Kasuistik.
Ein 64-jähriger Patient kommt zur stationären Aufnahme in die Gerontopsychiatrie. Die Verdachtsdiagnose lautet „akute Psychose“, u. a. gibt der Hausarzt an, der Patient fühle sich verfolgt.
Bei der Aufnahme bestreitet der Patient diese Verfolgungsideen. Er fühle sich aber in den letzten Monaten zunehmend unwohl, sei oft sehr traurig, könne seine Versicherungsangelegenheiten nicht mehr erledigen, überschaue oft die Bankauszüge nicht mehr und sei allgemein vergesslich geworden.
Bei der Aufnahmeuntersuchung ist der Patient örtlich und zur Person orientiert, zeitlich zu Datum und Wochentag etwas unscharf. Im neuropsychologischen Screeningtest (Mini-Mental-Status nach Folstein, Abbildung 1) erreichte er 27 Punkte [1].
Bei der körperlichen Untersuchung findet sich eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung mit Dyspnoe und Zyanose. Ein Röntgenbild des Thorax ergibt eine chronifizierte Bronchopneumonie rechts basal. Medikamente: Decortin® 10 mg; Dytide® H eine Tablette; Euphylong® retard 350 mg.
Fremdanamnestisch bestätigt die Ehefrau, dass ihr Ehemann sich von der Staatsanwaltschaft verfolgt fühle und Arbeitskollegen in der Wohnung gesehen habe. Wegen einer chronischen Lungenerkrankung sei er seit 1 Jahr berentet. Seit dieser Zeit spreche er wenig, sitze im Wohnzimmer und sei zu nichts zu bewegen. Er vergesse oft Termine oder Absprachen mit ihr, sei desinteressiert an gemeinsamen Unternehmungen mit Kindern und Enkelkindern.
Der Patient wird nach der stationären Aufnahme mit einer Zweierkombination an Antibiotika (Amoxicillin und Gentamicin) behandelt. In der ersten stationären Nacht ist der Patient extremst unruhig und aggressiv gegenüber dem Pflegepersonal. Nach parenteraler Gabe von Diazepam und Haloperidol sowie Sauerstoffgabe kommt es zur Beruhigung. Am nächsten Morgen wirkt der Patient psychisch zunächst vollkommen unauffällig, kann sich an die nächtliche Verwirrtheit und Aggressivität nicht erinnern. Im Laufe des Tages treten aber erneut optische Halluzinationen, Verfolgungsideen und eine hochgradige Verwirrtheit auf. Gleichzeitig kommt es zu wechselnden Bewusstseinszuständen, später extremer Traurigkeit, Tränenausbrüchen und Suizidäußerungen. Erst nach Abheilung der Bronchopneumonie stabilisieren sich die akuten psychopathologischen Phänomene. Bei der Entlassung nach 31/2 Wochen ergibt sich im Mini-Mental-Status jedoch eine weitere Reduktion um 4 auf 23 Punkte. Hier fällt insbesondere eine Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses auf.
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Heckelmann, H. Demenz oder Delir? Eine häufige Differentialdiagnose bei älteren Patienten. Med Klin 99, 77–88 (2004). https://doi.org/10.1007/s00063-004-1015-8
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00063-004-1015-8