseinrichtungen nehmen (Becker 2010; Hilgers und Strehmel 2008; Hüsken 2011). Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage berechtigt, ob der Sozialraum ein geeigneter Indikator für eine bedarfsorientierte Finanzierung von Kindertageseinrichtungen ist. Diese Frage wird im Folgenden am Beispiel der Stadt Münster empirisch untersucht (für eine ausführliche Darstellung der Studie sei auf Hogrebe (2014) verwiesen).

3.1 Datengrundlage

Die Überprüfung des Zusammenhangs zwischen Sozialraumkomposition und der sozialen Zusammensetzung von Kindertageseinrichtung in den jeweiligen Sozialräumen erfordert Informationen auf beiden Ebenen. Zum einen werden relevante Indikatoren in der Sozialberichterstattung der Stadt Münster identifiziert, die den Kategorien der sozialen, ethnischen und demografischen Segregation entsprechen und Stadtteile differenziert beschreiben können. Die Auswahl der Variablen orientiert sich an den in der Bildungsforschung identifizierten Faktoren, die eine nachteilige Bildungsbiografie von Kindern wahrscheinlich machen und sich den drei Risikolagen der Armut, des Familienstatus und Migration zuordnen lassen (Betz 2008; Diefenbach 2008; Meier-Gräwe 2006; 2010; Rauschenbach et al. 2009; Stanat und Segeritz 2009). Die Statistik für Münsters Stadtteile (SMS) beinhaltet entsprechende Informationen hinsichtlich Arbeitslosigkeit, Familienstatus und ethnischer Herkunft der Bevölkerung in insgesamt 45 Stadtteilen (vgl. Tab. 2).

Tab. 2 Ausgewählte Indikatoren der SMS

Die Daten der Schuleingangsuntersuchung (SEU) stellen zum anderen die Grundlage zur Abbildung der sozialen Zusammensetzung in den Kindertageseinrichtungen dar. Dieser Datensatz liegt als anonymisierter Individualdatensatz vor und enthält Informationen über insgesamt etwa 20.000 Kinder. In der SEU werden neben persönlichen Angaben Informationen zu Herkunft und Migration, zu Sprachkenntnissen und Förderbedarf, zum Familienstatus sowie zu Schwangerschaft, Geburt und Vorsorgen erhoben. Die im Kontext dieser Studie ausgewählten Variablen lassen sich drei Arten von Bedarfsindikatoren zuordnen: tatsächlich festgestellte Bildungs- und Entwicklungsdefizite der Kinder, unzureichende frühe Förderung und mangelnde Bildungsressourcen im Elternhaus sowie allgemeine Risikofaktoren (vgl. Tab. 3). Da der Datensatz ebenfalls Informationen über die Wohnadresse des Kindes sowie die besuchte Kindertageseinrichtung enthält, können diese Informationen genutzt werden, um die Zusammensetzung der Kindertageseinrichtungen zu rekonstruieren.

Tab. 3 Ausgewählte Indikatoren aus der SEU

Mithilfe von Korrelationsanalysen kann der Zusammenhang zwischen den Variablen der beiden Datengrundlagen untersucht werden. Dem methodischen Vorgehen liegt dabei ein mehrstufiger Analyseplan zugrunde.

3.2 Analyseplan

Die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen den Sozialraumindikatoren und der sozialen Zusammensetzung der Kindertageseinrichtungen wird mithilfe eines mehrstufigen Verfahrens durchgeführt. In einem ersten Schritt werden die Indikatoren der sozialen, demografischen und ethnischen Segregation der Statistik für Münsters Stadtteile (SMS) mit den auf Einrichtungsebene aggregierten Bedarfsfaktoren der Schuleingangsuntersuchung (SEU) korreliert. Hierbei werden drei verschiedene Strategien verfolgt:

  1. 1.

    Korrelationen zwischen vergleichbaren Variablen (ethnische Herkunft sowie den Familienstatus betreffende Merkmale);

  2. 2.

