Zusammenfassung
Die Flechten besitzen Verbreitungsschwerpunkte in den Kälteklimaten; sie sind die Vorposten pflanzlichen Lebens, die am weitesten in die Kältewüsten der Erde hinein vordringen Es wird untersucht, inwieweit der CO2-Gaswechsel der Flechten besonders an tiefe Temperaturen angepaßt sein kann und dadurch ihre Existenzmöglichkeit an kalten Standorten erklärbar wird. Für diese Versuche werden zum Vergleich Vertreter ganz verschiedener Klimagebiete herangezogen (einheimisches Tieflagen-und Mittelgebirgsmaterial, Flechten der Alpen, tropische Arten aus Afrika, Argentinien, Brasilien, Flechten aus der Negev-Wüste und aus der Antarktis).
-
1.
Nach dem Gasdifferenzverfahren wird mit dem URAS das Temperaturoptimum der apparenten Photosynthese (bei 10000 Lux) verschiedener Arten ermittelt. Bei Flechten aus Gebirgslagen (z.B. Cladonia elongata, Stereocaulon alpinum, Letharia vulpina, Parmelia encausta), aus der Antarktis (Parmelia coreyi) und bei einigen einheimischen Arten (z. B. Cladonia alcicornis) liegt das Optimum bei Thallustemperaturen im Bereich von +10°C oder darunter, und oberhalb von 18–22° ist in vielen Fällen keine positive Stoffbilanz mehr nachweisbar. Demgegenüber ist die CO2-Aufnahme bei Temperaturen unter dem Nullpunkt noch erheblich. So wird von Letharia vulpina bei-5° Thallustemperatur trotz Eisbildung im Mark des Lagers noch die Hälfte der optimal möglichen CO2-Menge je Zeiteinheit aufgenommen. Den Flechten kalter Standorte ist also offenbar die Möglichkeit gegeben, Witterungsperioden mit günstigen Feuchtigkeitsverhältnissen trotz tiefer Temperaturen zu positiver Stoffbilanz zu nutzen. Hohe Thallustemperaturen sind bei ihnen in der Regel mit Austrocknung verbunden und werden im Stadium latenten Lebens überdauert. — Daß die tiefe Lage des Temperaturoptimums eine Besonderheit dieser Arten darstellt, zeigt der Vergleich mit tropischem Material. Bei Parmelia magna und Parmelia pachyderma aus dem brasilianischen Katinga-Gebiet ist die Photosynthese bei Thallustemperaturen unter +3° nur noch gering und erreicht — ebenso wie bei der tropischen Basidiolichene Cora pavonia aus Argentinienihr Optimum erst bei Temperaturen um oder über 20°.
-
2.
Das Temperaturminimum apparenter CO2-Aufnahme wurde (wegen der geringen Umsätze) im geschlossenen Kreislaufsystem mit dem URAS gemessen. Die meisten der untersuchten Arten beenden ihre CO2-Aufnahme bei Thallustemperaturen zwischen-7 und-13°, manche Arten bereits bei wesentlich hhöheren Temperaturen. In einigen Fällen erweist sich das Temperaturminimum dagegen als außerordentlich tiefliegend: Cladonia alcicornis, Cladonia convoluta und Stereocaulon alpinum lassen während der Belichtung noch bei-22 bis-24° Thallustemperatur eindeutige (Netto-) CO2-Aufnahme erkennen. Diese Ergebnisse werden in methodischer Hinsicht besonders kritisch gesichert und ausführlich diskutiert. Die Lage des Temperaturminimums der CO2-Aufnabme läßt nicht immer Parallelen zum Standort der Flechten erkennen.
Literatur
Ålvik, G.: Über Assimilation und Atmung einiger Holzgewächse im westnorwegischen Winte. Medd. Vestlandets Forst. Forsøksst.. 6 (22), 1–266 (1939).
Butin, H.: Physiologisch-ökologische Untersuchungen über den Wasserhaushalt und die Photosynthese bei Flechten. Biol. Zbl. 73, 459–502 (1954).
Dahl, E.: Lichens. Bot. Review 20, 463–476 (1954).
Egle, K.: Methoden der Photosynthesemessung — Landpflanzen. In: Handbuch der Pflanzenphysiologie, Bd. V/1, pp. 115–163. Berlin-Göttingen-Heidelberg: Springer 1960.
Galun, M., and I. Reichert: A study of Lichens of the Negev. Bull. Res. Coun. Israel D 9, 127–148 (1960).
Godnew, T. N., u. R. M. Rotfarb: Photosynthese und Chlorophyllbildung bei negativen Temperaturen [russisch]. Ber. Akad. Wiss. UdSSR, 134, 963–964 (1960). Übersetzung: Sowjetwissenschaft, Naturwissenschaftliche Beiträge 1961.
Grummann, V.: Catalogus Lichenum Germaniae. Stuttgart: Gustav Fischer 1963.
Henrici, M.: Zweigipflige Assimilationskurven. Mit spezieller Berücksichtigung der Photosynthese von alpinen phanerogamen Schattenpflanzen und Flechten. Verh. naturf. Ges. Basel 32, 107–171 (1921).
Jumelle, H.: Recherches physiologiques sur les Lichens. Rev. gén. Bot. 4 (1892).
Klement, O.: Prodromus der mitteleuropäischen Flechtengesellschaften. Feddes Repert., Beih. 135, (1955).