    Korrelationen zwischen den Indikatoren zur Arbeitslosigkeit (Risikofaktor Armut) und allen Bedarfsvariablen auf Einrichtungsebene;

  3. 3.

    Korrelationen zwischen allen verfügbaren Sozialraumindikatoren und dem Anteil an Kindern in den Einrichtungen, bei denen mindestens drei der SEU-Variablen zusammenkommen (kumulatives Risiko).

Die Zusammenhangsanalysen werden für jedes Jahr separat durchgeführt, wenn für beide Variablen Daten vorliegen. Da es keine einheitlichen Standards zur Bewertung von Korrelationseffizienten gibt, stellt sich die Frage, ab wann der untersuchte Zusammenhang hoch genug ist, um eine Finanzierung von Kindertageseinrichtungen anhand von Sozialraumdaten zu rechtfertigen. Zur Interpretation der Analyseergebnisse wird daher ein Schwellenwert von r = 0,7 festgelegt. Diesem Vorgehen liegt die Überzeugung zugrunde, dass mindestens 50 % der Bedarfsunterschiede zwischen den Einrichtungen durch den Sozialraum erklärt werden können sollten, wenn dieser als Indikator für die Ressourcenallokation herangezogen wird. Fällt der Zusammenhang jedoch niedriger aus, erscheint eine sozialraumorientierte Finanzierung im Hinblick auf Bildungsgerechtigkeit nicht zielführend. In weiterführenden Analysen werden zwei mögliche Erklärungshypothesen hierfür überprüft:

  1. a)

    Die Variablen der SMS stellen keine validen Indikatoren zur Beschreibung der Bedarfe der Kindertageseinrichtung dar (Validitätshypothese).

  2. b)

    Aufgrund von Segregationsprozessen bildet die Zusammensetzung der Kinder in den Einrichtungen nicht den sozialen Nahraum der Stadtteile ab (Segregationshypothese).

Zur Überprüfung der Validitätshypothese werden die Daten der SEU auf Sozialraumebene aggregiert und die Verbindung zwischen beiden Datensätzen auf der Ebene der Stadtteile erneut analysiert. Da in diesem Fall beiden Datensätzen die gleiche Analyseebene zu Grunde liegt, können Segregationsprozesse ausgeschlossen werden. Besteht ein hoher Zusammenhang zwischen beiden sozialraumbezogenen Datensätzen, sind die Indikatoren der SMS grundsätzlich akzeptable Proxy-Variablen für die Bedarfe von Kindertageseinrichtungen. Demgegenüber ist bei niedrigen Korrelationen von einem Validitätsproblem auszugehen.

Um die Segregationshypothese zu prüfen, werden in einem letzten Analyseschritt die Korrelationen zwischen Sozialraum- und Einrichtungskomposition innerhalb der Daten der SEU berechnet. Da hier identische Indikatoren auf unterschiedlichen Ebenen aggregiert wurden, können Validitätsprobleme qua Design kontrolliert werden. Eine hohe Korrelation innerhalb des SEU-Datensatzes würde bedeuten, dass Daten auf Sozialraumebene prinzipiell geeignet sein können, Aussagen über die soziale Zusammensetzung in den Kindertageseinrichtungen zu machen. Niedrige Korrelationen hingegen sprächen dafür, dass innerhalb der Stadtteile Segregationsprozesse stattfinden, die eine bedarfsorientierte Finanzierung auf Ebene des Sozialraums weder als effizient noch als gerecht erscheinen lassen.

3.3 Ergebnisse

Tabelle 4 gibt eine Übersicht über die Ergebnisse der Korrelationsanalysen zwischen den beiden Datensätzen der Sozialraumstatistik (SMS) und der Schuleingangsuntersuchung (SEU) (eine vollständige Darstellung der Analyseergebnisse findet sich in Hogrebe 2014). Die Spalte „S – E“ beinhaltet die Korrelationskoeffizienten des ersten Analyseschrittes und drückt den Zusammenhang zwischen den Sozialraumdaten und den auf Einrichtungsebene aggregierten Daten der Schuleingangsuntersuchung aus. Die Werte repräsentieren jeweils die Spannweite der Analyseergebnisse aus mehreren Jahren, indem der Minimalwert und der Maximalwert dargestellt werden. Die Ergebnisse zeigen zum einen, dass durchaus unterschiedlich hohe Zusammenhänge zwischen den Indikatoren der beiden Datensätze bestehen. Während insbesondere den Familienstatus betreffende Variablen geringe Korrelationen aufweisen, fallen diese im Hinblick auf armutsbezogene Faktoren oder die ethnische Herkunft betreffende Indikatoren höher aus. Zum anderen wird aber vor allem auch deutlich, dass keiner der Korrelationskoeffizienten den zuvor festgelegten Schwellenwert von r = 0,7 erreicht. Demnach scheinen die Daten der Sozialraumstatistik insgesamt nicht geeignet, Kindertageseinrichtungen bedarfsorientiert zu finanzieren.

Tab. 4 Ausgewählte Korrelationen zwischen den Variablen der SMS und SEU

Die vertiefenden Analysen machen deutlich, dass sowohl Validitäts- als auch Segregationsprobleme hierfür verantwortlich zu machen sind. Eine erneute Berechnung der Korrelationen zwischen beiden Datensätzen auf Sozialraumebene (vgl. Tab 4, Spalte „S – S“) zeigt, dass sich bei einigen Variablenpaaren die Korrelationskoeffizienten weiterhin auf niedrigem und teilweise sogar nicht signifikanten Niveau bewegen. Diese Sozialraumindikatoren stellen demnach keine validen Proxy-Indikatoren für die Abbildung der Bedarfe von Kindertageseinrichtungen dar. Darüber hinaus ist jedoch auffällig, dass die meisten Korrelationen deutlich ansteigen und den Schwellenwert von r = 0,7 erreichen bzw. überschreiten. Hohe Zusammenhänge von bis zu r =0,89 sprechen dafür, dass diese Variablen beider Datensätzen durchaus ähnliche Konstrukte erfassen. Demnach lassen vor allem Segregationsprozesse die Verwendung von Sozialraumdaten im Kontext einer bedarfsorientierten Finanzierung von Kindertageseinrichtungen problematisch erscheinen. Die datensatzinternen Analysen zwischen Sozialraum- und Einrichtungskomposition innerhalb des Datensatzes der Schuleingangsuntersuchung bestätigen diesen Eindruck (vgl. Tab 5). Die Korrelationskoeffizienten erreichen kaum den definierten Schwellenwert und liegen teilweise sogar deutlich darunter.

Tab. 5 Korrelationen zwischen Sozialraum- und Einrichtungskomposition innerhalb der Daten der SEU

Anhand von Streudiagrammen lässt sich veranschaulichen, welche Konsequenzen es hätte, wenn Sozialraumdaten dennoch für die Finanzierung von Kindertageseinrichtungen herangezogen würden. Abbildung 1 zeigt exemplarisch die Korrelation von r = 0,56 auf zwischen

Abb. 1
figure 1

Streudiagramm – Zusammenhang zwischen Sozialraum- und Einrichtungskom-position

  1. a)

    dem Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund und Sprachförderbedarf in den Kindertageseinrichtungen im Kindergartenjahr 2008/2009 laut SEU (y-Achse) und

  2. b)

    dem Anteil der Bevölkerung mit Migrationsvorgeschichte in den Stadtteilen im Jahr 2008 laut SMS (x-Achse).

Entwirft man nun das fiktive Szenario, dass Einrichtungen ab einem Anteil von 25 % an Kindern mit Migrationshintergrund und Sprachförderbedarf berechtigt wären, zusätzliche Ressourcen zu erhalten, beträfe dies alle Einrichtungen oberhalb der horizontalen Linie in Abb. 1. Bei Verwendung der Sozialraumdaten würden hingegen alle Einrichtungen rechts von der vertikalen Linie von mehr finanziellen Mitteln profitieren. In der Konsequenz würden einerseits Einrichtungen trotz erhöhter pädagogischer Herausforderungen keine zusätzliche finanzielle Unterstützung erhalten (Quadrant links oben), andererseits würden Einrichtungen mehr Gelder erhalten als sie beanspruchen können (Quadrant rechts unten). Demnach wäre eine am Sozialraum orientierte Finanzierung im Hinblick auf die Erreichung des Ziels der Bildungsgerechtigkeit weder effektiv noch effizient.