Lange, O. L.: Untersuchungen über Wärmehaushalt und Hitzeresistenz mauretanischer Wüsten-und Savannenpflanzen. Flora (Jena) 147, 595–651 (1959).
—: Die Photosynthese der Flechten bei tiefen Temperaturen und nach Frostperioden (Vortragsreferat). Ber. dtsch. bot. Ges. 75, 351–352 (1962).
Lange, O. L.: On leaf temperatures and the methods for their measurement. Arid Zone Research (im Druck) (1964).
Lange, O. L., u. H. Metzner: Lichtabhängiger Kohlenstoff-Einbau in Flechten bei tiefen Temperaturen. Naturwissenschaften (im Druck) (1965).
Larcher, W.: Jahresgang des Assimilations-und Respirationsvermögens von Olea europaea L. ssp. sativa Hoff. et Link. Quercus ilex L. und Quercus pubescens Willd. aus dem nördlichen Gardaseegebiet. Planta (Berl.) 56, 575–606 (1961).
Levitt, J.: The hardiness of plants. New York: Academic Press 1956.
Mattick, F.: Die Flechten als äußerste Vorposten des Lebens im Gebirg. Montagne e nomini (Trento) 2, 494–496, 560–561 (1950).
—: Lichenologische Notizen. Ber. dtsch. bot. Ges. 66, 263–276 (1953).
Metzner, H.: Stoffwechsel organischer Verbindungen I (Photosynthese). Fortschr. Bot. 24, 178–233 (1962).
Pisek, A.: The nature of the temperature optimum and minimum of photosynthesis. Bull. Res. Coun. Israel D 8, 285–289 (1960a).
—: Pflanzen der Arktis und des Hochgebirges. Immergrüne Pflanzen (einschließlich Coniferen). In: Handbuch der Pflanzenphysiologie, Bd. V/2, pp. 376–459. Berlin-Göttingen-Heidelberg: Springer 1960b).
—: An den Grenzen des Pflanzenlebens im Hochgebirge. Jb. zum Sehutze d. Alpenpflanzen u.-Tiere 28, 112–129 (1963a).
—: Zur Kenntnis der Temperaturabhängigkeit der Netto-Assimilation von Samenpflanzen. Mitt. flor.-soz. ArbGemeinsch., N. F. 10, 34–41 (1963b)
—, u. G. Rehner: Temperaturminima der Netto-Assimilation von mediterranen und nordisch-alpinen Immergrünen. Ber. dtsch. bot. Ges. 71, 188–193 (1958).
—, u. E. Winkler: Licht-und Temperaturabhängigkeit der CO2-Assimilation von Fichte (Picea excelsa Link), Zirbe (Pinus cembra L.) und Sonnenblume (Helianthus annuus L.). Planta (Berl.) 53, 532–550 (1959).
Ried, A.: Nachwirkungen der Entquellung auf den Gaswechsel von Krustenflechten. Biol. Zbl. 79, 657–678 (1960).
Rudolph, E.D.: Vegetation of Hallett Station area, Victoria Land, Antarctica. Ecology 44, 585–586 (1963).
Scholander, P. F., W. Flagg, R. J. Hock, and L. Irving: Studies on the physiology of frozen plants and animals in the Arctic. J. cell. comp. Physiol. 42, 1–56 (1953).
Stålfelt, M. G.: Der Gasaustausch der Flechten. Planta (Berl.) 29, 11–31 (1939).
—: Vorleben, Aktivierung, Inaktivierung, “Ermüdung”, Wundreiz. In: Handbuch der Pflanzenphysiologie Bd. V/2, pp. 186–212. Berlin-Göttingen-Heidelberg, Springer 1960a.
—: Temperatur. In: Handbuch der Pflanzenphysiologie, Bd. V/2, pp. 100–117. Berlin-Göttingen-Heidelberg: Springer 1960b.
—: Flechten und Moose. In: Handbuch der Pflanzenphysiologie Bd. V/2. pp. 364–375. Berlin-Göttingen-Heidelberg: Springer 1960c.
Stocker, O.: Physiologische und ökologische Untersuchungen an Laub-und Strauchflechten. Flora (Jena) 21, 334–415 (1927).
—: Assimilation und Atmung westjavanischer Tropenbäume. Planta (Berl.) 24, 402–445 (1935).
Tranquillini, W.: Standortsklima, Wasserbilanz und CO2-Gaswechsel junger Zirben an der alpinen Waldgrenze. Planta (Berl.) 49, 612–661 (1957).
—: The physiology of plants at high altitudes. Ann. Rev. Plant Physiol. 15, 345–362 (1964).
Ullrich, H.: Zur Physiologie von Frostresistenz und Frosthärtung. Angew. Bot. 36, 258–272 (1962).
Walter, H.: Einführung in die Phytologie, Bd. III/1: Standortslehre. Stuttgart: Ulmer 1960.
Zeller, O.: Über Assimilation und Atmung der Pflanzen im Winter bei tiefen Temperaturen. Planta (Berl.) 39, 500–526 (1951).
Author information
Authors and Affiliations
Additional information
Mit 13 Textabbildungen
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Lange, O.L. Der CO2-gaswechsel von flechten bei tiefen temperaturen. Planta 64, 1–19 (1965). https://doi.org/10.1007/BF00518617
Received:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/BF00518617