4 Fazit und Diskussion

Aus einer ökonomischen Perspektive wird eine bedarfsorientierte Finanzierung oftmals grundsätzlich sowohl als gerecht als auch effizient eingeschätzt (Agyemang 2008; Edwards et al. 1996; Glennerster et al. 2000; Mayston 1998; Smith 2003; Smith et al. 2001). Der vorliegende Beitrag hat jedoch aufgezeigt, dass diese Annahme nicht ohne Weiteres zu halten ist und verweist auf die Bedeutung der gewählten Bedarfsindikatoren im Rahmen einer entsprechenden Mittelallokation. Die empirische Untersuchung am Beispiel der Stadt Münster kommt zu dem Ergebnis, dass die Wahl des Sozialraums als Bedarfsindikator für die Finanzierung von Kindertageseinrichtungen weder gerecht noch effizient ist. Die Analysen haben gezeigt, dass sich dies dadurch erklären lässt, dass bei einigen Merkmalen Messprobleme bestehen. Darüber hinaus zeigt sich bezüglich der untersuchten Bedarfsindikatoren jedoch auch, dass es in den Stadtteilen zu mehr oder weniger ausgeprägten Segregationsprozessen kommt, die zu einer ungleichen Zusammensetzung der Kindertageseinrichtungen innerhalb der einzelnen Sozialräume führen. Während Validitätsproblemen noch mit einer stärker bildungsfokussierten und kindzentrierten Sozialberichterstattung begegnet werden könnte, stellen Segregationsprozesse eine am Sozialraum orientierte Finanzierung grundsätzlich in Frage. Wenn hierdurch Einrichtungen mehr finanzielle Mittel erhalten als sie benötigten oder Einrichtungen trotz Bedarf nicht mit zusätzlichen Ressourcen ausgestattet werden, ist eine solche Mittelallokation nicht bedarfsgerecht.

Eine am Ziel der Bildungsgerechtigkeit orientierte Finanzsteuerung sollte vor dem Hintergrund dieser Forschungsergebnisse nicht auf den Sozialraum als Bedarfsindikator zurückgreifen, sondern eher Variablen verwenden, die auf der Einrichtungsebene ansetzen oder individuelle Daten von Kindern zugrunde legen. Weitere Forschung ist erforderlich, um die Entscheidung über ausschlaggebende Bedarfsindikatoren auf eine empirische Basis stellen zu können. Dabei darf eines nicht vergessen werden: Selbst wenn es gelingt, Kindertageseinrichtungen zielgenau entsprechend ihres Bedarfs mit Ressourcen auszustatten, bedeutet dies nicht automatisch, dass die Einführung bedarfsorientierter Finanzierung zu mehr Bildungsgerechtigkeit führt. Auch eine bedarfsorientierte Finanzsteuerung hat keinen direkten Einfluss auf das Leitziel der Bildungsgerechtigkeit, sondern ist nur dann effektiv, wenn sie auf die pädagogischen Handlungsprozesse einwirkt. Hinsichtlich der tatsächlichen Auswirkungen von bestimmten Mechanismen der Ressourcenallokation auf die Arbeit des pädagogischen Fachpersonals oder gar die Zielerreichung von Bildungsangeboten liegen bislang jedoch kaum empirisch belastbare Erkenntnisse vor (Levin und Schwartz 2007; für eine erste Auseinandersetzung im Elementarbereich in Deutschland siehe Betz et al. 2010). Ressourcen sind nicht per se wirksam, mehr Ressourcen nicht per se wirksamer.